Parlamentswahl in Venezuela

Opposition profitiert vorerst vom niedrigen Ölpreis

Ein Anhänger des Oppositionsbündnis "Tisch der demokratischen Einheit" jubelt über das Ergebnis der Parlamentswahl.
Ein Anhänger des Oppositionsbündnis "Tisch der demokratischen Einheit" jubelt über das Ergebnis der Parlamentswahl. © AFP PHOTO/LUIS ROBAYO
Lars Ehrlich im Gespräch mit Nana Brink · 07.12.2015
Bei der Parlamentswahl in Venezuela hat die konservative Opposition eine deutliche Mehrheit erzielt. Dieses Wahlergebnis hänge auch mit dem niedrigen Ölpreis zusammen, sagt der Wirtschaftsexperte Lars Ehrlich. Auch die künftige Regierung werde mit dem Problem zu kämpfen haben.
Für Lars Ehrlich, Ölpreis-Experte beim Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut, ist die Wahlniederlage der Sozialisten in Venezuela auch in Zusammenhang mit dem niedrigen Ölpreis zu sehen. Auf indirekte Weise sei der Ölpreis ein relevanter Faktor gewesen, sagte Ehrlich im Deutschlandradio Kultur. Die Wirtschaft Venezuelas, die ohnehin in einer dramatischen Krise stecke, sei maßgeblich vom Öl abhängig:
"Die Deviseneinnahmen aus dem Ölverkauf sind unersetzlich für Venezuela. 96 Prozent der Ausfuhrerlöse (kommen) aus Öl, der Staatshaushalt finanziert sich zur Hälfte aus den Einnahmen aus Öl."
Die venezolanische Ölgesellschaft sei der größte Arbeitgeber des Landes, äußerte Ehrlich und machte deutlich:
"Wenn sich für so eine wichtige Branche das maßgebliche Exportgut und die Determinante – der Ölpreis – innerhalb von kurzer Zeit mehr als halbiert, hat das natürlich gravierende Auswirkungen. Und trägt dann auch zu einer schlechten Stimmung in der Bevölkerung bei, wie sich das jetzt auch in den Wahlen niedergeschlagen hat."
Ölindustrie ist in schlechtem Zustand
Die Fundamentaldaten ließen darauf schließen, dass es vorerst keine Veränderungen beim Ölpreis geben werde, betonte Ehrlich. Auch die kommende Regierung werde mit ähnlichen Problemen konfrontiert sein. Er verwies darauf, dass die Ölindustrie Venezuelas aufgrund fehlender Investitionen "in keinem guten Zustand" sei. Außerdem sei die geförderte Ölmenge seit den Neunzigerjahren stetig gesunken, so könne auch weniger Öl am Markt abgesetzt werden. Schätzungen zufolge benötige Venezuela einen Ölpreis von 85 Dollar je Barrel zur Schaffung eines ausgeglichen Staatshaushalts:
"Und davon sind wir gerade weit entfernt. Und wenn der Ölpreis nicht stark steigt, wonach es derzeit nicht aussieht - kurz- und mittelfristig -, dann muss Venezuela auch mit geringen Einnahmen rechnen."

Das vollständige Interview im Wortlaut:

Nana Brink: Das hat ja dann doch keiner so erwartet: Erst mal seit 1998 haben die Sozialisten in Venezuela die Kontrolle über die Nationalversammlung verloren. Gestern wurde gewählt, und die Partei des einst so verehrten Präsidenten Chávez ist untergegangen. Das ölreiche Land – Venezuela verfügt ja über die größten nachgewiesenen Ölreserven der Welt – durchlebt gerade eine seiner schwersten Krisen. Die vor zehn Jahren vom damaligen Präsidenten – eine charismatische, aber im Ausland auch sehr umstrittene Persönlichkeit, nämlich Präsident Chávez –, Chávez' ausgerufene sozialistische Revolution, die ist ja gescheitert, und ein wichtiger Faktor für die Krise, die Venezuela gerade erlebt, ist der sinkende Ölpreis: 95 Prozent der Exporteinnahmen stammen in Venezuela aus dem Ölgeschäft. Lars Ehrlich ist Ölpreisexperte beim Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut – guten Morgen hier im "Studio 9"!
Lars Ehrlich: Guten Morgen!
Brink: Wie beeinflusst oder wie hat der niedrige Ölpreis diese Wahl in Venezuela jetzt beeinflusst?
Ehrlich: Indirekt hat der Ölpreis – ganz sicher war das ein relevanter Faktor für die Wahlen. Sie haben schon es erwähnt, die Wirtschaft ist in einer dramatischen Krise: Dieses Jahr wird wahrscheinlich die Wirtschaftsleistung um zehn Prozent einbrechen, letztes Jahr waren es vier Prozent, und diese Wirtschaft ist maßgeblich vom Öl abhängig. Sie sagten schon, die größten Ölreserven der Welt, und die Deviseneinnahmen auf dem Ölverkauf sind unersetzlich für Venezuela. 96 Prozent der Ausfuhrerlöse aus Öl und der Staatshaushalt finanziert sich zur Hälfte aus den Einnahmen aus Öl. Die venezolanische Ölgesellschaft ist der größte Arbeitgeber im Land, und wenn sich für so eine wichtige Branche das maßgebliche Exportgut und die Determinante der Ölpreise innerhalb von kurzer Zeit mehr als halbiert, hat das natürlich gravierende Auswirkungen und trägt dann auch zu einer schlechten Stimmung in der Bevölkerung bei, wie sich das dann auch jetzt in den Wahlen niedergeschlagen hat.
Brink: Muss sich denn Venezuela darauf einstellen, dass sich der Ölpreis in absehbarer Zeit nicht ändert?
Venezuela hat zu wenig investiert
Ehrlich: Die Fundamentaldaten lassen darauf schließen, dass es wahrscheinlich vorerst keine Veränderung geben wird, und auch eine kommende Regierung wird mit ähnlichen Problemen konfrontiert sein. Das hat zwei Gründe: Einmal die Ölindustrie vor Ort ist in keinem guten Zustand – es gab in den letzten Jahren fehlende Investitionen in Exploration und Förderung, und die geförderte Menge von Venezuela, von Rohöl, ist seit Ende der 90er-Jahren stetig gesunken, also es wurde zu wenig investiert und deswegen kann allein Venezuela auch quantitativ weniger am Ölmarkt absetzen, und, schon angesprochen, der niedrige Ölpreis. Es wird geschätzt, dass Venezuela 85 Dollar an Ölpreis benötigt, um ausgeglichenen Staatshaushalt zu haben, und davon sind wir gerade weit entfernt. Wenn der Ölpreis nicht stark steigt, wonach es derzeit nicht aussieht, kurz und mittelfristig, dann muss Venezuela auch mit geringen Einnahmen rechnen.
Brink: Hat man da eine Entwicklung verschlafen einfach, weil Sie sagen, das war ja eigentlich schon länger absehbar?
Ehrlich: Vor Ort, wurden natürlich viel auch die Einnahmen aus Öl abgeschöpft, um damit Staatsausgaben zu finanzieren, und da wurde zu wenig langfristig gedacht, und die Ölindustrie vor Ort ist recht marode.
Brink: Wenn wir jetzt ein bisschen breiter gucken: Welche Bedeutung hat denn der Ölpreis für die Wirtschaft überhaupt noch?
Ehrlich: Öl hat immer noch eine riesige Bedeutung für die Weltwirtschaft. Nichtsdestotrotz, in Ländern wie Deutschland nimmt der Ölverbrauch seit Jahren stetig ab. Wir haben effizientere Motoren, im Wärmemarkt wird zum Beispiel Öl zunehmend durch Gas verdrängt, und aus den Kraftwerken ist Öl schon seit vielen Jahrzehnten verschwunden. Dennoch in so Ländern wie China oder anderen Schwellenländern, die aufstreben, steigt der Ölverbrauch enorm. Deswegen ist der weltweite Verbrauch auch stetig gestiegen in den letzten Jahren. Mittlerweile haben wir 95 Millionen Barrel, die pro Tag verbraucht werden, das sind – 95 Millionen Barrel, da kann man sich vielleicht nicht viel drunter vorstellen, aber das sind pro Sekunde mehr als tausend Barrel, die verbrannt werden. Also wir sind noch lange von einer Situation entfernt, wo wir unabhängig vom Öl sein werden.
Brink: Trotzdem haben Sie aber gerade erklärt, dass es ganz unterschiedliche Auswirkungen auf die unterschiedlichen Regionen hat auf dieser Welt. Wir haben jetzt gerade Venezuela gesehen, da hat es einen massiven Einbruch gegeben, der Auswirkungen hat bis zu den Wahlen hin, aber zum Beispiel der Verbraucher in Deutschland freut sich ja über den niedrigen Ölpreis.
Größerer Verbrauch bei niedrigem Preis
Ehrlich: Das ist richtig, natürlich. Diese Preisveränderung hat für verschiedene Akteure verschiedene Auswirkungen. Für die Verbraucher ist es natürlich eine tolle Sache: Sie müssen weniger für Sprit ausgeben, sie müssen weniger für ihr Heizöl ausgeben und entsprechend entlastet das ihren Geldbeutel. Auf der anderen Seite die Produzenten und auch die produzierenden Firmen, die haben das Nachsehen bei dem Preisverlust. Das sind zwei Seiten einer Medaille. Dieser sinkende Preis hat natürlich auch Auswirkungen, die Nachfrage hat die wachsen lassen: In diesem Jahr ist die Nachfrage nach Öl, der Verbrauch um 1,8 Millionen Barrel gestiegen, und das ist der höchste Anstieg seit fünf Jahren, und das ist natürlich auch durch die niedrigen Preise zustande gekommen, denn es ist einfach opportuner, viel Öl zu verbrauchen, wenn es nicht so teuer ist.
Brink: Ich möchte trotzdem noch mal verstehen, welche Auswirkungen es hat oder warum man so schwer Prognosen treffen kann, denn den Wandel oder diesen niedrigen Ölpreis, den gibt es ja nicht erst seit gestern. Das kann man ja schon wirklich beobachten, gerade als Fachmann eine Zeit lang. Warum ist das so, warum hat man da nicht oder warum reagiert man darauf nicht entsprechend?
Ehrlich: Der Ölpreis ist jetzt ungefähr seit einem Jahr sehr niedrig oder ist eingebrochen. Wir hatten Ende 2014 noch ein Preisniveau von 115 US-Dollar pro Barrel, derzeit sind wir ungefähr bei 40 US-Dollar. Das ist eine recht träge Industrie, die Investitionen, die dort getätigt werden, sind langfristige, sind große Mengen an Kapital, die dort investiert werden, und deswegen reagiert so ein Markt auch recht träge. Wir hatten von 2010 bis 2014 eine sehr hochpreisige Phase, immer Preise über 100 US-Dollar, und bei so einem Umfeld lohnen sich auch viele Investitionen, und die wurden damals auch getätigt. So sehen wir ganz viel Ölangebot am Markt, was unter anderem auch von diesen Projekten und Investitionen, die dort getätigt wurden, resultieren, und deswegen haben wir im Moment einfach einen großen Angebotsüberhang, also wir haben mehr Öl im Markt als wirklich verbraucht wird. Die weltweiten Lager schwellen an und der Preis sinkt.
Brink: Also weil es ja so schwierig ist, Prognosen über die Ölpreisentwicklung zu tun, würde mich mal interessieren, es gibt ja auch Riesendiskussionen um Fracking gerade, also das Herauspressen von Gas und Öl mit chemischen Mitteln. Ist das auch wieder eine Diskussion wie damals in den 70ern, als es ja diesen autofreien Sonntag gab, die man eigentlich nicht steuern kann, wo man keinerlei Prognosen treffen kann?
Fracking lohnt sich bei hohen Ölpreisen
Ehrlich: Mit Prognosen muss man immer etwas vorsichtig sein. Fracking, was Sie auch ansprechen, war einer der wirklich wichtigsten Gründe der letzten Jahre, weswegen wir auch so viel Öl am Markt sehen. Fracking ist eine tendenziell teurere Fördertechnik, aber bei hohen Ölpreisen lohnt die sich trotzdem, und deswegen wurde investiert. Die USA haben innerhalb der letzten sieben Jahre ihre Ölproduktion fast verdoppelt und sind mittlerweile ungefähr auf einem Niveau mit den beiden größten Produzenten Saudi Arabien und Russland.
Brink: Also können Sie keine Prognose über die Weiter... Wird der Ölpreis weiter sinken – frage ich es mal ganz platt?
Ehrlich: Ich werde mich da zurückhalten, Ihnen genaue Prognosewerte zu geben.
Brink: Schade eigentlich!
Ehrlich: Die internationale Energieagentur zum Beispiel hat vor zwei Jahren – die ist für heute noch von 100 US-Dollar ausgegangen, Ende der Nullerjahre hat Goldman Sachs von 200 US-Dollar pro Fass gesprochen, und vor ein paar Wochen haben die auch derzeit 20 US-Dollar in den Raum gestellt. Also da sehen Sie schon das Prognosespektrum. Ich werde immer sehr vorsichtig, ob jemand sich Experte nennt oder nicht, wenn er Ihnen eine Zahl in den Raum wirft. Dennoch lassen im Moment die Fundamentaldaten die Aussicht für kurz-, mittelfristig eher auf ein niedriges Preisniveau schließen.
Brink: Vielen Dank, Lars Ehrlich – Ölpreisexperte beim Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut. Danke für das Gespräch!
Ehrlich: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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