Parteikrise

"Deutschland wird geschwächt"

Moderation: Korbinian Frenzel · 06.12.2013
Die Liberalen sind in der Krise. Auf ihrem Parteitag am Wochenende in Berlin will die Partei die ersten Schritte raus aus dem Tief machen. Der Liberalen-Landeschef von Rheinland-Pfalz, Volker Wissing, erinnert darum nun an die "Kerninhalte" und kritisiert seine Partei: Die FDP war zu vielstimmig. Die Bevölkerung habe dadurch den Eindruck gewonnen, die Liberalen wüssten nicht, was sie wollten. Und Wissing kritisierte die Politik der Großen Koalition und deren "Griff in die Kasse der Mitte“.
Korbinian Frenzel: So still kann es werden um eine Partei, die 'mal so laut war. Die FDP ist raus aus dem Geschäft, sie findet kaum noch statt seit der historischen Niederlage, seit dem Rauswurf aus dem Bundestag. Ein Zustand ist das, den die Liberalen ändern wollen, den sie ändern müssen, wenn sie nicht für immer von der politischen Bühne verschwinden wollen. Und sie machen an diesem Wochenende den Auftakt mit einem Parteitag, der den Neuanfang markieren soll. Christian Lindner will neuer Parteichef werden, und der Mann, mit dem wir jetzt sprechen, sein Stellvertreter, der rheinland-pfälzische FDP-Chef Volker Wissing. Einen schönen guten Morgen!
Volker Wissing: Guten Morgen, ich grüße Sie!
Frenzel: Herr Wissing, die große Koalition, die sich da jetzt abzeichnet, tut ja im Moment alles, um Ihnen auf die Beine zu helfen. Mindestlohn, die Mietpreisbremse, teilweise höhere Renten - alles liberale Horrorszenarien. Und wo steht die FDP in den jüngsten Umfragen? Bei drei Prozent. Macht Ihnen das Sorgen?
Wissing: Nein. Weil ich gute Nerven habe und weiß, dass wir zunächst einmal unsere Personalfragen klären müssen. Wir sind ja in einer Interimssituation. Wir haben kein neues Präsidium gewählt, keinen neuen Bundesvorstand gewählt, und die alte Führungsspitze ist quasi nur noch geschäftsführend im Amt. In einer solchen Situation kommt man nicht von null auf hundert.
Frenzel: Es könnte aber natürlich auch ein untrügliches Zeichen dafür sein, dass das, was Sie politisch anbieten, schlicht und einfach nicht gewünscht ist bei den deutschen Wählern.
Wissing: Daran glaube ich nicht, denn, schauen Sie, das, was jetzt die große Koalition vorantreibt, ist ja nichts anderes als ein Griff in die Kasse der Mitte. Da werden großzügig Geschenke an einzelne Gesellschaftsgruppen verteilt, aber die Mitte muss das breit bezahlen. Es gibt keinen Abbau der kalten Progression für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Junge Menschen werden jetzt höhere Kosten tragen müssen. Und das alles wird transparent werden in den nächsten Monaten, und dann wird die Stimmung sich drehen.
Frenzel: Wenn ich mal an den Wahlabend zurückdenke - Christian Lindner hat sich da ja schnell zu Wort gemeldet, von dem mangelnden Respekt gesprochen, von dem Fehler, sich zu klein zu machen neben der Union. Jetzt hat er vor dem Parteitag noch 'mal nachgelegt, mit Blick auf Ihre Partei selbst gesagt, dass sie kalt gewesen sei, egoistisch - das sind ja eigentlich alles Haltungsnoten, die er da beschreibt, das sind alles sozusagen Verpackungsfragen. Es geht aber eigentlich nicht an die politischen Inhalte. Verstehe ich Sie richtig? Die politischen Inhalte müssen Sie eigentlich überhaupt nicht ändern, es geht nur um die Verkaufe?
Wissing: Zunächst einmal war sicherlich die Wortwahl in den letzten Jahren nicht immer geglückt, und wenn eine Partei sich falsch verstanden fühlt, dann muss sie zunächst einmal sich selbst fragen, ob sie richtig kommuniziert. Und diese Idee, dass man die Menschen ernst nimmt, dass man sie als Individuen akzeptiert, dass man jedem die Chance geben will und die Möglichkeit einräumen will, in der Gesellschaft sich frei nach seinen persönlichen Vorstellungen zu entwickeln, ist ja eine zutiefst menschenfreundliche Idee. Dieser Gedanke kann ja nicht auf breite Ablehnung stoßen.
Man kann sich lange drüber ärgern
Frenzel: Das heißt, programmatisch müssen Sie sich keine Gedanken machen. Das ist eigentlich alles so weit in Ordnung, wie es war?
Wissing: Die Kommunikation war nicht in Ordnung. Und was auch nicht in Ordnung war, war sicherlich, dass die FPD über lange Strecken hinweg den Eindruck vermittelt hat, sie wisse nicht, was sie will. Es war das Problem, dass viele in unserer Partei ihre eigenen, persönlichen Vorstellungen von der Lösung gesellschaftlicher Probleme laut in die Öffentlichkeit getragen haben. Das Problem ist, wenn man eine Vielfalt von Meinungen hat, ist das ja grundsätzlich was Schönes. Nur, wenn eine Partei sich mit einer Vielfalt von Meinungen zur Lösung von Problemen präsentiert, gewinnt die Bevölkerung den Eindruck, dass die Partei nicht weiß, was sie will. Und es mangelte auch an Disziplin, an Teamfähigkeit und an dem unbedingten Willen zur Zusammenarbeit. Und das war leider insbesondere in den Führungsgremien der Fall, und genau das muss sich ändern.
Frenzel: Na, dann schauen wir mal, was Sie wollen sollen oder was Sie wollen könnten künftig mit der FDP. Thema Euro - da gibt es den Euro-Rebellen Frank Schäffler, der auch in den Vorstand will mit seinem sehr kritischen Kurs. Gehört er da rein, aus Ihrer Sicht, in den Vorstand?
Wissing: Das muss der Bundesparteitag entscheiden. Das ist nicht Aufgabe einzelner, das zu entscheiden, aber schauen Sie, das Problem ist doch, dass wir gerade in der Europapolitik von unserer Kernposition ja abgelenkt haben, indem wir uns viel zu lange mit der Frage aufgehalten haben, ob wir diese Krise bewältigen wollen oder ob wir sie nicht bewältigen wollen. Das Entscheidende ist doch, wenn man in Regierungsverantwortung ist, dann muss man sich der Krisenbewältigung stellen. Und man kann sich lange drüber ärgern, dass es zur Krise gekommen ist. Das hatte aber mehr Rot-Grün zu verantworten als alle anderen, weil damals die Stabilitäts- und Wachstumskriterien aufgeweicht worden sind. Und was die FDP ganz anders gemacht hat als jetzt die große Koalition, ist: Wir haben eine Politik gemacht, die Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit weiter steigert und die Wettbewerbsfähigkeit der südeuropäischen Staaten ebenfalls steigert. Was jetzt passiert, ist, die deutsche Wettbewerbsfähigkeit wird abgebaut, das heißt, Deutschland wird geschwächt, damit der Unterschied zu Südeuropa nicht mehr so groß ist. Und ich rate der FDP, immer wieder deutlich zu machen, dass genau das der Unterschied zwischen der FDP in der Regierungsverantwortung ist und der großen Koalition, und nicht sich mit Nebenkriegsschauplätzen zu beschäftigen und sich mit sich selbst zu beschäftigen.
Frenzel: Sie könnten natürlich auch den Kurs verfolgen, den ja Ihr Noch-Vorsitzender Philipp Rösler angedeutet hatte mit seiner Frage, ob man Griechenland nicht in die Insolvenz entlassen sollte. Diesen Kurs, den dann die AfD ja politisch aufgenommen hat. Wäre das nicht vielversprechend für die FDP, wenn Sie sich auch als eurokritische Partei darstellen?
FDP braucht Führung statt "Vielstimmigkeit"
Wissing: Die FDP hat sich doch für einen Weg entschieden, und den hat sie doch aus guten Gründen auch so eingeschlagen. Und sich dann immer wieder um sich selbst zu drehen und sich die Frage zu stellen "Hätte man doch anders entscheiden sollen oder können?", führt ja nicht nach vorne. Und der wesentliche Unterschied zwischen der Eurostabilisierungspolitik mit FDP und ohne FDP liegt genau in dem Punkt, den ich vorhin erwähnt habe, nämlich dass wir die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands gesteigert haben, das sieht man an den hohen Beschäftigungszahlen, und dass genau jetzt ein Druck auf die Beschäftigung ausgeübt wird, die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands reduziert wird, Lohnstückkosten steigen werden und damit ein Weg eingeschlagen wird, der ja auf große Zustimmung in Spanien und Frankreich stößt. Was wir gemacht haben, stößt dort ja auf große Ablehnung.
Da muss jemand 'mal drüber nachdenken, weshalb das auf große Ablehnung gestoßen ist, im Ausland. Nämlich weil es den Druck auf Südeuropa erhöht hat, dort Reformen umzusetzen, die deren Wettbewerbsfähigkeit steigern, ohne uns zu schwächen. Und dass das nicht mehr fortgeführt werden kann, wird Deutschland teuer zu stehen kommen. Und das müssen wir deutlich machen, ansonsten lenken wir von den Erfolgen unserer Politik ab.
Frenzel: Herr Wissing….
Wissing: Ich halte überhaupt nichts davon, jetzt so zu tun, als könnte man die Dinge auch völlig - oder hätte man sie völlig anders entscheiden können. Wäre das möglich gewesen, hätte man es getan.
Frenzel: Herr Wissing, ich freue mich ja, dass Sie sich schon wieder so um die Sache kümmern können. Eine Frage aber noch zu Ihrer Partei, zum Parteitag. Was kann Christian Lindner denn eigentlich besser, was Rösler nicht konnte?
Wissing: Christian Lindner hat jetzt die Aufgabe, ein Führungsteam um sich herum zu bilden. Dabei braucht er den Bundesparteitag, aber er hat die Aufgabe, dieses Führungsgremium zu bilden, dieses Führungsteam zu bilden, es zur unbedingten Zusammenarbeit zu motivieren und dann die Partei wieder erkennbar zu machen mit ihren Kerninhalten.
Man braucht in einer Partei auch Führung in der Sache. Und diese Vielstimmigkeit zu zentralen Themen, die hat wirklich dazu geführt, dass die SPD mit ihren Kernthemen nicht mehr erkennbar war. Und das muss wieder kommen, und ich bin ganz sicher, das werden wir auch schaffen. Und wir werden auch einen Weg gehen müssen, wir werden und als Partei auch stärker mit den Themen beschäftigen müssen, die die Menschen in ihrem Alltag bewegen und umtreiben. Es ist vielleicht so gewesen, dass die FDP in der Vergangenheit die Themen sich ein bisschen zu stark nach eigenem Interesse gesucht hat und zu wenig oder nicht ausreichend auf die Themen eingegangen ist, die die Menschen in ihrem Alltag umtreiben.
Frenzel: Vor dem FDP-Parteitag im Interview der Chef der Liberalen in Rheinland-Pfalz und wahrscheinlich künftige stellvertretende Bundesvorsitzende Volker Wissing. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Wissing: Danke Ihnen auch sehr!
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