Parteien streiten über Umweltgesetzbuch
Nach Ansicht von Christian Calliess ist eine Modernisierung des Umweltrechts dringend erforderlich. „Wir haben hier erheblichen Modernisierungsbedarf“, sagte das Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen angesichts der Blockade des Umweltgesetzbuches durch die CSU.
Hanns Ostermann: Wie gehen Sie vor, wenn Sie jemandem elegant einen mitgeben wollen, oder sich um jeden Preis durchsetzen möchten? – Kleiner Tipp: Loben Sie die Person, vielleicht sogar überschwänglich, um dann aber sein Anliegen abzubürsten. – So ähnlich läuft es häufig in der Politik. Eines der letzten Beispiele ist das seit langem geplante Umweltgesetzbuch. Der Name sagt es schon: In einem Buch sollen Gesetze und Vorschriften zusammengefasst werden, natürlich um die Natur zu schützen, zugleich aber auch Wirtschaft und Industrie entgegenzukommen, denn die beklagen zurecht die schwierigen föderalen Abläufe. „Tolles Projekt“ tönt die CSU, um dann doch wieder Gründe zu finden, auf die Bremse zu treten. Dieses Jahrhundertwerk wird wohl auch heute nicht vom Koalitionsausschuss oder vom Kabinett abgesegnet, und damit kann das Gesetz wahrscheinlich nicht wie geplant 2010 in Kraft treten. – Christian Calliess ist Professor für öffentliches und Europarecht an der Freien Universität Berlin und Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen. Der berät die Bundesregierung und ist in seiner Tätigkeit unabhängig. Guten Morgen, Herr Calliess!
Christian Calliess: Guten Morgen!
Ostermann: Welche Konsequenzen hat es, wenn dieses dicke Buch nicht auf den parlamentarischen Weg gebracht wird?
Calliess: Es würde meiner Ansicht nach bei einem historisch gewachsenen und zersplitterten, schwer überschaubaren, für die Bürger eben auch wenig transparenten Umweltrecht bleiben – einem Umweltrecht, das dann eben auch mit Blick auf die europäischen Vorgaben (wir leben ja sozusagen stark beeinflusst auch durch das europäische Umweltrecht, überhaupt das Europarecht hier in Deutschland) – - Auch hier gibt es Anpassungsdefizite, die nicht behoben werden können.
Man muss sich das vielleicht so vorstellen: Man hat sich entschlossen, seine Wohnung zu renovieren, und man kann natürlich in dieser Wohnung leben. Man hat sich auch vielleicht daran gewöhnt, damit arrangiert, aber es fehlt so ein bisschen eben daran, dass es alles sozusagen praktisch und auf dem neuesten Stand modernisiert ist. Das ist sozusagen so ein bisschen die Situation, die wir haben. Natürlich bricht das Umweltrecht nicht zusammen ohne das UGB, das Umweltgesetzbuch, aber wir haben hier erheblichen Modernisierungsbedarf, der auch im Koalitionsvertrag konstatiert worden ist.
Ostermann: … und den die Wirtschaft immer wieder gefordert hat.
Calliess: Richtig!
Ostermann: Schon seit 20 Jahren wird dieses Werk geplant und immer wieder verhindert. Warum?
Calliess: Ja. Das ist natürlich immer ein langer Prozess. Das kennen wir aus anderen Bereichen, in denen kodifiziert worden ist, also ein einheitliches Gesetzbuch geschrieben worden ist, zum Beispiel im bürgerlichen Recht. Hier gab es vor über 100 Jahren, um 1900 die Idee, das bürgerliche Recht in einem bürgerlichen Gesetzbuch zusammenzufassen, aus verschiedenen Einzelgesetzen, die historisch gewachsen waren. Und genauso ist es heute im Umweltrecht. Das Umweltrecht begann eben mit problembezogenen Gesetzen, die auf aktuelle Probleme reagierten, also Luftreinhaltung, Wasserreinhaltung, meistens eben auch, wenn ein Umweltproblem aufgetreten war, und das passt alles nicht zueinander. Hier hat man eben die Idee gehabt, wir brauchen eine innere Harmonisierung und Konsolidierung dieses historisch gewachsenen Umweltrechts.
So ein Prozess, das auszuarbeiten, ein neues Umweltgesetzbuch, braucht Zeit. Da gab es erst mal einen Professorenentwurf, dann einen von Sachverständigen aus Praxis und Wissenschaft zusammen erarbeiteten Entwurf, und es gab dann einen Referentenentwurf, und dann gab es 1998, also unter der Umweltministerin Angela Merkel, der heutigen Bundeskanzlerin, schon einen ersten Entwurf, der allerdings am Föderalismus scheiterte, am damaligen System des Föderalismus, denn hier hatte der Bund gar keine Vollkompetenz, sondern Bund und Länder waren im Wasser- und Naturschutzrecht zuständig. Und damit war es vom Tisch!
Ostermann: Föderalismus ist ein weiteres Problem. Aber diesmal könnte die CSU die Neuregelung verhindern. Haben Sie dafür überhaupt Verständnis, für die Argumentation?
Calliess: Sagen wir mal so: Angesichts der Tatsache, dass die meisten Bundesländer wie auch die Wirtschaft immer wieder diese Modernisierung des Umweltrechts gefordert und auch befürwortet haben und auch aktuell jetzt das UGB befürworten, kann ich das nicht nachvollziehen. Es ist natürlich sozusagen der Blick auf das alt hergebrachte, auf das bekannte, auf das vertraute, aber es ist eben eigentlich ein defizitäres Umweltrecht – sowohl unter Vollzugsaspekten. Es geht ja auch um eine Erleichterung des Vollzuges von Umweltrecht, um ein wirtschafts- und bürgernäheres Umweltrecht. Alle diese Aspekte wären ja Gewinne des Umweltgesetzbuches und diese Gewinne, das muss ich wirklich sagen, bewirken eben ein moderneres Umweltrecht, das die CSU auf diese Weise blockiert. Das sehen die meisten Bundesländer, auch die CDU-regierten, genauso.
Ostermann: Sie sagen beziehungsweise Ihr Gremium, wir könnten 30 Millionen Euro sparen. Wie kommen Sie auf eine so große Summe?
Calliess: Das ist so, dass diese Summe nicht wir errechnet haben, sondern der Normenkontrollrat und das Statistische Bundesamt. Das hat für die Unternehmen Effizienzgewinne in Höhe von fast 30 Millionen Euro jährlich ausgerechnet, wenn dieses UGB kommt, und zwar durch den Abbau bürokratischer Hemmnisse.
Nun muss man eben sehen, dass dieses Umweltgesetz in seinem Herzstück zum Beispiel eine einzige, die sogenannte „Integrierte Vorhabensgenehmigung“ kennt. Das bedeutet also, das Genehmigungsrecht wird vereinfacht. Es wird künftig nur noch eine Genehmigung von einer Behörde geben, eine Genehmigung aus einer Hand. Heute, in unserem alten, historisch gewachsenen Umweltrecht, haben wir mehrere Parallelverfahren, Genehmigungsverfahren, zum Beispiel im Luftreinhalterecht, im Wasserrecht, die zwar aufeinander abgestimmt sind, aber eben nicht effizient aufeinander abgestimmt sind, vor allen Dingen auch mit Blick auf einen effektiven und bestmöglichen Umweltschutz. Diese Defizite, diese Parallelverfahren verursachen natürlich auch Kosten für die Wirtschaft, und diese könnten gespart werden.
Ostermann: Richtig, und das haben Sie eben schon gesagt: Es gibt dann irgendwann das Problem, dass man, was die Europäische Union betrifft, hinterherhinkt.
Calliess: So ist es!
Ostermann: Mich würde interessieren: Sie machen das ehrenamtlich beziehungsweise Sie sind in diesem Sachverständigenrat beratend tätig. Sie haben einen anderen richtigen Job. Haben Sie da eigentlich noch Lust, als Berater zwischen die Mühlsteine der Parteien zu geraten?
Calliess: Das muss man ja sagen: Der Sachverständigenrat für Umweltfragen ist ja ein unabhängiges Gremium, von der Bundesregierung ernannt. Immerhin – und das halte ich für eine ganz wichtige Sache – ist in unserem politischen System eine solche unabhängige, auch kritische Beratung der Politik vorgesehen. Und ob die Politik nun auf die Sachverständigen hört oder nicht, das ist eine andere Frage. Da darf man sich, glaube ich, nicht frustrieren lassen und nicht zu hohe Erwartungen haben. Aber auf lange Sicht hat der Sachverständigenrat, den es übrigens seit Anfang der 70er-Jahre schon gibt – also mit dem Beginn der Umweltpolitik ist er eingerichtet worden –, viel auch bewegt. Das, glaube ich, ist auch ein großer Erfolg und man muss es, glaube ich, so ein bisschen langfristig betrachten.
Ostermann: Also Licht und Schatten. – Herr Calliess, die Zeit drängt bei uns. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch heute Früh.
Calliess: Ja, sehr gerne!
Ostermann: Christian Calliess war das, Professor für öffentliches und Europarecht an der Freien Universität Berlin und außerdem Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen.
Das Interview mit Christian Calliess können Sie bis zum 14. Juni 2009 in unserem Audio-on-Demand-Angebot nachhören. MP3-Audio
Christian Calliess: Guten Morgen!
Ostermann: Welche Konsequenzen hat es, wenn dieses dicke Buch nicht auf den parlamentarischen Weg gebracht wird?
Calliess: Es würde meiner Ansicht nach bei einem historisch gewachsenen und zersplitterten, schwer überschaubaren, für die Bürger eben auch wenig transparenten Umweltrecht bleiben – einem Umweltrecht, das dann eben auch mit Blick auf die europäischen Vorgaben (wir leben ja sozusagen stark beeinflusst auch durch das europäische Umweltrecht, überhaupt das Europarecht hier in Deutschland) – - Auch hier gibt es Anpassungsdefizite, die nicht behoben werden können.
Man muss sich das vielleicht so vorstellen: Man hat sich entschlossen, seine Wohnung zu renovieren, und man kann natürlich in dieser Wohnung leben. Man hat sich auch vielleicht daran gewöhnt, damit arrangiert, aber es fehlt so ein bisschen eben daran, dass es alles sozusagen praktisch und auf dem neuesten Stand modernisiert ist. Das ist sozusagen so ein bisschen die Situation, die wir haben. Natürlich bricht das Umweltrecht nicht zusammen ohne das UGB, das Umweltgesetzbuch, aber wir haben hier erheblichen Modernisierungsbedarf, der auch im Koalitionsvertrag konstatiert worden ist.
Ostermann: … und den die Wirtschaft immer wieder gefordert hat.
Calliess: Richtig!
Ostermann: Schon seit 20 Jahren wird dieses Werk geplant und immer wieder verhindert. Warum?
Calliess: Ja. Das ist natürlich immer ein langer Prozess. Das kennen wir aus anderen Bereichen, in denen kodifiziert worden ist, also ein einheitliches Gesetzbuch geschrieben worden ist, zum Beispiel im bürgerlichen Recht. Hier gab es vor über 100 Jahren, um 1900 die Idee, das bürgerliche Recht in einem bürgerlichen Gesetzbuch zusammenzufassen, aus verschiedenen Einzelgesetzen, die historisch gewachsen waren. Und genauso ist es heute im Umweltrecht. Das Umweltrecht begann eben mit problembezogenen Gesetzen, die auf aktuelle Probleme reagierten, also Luftreinhaltung, Wasserreinhaltung, meistens eben auch, wenn ein Umweltproblem aufgetreten war, und das passt alles nicht zueinander. Hier hat man eben die Idee gehabt, wir brauchen eine innere Harmonisierung und Konsolidierung dieses historisch gewachsenen Umweltrechts.
So ein Prozess, das auszuarbeiten, ein neues Umweltgesetzbuch, braucht Zeit. Da gab es erst mal einen Professorenentwurf, dann einen von Sachverständigen aus Praxis und Wissenschaft zusammen erarbeiteten Entwurf, und es gab dann einen Referentenentwurf, und dann gab es 1998, also unter der Umweltministerin Angela Merkel, der heutigen Bundeskanzlerin, schon einen ersten Entwurf, der allerdings am Föderalismus scheiterte, am damaligen System des Föderalismus, denn hier hatte der Bund gar keine Vollkompetenz, sondern Bund und Länder waren im Wasser- und Naturschutzrecht zuständig. Und damit war es vom Tisch!
Ostermann: Föderalismus ist ein weiteres Problem. Aber diesmal könnte die CSU die Neuregelung verhindern. Haben Sie dafür überhaupt Verständnis, für die Argumentation?
Calliess: Sagen wir mal so: Angesichts der Tatsache, dass die meisten Bundesländer wie auch die Wirtschaft immer wieder diese Modernisierung des Umweltrechts gefordert und auch befürwortet haben und auch aktuell jetzt das UGB befürworten, kann ich das nicht nachvollziehen. Es ist natürlich sozusagen der Blick auf das alt hergebrachte, auf das bekannte, auf das vertraute, aber es ist eben eigentlich ein defizitäres Umweltrecht – sowohl unter Vollzugsaspekten. Es geht ja auch um eine Erleichterung des Vollzuges von Umweltrecht, um ein wirtschafts- und bürgernäheres Umweltrecht. Alle diese Aspekte wären ja Gewinne des Umweltgesetzbuches und diese Gewinne, das muss ich wirklich sagen, bewirken eben ein moderneres Umweltrecht, das die CSU auf diese Weise blockiert. Das sehen die meisten Bundesländer, auch die CDU-regierten, genauso.
Ostermann: Sie sagen beziehungsweise Ihr Gremium, wir könnten 30 Millionen Euro sparen. Wie kommen Sie auf eine so große Summe?
Calliess: Das ist so, dass diese Summe nicht wir errechnet haben, sondern der Normenkontrollrat und das Statistische Bundesamt. Das hat für die Unternehmen Effizienzgewinne in Höhe von fast 30 Millionen Euro jährlich ausgerechnet, wenn dieses UGB kommt, und zwar durch den Abbau bürokratischer Hemmnisse.
Nun muss man eben sehen, dass dieses Umweltgesetz in seinem Herzstück zum Beispiel eine einzige, die sogenannte „Integrierte Vorhabensgenehmigung“ kennt. Das bedeutet also, das Genehmigungsrecht wird vereinfacht. Es wird künftig nur noch eine Genehmigung von einer Behörde geben, eine Genehmigung aus einer Hand. Heute, in unserem alten, historisch gewachsenen Umweltrecht, haben wir mehrere Parallelverfahren, Genehmigungsverfahren, zum Beispiel im Luftreinhalterecht, im Wasserrecht, die zwar aufeinander abgestimmt sind, aber eben nicht effizient aufeinander abgestimmt sind, vor allen Dingen auch mit Blick auf einen effektiven und bestmöglichen Umweltschutz. Diese Defizite, diese Parallelverfahren verursachen natürlich auch Kosten für die Wirtschaft, und diese könnten gespart werden.
Ostermann: Richtig, und das haben Sie eben schon gesagt: Es gibt dann irgendwann das Problem, dass man, was die Europäische Union betrifft, hinterherhinkt.
Calliess: So ist es!
Ostermann: Mich würde interessieren: Sie machen das ehrenamtlich beziehungsweise Sie sind in diesem Sachverständigenrat beratend tätig. Sie haben einen anderen richtigen Job. Haben Sie da eigentlich noch Lust, als Berater zwischen die Mühlsteine der Parteien zu geraten?
Calliess: Das muss man ja sagen: Der Sachverständigenrat für Umweltfragen ist ja ein unabhängiges Gremium, von der Bundesregierung ernannt. Immerhin – und das halte ich für eine ganz wichtige Sache – ist in unserem politischen System eine solche unabhängige, auch kritische Beratung der Politik vorgesehen. Und ob die Politik nun auf die Sachverständigen hört oder nicht, das ist eine andere Frage. Da darf man sich, glaube ich, nicht frustrieren lassen und nicht zu hohe Erwartungen haben. Aber auf lange Sicht hat der Sachverständigenrat, den es übrigens seit Anfang der 70er-Jahre schon gibt – also mit dem Beginn der Umweltpolitik ist er eingerichtet worden –, viel auch bewegt. Das, glaube ich, ist auch ein großer Erfolg und man muss es, glaube ich, so ein bisschen langfristig betrachten.
Ostermann: Also Licht und Schatten. – Herr Calliess, die Zeit drängt bei uns. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch heute Früh.
Calliess: Ja, sehr gerne!
Ostermann: Christian Calliess war das, Professor für öffentliches und Europarecht an der Freien Universität Berlin und außerdem Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen.
Das Interview mit Christian Calliess können Sie bis zum 14. Juni 2009 in unserem Audio-on-Demand-Angebot nachhören. MP3-Audio