Parteiliche US-Medien

Es geht um die Verteidigung der Demokratie

08:18 Minuten
US-Präsident Donald Trump steht mit dem Rücken zum Betrachter vor vielen Journalistinnen und Journalisten
US-Präsident Trump bezeichnet viele Medien als "Fake News". Diese müssen nach Ansicht des Politologen Jan Werner Müller selbst transparent machen, von welcher Warte aus sie berichten. © imago / ZUMA Wire
Jan-Werner Müller im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 27.10.2020
Audio herunterladen
Vor der Präsidentschaftswahl geben immer mehr US-Medien offen eine Wahlempfehlung ab. Viele von ihnen berichten allerdings parteilich, ohne das transparent zu machen. Der Politologe Jan-Werner Müller hält das für eine Gefahr.
Liane von Billerbeck: Eine Woche noch bis zur Präsidentschaftswahl in den Vereinigten Staaten. Anders als bei uns sind dort offene Wahlempfehlungen der Medien üblich. Mein Gesprächspartner Jan-Werner Müller plädiert sogar dafür, transparente Parteilichkeit zu üben. Geht das in Ordnung, machen sich Medien dadurch nicht angreifbar und bestärken die, die da von Fake News und hier von Lügenpresse reden?
Jan-Werner Müller ist deutscher Politikwissenschaftler und Professor an der Universität in Princeton und hat immer wieder kritisch über Populismus und Waffengesetze in den USA geschrieben. Zurzeit ist er Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin.
Sie plädieren für einen neuen Liberalismus und, was Trump angeht, für Parteilichkeit. Wie das?
Jan-Werner Müller: Auf die Gefahr hin, Ihrem Sender und den deutschen Medien allzu sehr zu schmeicheln, möchte ich klarstellen, dass es nicht die Idee ist zu sagen, wenn man ein funktionierendes öffentlich-rechtliches System hat, sollte man das durch Parteilichkeit ersetzen. Das Argument war, dass in Kontexten wie den USA, wo es zwar auch öffentliche Medien gibt, wo aber die Privaten völlig dominieren, es in Ordnung sein kann, dass es auch in gewisser Weise parteiliche Medien wie berühmterweise Fox News gibt, dass aber auch an diese Medien gewisse Anforderungen von Transparenz und korrekter Informationsweiterführung gestellt werden müssen.

Fox News ist im Grunde ein Propagandakanal

Das ist in Ordung, solange die Leute wissen, woran sie sind, dass gewisse Informationen und Nachrichten aus einer ganz bestimmten Perspektive gesehen und behandelt werden und alle sozusagen mit im Spiel dabei sind. Das war früher bei einer Zeitung wie dem "Vorwärts", die aus einer klar sozialdemokratischen Perspektive schreiben, auch in Ordnung, weil alle wussten, dass es darum geht.
Das Schlimme ist, dass beispielsweise Fox News immer so tut, als seien sie ein ganz normaler Nachrichtensender. Es gab diesen berühmten Spruch von ihnen: Wir stellen nur die Reportagen zur Verfügung und Sie entscheiden dann. Aber so ist es natürlich nicht. Im Grunde ist es ein Propagandakanal, der seine eigene Parteilichkeit nicht offen zeigt.
von Billerbeck: Das heißt, was Sie unter transparenter Parteilichkeit verstehen, heißt nicht, offen Partei für eine Partei zu ergreifen?
Müller: Das ist natürlich auch erlaubt und das haben viele Zeitungen schon viele Jahrzehnte getan. Sie haben gesagt, wir sprechen als Editorial Board unsere Wahlempfehlung aus. Das kann auch säuberlich von normaler Nachrichtenberichterstattung getrennt werden.
Ein Paradebeispiel dafür ist das "Wall Street Journal", das von seiner Meinungsseite her extrem konservativ ist; nicht nur Trump-Unterstützer, sondern dort wird beispielsweise auch gesagt, Bolsonaro ist ganz toll für die Wirtschaft, den finden wir auch gut. Gleichzeitig ist man sich aber weit jenseits rechter Kreise einig, dass die Berichterstattung des "Wall Street Journal" wirklich erstklassig ist. In jüngster Zeit haben sie sich zum Beispiel auch geweigert, eine von Trump und Konsorten lancierte Story über Hunter Biden, den Sohn von Joe Biden, der angeblich sehr viel Dreck am Stecken hat, irgendwie in ihre Nachrichtenseiten oder auch nur in der Meinungsseite zu lancieren.
In diesem Sinne heißt Parteilichkeit nicht, alles wird irgendwie verzerrt dargestellt, weil man irgendeinen Kandidaten unterstützen möchte. Aber man kann zum Beispiel sagen, wir repräsentieren eine bestimmte konservative Klientel oder wir sprechen besonders die Arbeiter an. Deren Interessen sind so und so und aus dieser Perspektive interpretieren wir gewisse Entwicklungen in der Weltgeschichte.
Das Wichtige ist, dass alle wissen müssen, woran sie da sind, dass man das eben nicht verstecken sollte, so wie es manche tun. Übrigens: Da gibt es inzwischen auch angesichts der Krise der Lokalzeitung, wo immer mehr sterben, neue Lokalzeitungen, die ganz normal aussehen, die aber von rechten Instituten gesponsert sind und die, ohne das offenzulegen, ganz klar pro Trump Propaganda betreiben.

Man muss nicht immer das Gegenteil von Trump behaupten

von Billerbeck: Das klingt erst einmal überzeugend. Trotzdem: Besteht nicht die Gefahr, sich auf eine Ebene mit Trump zu begeben, sich also im Schlagabtausch zu positionieren, statt zu informieren und abzubilden? Verletzt das nicht journalistische Grundsätze?
Müller: Ich würde zwei verschiedene Dinge unterscheiden. Zum einen ist es natürlich falsch zu sagen, ihr müsst jetzt einfach immer das Gegenteil von Trump automatisch oder mechanisch behaupten. Man kann auch sehr viel einfach dadurch erreichen, dass man gute investigative Arbeit macht, dass man harte Fragen stellt.
Es ist nicht zufällig so, dass es im Grunde in der amerikanischen Medienlandschaft keine Symmetrie gibt. Es gibt diese fast in sich geschlossene rechte Mediensphäre mit Fox, Breitbart und anderen, auf der Linken gibt es das eigentlich nicht. Der Grund ist nicht zuletzt deswegen, dass die sogenannten – ich verwende diesen sehr problematischen Ausdruck mal ohne explizite Anführungszeichen –, dass die sogenannten Mainstream-Medien im Grunde den Leuten, die gegenüber Trump skeptisch sind, eh schon zeigen, was da alles schiefläuft. Das kann man immer noch alles machen, ohne irgendwas ganz offen parteilich zu tun.

Partei für die Grundwerte ergreifen

Zweitens ist darüber hinaus wichtig, dass in einer Situation wie jetzt die Journalistinnen und Journalisten, ohne Partei für die Demokraten ergreifen zu müssen, nichtsdestotrotz für die Demokratie Partei ergreifen müssen und sagen müssen, unsere Geschäftsgrundlage, die Grundlage unserer ganzen Arbeit besteht auch in Pressefreiheit, Meinungsfreiheit, Redefreiheit et cetera. Die werden heutzutage ständig von Trump und übrigens auch vielen anderen Rechtspopulisten in der Welt angegriffen. Dass man sagt, wir ergreifen wirklich Partei für diese Grundwerte.
Dann kann man immer noch ganz verschiedene Ansichten über das Gesundheitssystem, über Einwanderung und ganz viele Themen haben, bei denen Demokraten – also Demokraten nicht im parteipolitischen Sinne – ganz verschiedene Ansichten haben dürfen. Aber wenn es an die Grundfesten geht, wenn es um die Frage von Autokratie oder Demokratie geht, dann, denke ich, ist die Vorstellung in gewisser Weise eine Art von Verzerrung, dass Journalismus heißt, beide Seiten haben irgendwie was zu sagen, da muss man mal beiden Seiten zuhören. Dann funktioniert die alte Vorstellung nicht mehr – Objektivität gleich Neutralität gleich man muss mal beiden Seiten zuhören und das einfach nur abbilden.

Verschwörungstheorien in Deutschland

von Billerbeck: Gilt dieser Rat, sich transparente Parteilichkeit zuzutrauen, auch für andere Staaten, also für Deutschland?
Müller: Das ist extrem kontextabhängig. Die Empfehlung ist um Gottes willen nicht, alle sollten jetzt möglichst schnell irgendwie parteilich werden oder sich ihre Lieblingsparteien suchen und dann für die zu schreiben. Aber ich denke, auch in Deutschland gibt es Situationen, wo man die Ebene der "normalen" politischen Debatte verlässt.
Man kann alle möglichen Ansichten beispielsweise über Flüchtlinge oder Einwanderung haben. Bei vielen würde ich nie sagen, nur weil mir das persönlich nicht gefällt, ist das jetzt undemokratisch. Aber wenn beispielsweise ein Politiker sagt, Angela Merkel habe einen geheimen Plan, das deutsche Volk durch Syrer zu ersetzen – Sie erinnern sich vielleicht, wer das gesagt hat und warum –, dann denke ich, ist es wichtig, dass Journalistinnen und Journalisten das nicht nur so als weiteren Beitrag zur Debatte ansehen, sondern sagen: Moment, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, hier werden jetzt Verschwörungstheorien verbreitet und hier verlassen wir eigentlich die normale politische Auseinandersetzung.
Dadurch müssen sie nicht Partei ergreifen für Merkels Flüchtlingspolitik oder Ähnliches, aber sie sollten dem Publikum klarmachen, wo auch die harten Grenzen normaler demokratischer Auseinandersetzung sind. Das kann man machen, ohne Partei für eine bestimmte Partei zu ergreifen, aber gleichzeitig klar zu signalisieren, hier geht es um die Demokratie an sich.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema