Parlamentswahl in Spanien

"Regierung des Wechsels ist möglich"

Mariano Rajoy winkt auf einer Bühne seinen Anhängern zu.
Der Chef der Partido Popular und geschäftsführender Ministerpräsident Mariano Rajoy lässt sich am 26.6.2016 von seinen Anhängern feiernn. © picture alliance / dpa / EFE / Javier Lizon
Historiker Walther L. Bernecker im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 27.06.2016
Nach der Neuwahl des Parlaments in Spanien erwartet der Historiker Walther L. Bernecker wieder eine sehr schwierige Regierungsbildung. Rechnerisch sei eine linksgerichtete Koalition möglich - wenn ideologische Gräben überwunden würden.
Das Wahlergebnis zeige, dass die Spanier das Parteiensystem, dass sie im vergangenen Dezember gewählt hätten, beibehalten wollten, sagt Bernecker: "Das ist nicht unbedingt ein Ausdruck, dass sie problemlos aus der Krise herauswollen oder herauskönnen."
Dass die linksgerichtete Protestpartei Podemos selbst im Zusammenschluss mit der kommunistischen Izquierda Unida hinter der sozialdemokratischen PSOE gelandet ist, liegt nach Ansicht Berneckers an einem "chamäleonhaften" Verhalten der Linkspopulisten: Podemos habe im vergangenen halben Jahr verschiedene ideologische Positionen bezogen. Deshalb sei den Spaniern nicht ganz klar gewesen, wofür Podemos stehe. Zudem seien die Wähler von der "destruktiven" Haltung der Partei bei der letzten Regierungsbildung enttäuscht gewesen.

Im Parlament Stimmen zusammensuchen

Nach der Neuwahl würden nun wieder alle vier Parteien eine Rolle spielen. Die Konservativen und die Bürgerplattform Ciudadanos müssten sich allerdings "noch irgendwo im Parlament ein paar Stimmen" zusammensuchen, etwa von den Basken, um die absolute Mehrheit zu erreichen. Auch die Linken würden dies wieder versuchen. Rein rechnerisch wäre eine Koalition von PSOE, Ciudadanos und Podemos möglich - wenn letztere "über ihren ideologischen Schatten" springe: "Dann könnte man das haben, was man in Spanien immer fordert - nämlich eine Regierung des Wechsels."

Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Spanien hat gewählt und wieder gibt es keine klaren Verhältnisse. Die Konservativen von Premier Rajoy haben dazugelegt, zur absoluten Mehrheit reichte es aber wieder nicht, und für die Linke reicht es auf jeden Fall nicht, gegen den amtierenden Premier Rajoy Mehrheiten zu organisieren. Zur Analyse der spanischen Verhältnisse jetzt am Telefon Walther Bernecker. Er ist Professor der Universität Erlangen-Nürnberg, ein ausgewiesener Kenner Spaniens, der spanischen Geschichte unter anderem mit Veröffentlichungen zum spanischen Bürgerkrieg. Guten Morgen, Herr Bernecker!
Walther Bernecker: Guten Morgen!
Frenzel: Dieses Wahlergebnis, ist das Ausdruck der Krise des Landes oder Ausdruck, dass die Spanier sehr klug ihre politischen Wege aus dieser Krise finden?
Bernecker: Es bringt vor allem zu Ausdruck, dass die Spanier das Parteiensystem, das sie Ende letzten Jahres gewählt haben, vorerst beibehalten wollen. Und das ist nicht unbedingt ein Ausdruck, dass sie problemlos aus der Krise heraus wollen oder heraus können, denn wir haben ja nach dem 20. Dezember letzten Jahres gesehen, dass die Regierungsbildung nicht möglich war, und strukturell sind die Ergebnisse von gestern die gleichen. Es haben sich einige Prozente geändert, aber im Grundsätzlichen hat sich nichts geändert, und das bedeutet, dass die Regierungsbildungskrise vorerst anhält, nicht gelöst ist und wahrscheinlich so schnell auch gar nicht gelöst werden kann.

Kein Platz für Rechtspopulisten im Parteienspektrum...

Frenzel: Ich habe das mit dem leicht positiven Unterton gefragt aus folgender Beobachtung heraus, die alle in Europa machen können: Überall, wo in Europa sonst gewählt wird, und wir hatten den Brexit gerade als jüngstes Beispiel, da haben wir Rechtspopulismus, Ressentiments, und die Spanier, die erweitern – Sie haben es gerade beschrieben – ihr Parteiensystem, um eine progressiv-linke Partei und eine liberale Bürgerplattform, die vor allem gegen Korruption… das sind eigentlich ziemlich gute Zustände, oder?
Bernecker: Ja, das kann man sagen, wobei natürlich Rechtspopulismus in Spanien es deswegen sehr schwer hat, weil der rechte Flügel der regierenden Konservativen ohnehin sehr rechts steht und weil äußerst rechts zu stehen in Spanien nach wie vor sehr schwierig ist, auch für Populisten. Da ist das Erbe das Francismus einfach noch zu stark, und man will sich nicht allzu sehr in die rechte Ecke begeben, aber man könnte sagen, als Variante ist eine Art Linkspopulismus entstanden mit "Podemos", eine Partei, die ja den endgültigen ideologischen Standpunkt bis heute noch nicht gefunden hat. Gerade in diesem Wahlkampf hat sich ja gezeigt, dass sich diese Partei chamäleonhaft verändern kann und verschiedene Positionen einnimmt. Also, sie bringt natürlich schon, diese Partei bringt schon die große Unzufriedenheit der Spanier mit dem politischen System, mit den traditionellen Parteien, mit der Wirtschaftsentwicklung und mit den ungelösten Problemen zum Ausdruck.

... aber für die Linkspopulisten von "Podemos"

Frenzel: Aber ihr Ergebnis, also das Ergebnis von "Podemos", von dieser linken Protestbewegung, blieb jetzt hinter den Erwartungen zurück. Ist das Ausdruck, dass die Krise sich auch langsam abschwächt oder war das vielleicht auch so ein bisschen der Brexit-Schock, dass die Spanier gesagt haben, vielleicht wählen wir einfach mal eher die etablierten Kräfte?
Bernecker: Ich glaube, dass Brexit keine große Rolle gespielt hat, weil das Thema Europa überhaupt eine sehr geringe Rolle gespielt hat im ganzen Wahlkampf. Die Themen waren primär innenpolitischer Art, und selbst "Podemos" will ja nicht aus der EU austreten. Also das ist jetzt kein großes Thema im Wahlkampf gewesen.
Wenn "Podemos" in Koalition mit "Izquierda Unida", also den Kommunisten, nicht besser abgeschnitten hat, dann mag es vielleicht eben gerade an dem liegen, was ich vorhin zum Ausdruck gebracht hatte mit diesem Chamäleonhaften, nämlich im Laufe des letzten halben Jahres hat diese Partei verschiedene ideologische Positionen bezogen. Und so ganz klar war den Leuten nicht, was wählen wir eigentlich, wenn wir "Podemos" wählen oder jetzt "Podemos Unidos" wählen. Zum einen haben sie gesagt, es gibt keine links-rechts-binäre Konstruktion mehr, aber dann haben sie sich doch eindeutig links positioniert. Dann haben sie plötzlich behauptet, sie seien die wahren Sozialdemokraten. Am Schluss haben sie sich sogar mit den Peronisten noch einmal verglichen.
Der spanische Wähler war sicherlich etwas verunsichert, und wie ich aus eigenen Gesprächen weiß, vom Verhalten von "Podemos" nach den letzten Wahlen sehr enttäuscht, weil sie eine eher im Zuge der Regierungsbildung destruktive als konstruktive Haltung eingenommen haben. Das mag erklären, warum "Podemos" nicht das Ziel erreicht hat, stärker als die Sozialdemokraten abzuschließen.

Podemos und Ciudadanos müssten über ihre Schatten springen

Frenzel: Was glauben Sie denn, wie konstruktiv werden jetzt die Regierungsgespräche? "Podemos" wird da ja wahrscheinlich keine große Rolle spielen, eher die politisch liberale rechte Hälfte.
Bernecker: Nein, alle vier Parteien werden eine Rolle spielen, weil die Konservativen und "Ciudadanos" zusammen haben keine absolute Mehrheit. Da muss man noch irgendwo ein paar Stimmen im Parlament zusammensuchen, vielleicht von den Basken oder wo auch immer, und natürlich werden die Linken jetzt wieder versuchen, eine Mehrheit zu bekommen, aber die Sozialisten und "Podemos" zusammen werden es nicht erreichen. "Podemos" hat Probleme mit "Ciudadanos", aber die rechnerische Lösung wäre tatsächlich PSOE, also die Sozialisten, "Podemos" und "Ciudadanos". Das wäre möglich, wenn sie jetzt über ihren ideologischen Schatten springen und bereit sind, diesen Kompromiss einzugehen. Dann könnte man das haben, was man in Spanien immer fordert, nämlich eine Regierung des Wechsels.
Frenzel: Sie sagten, "könnte". Glauben Sie, dass es dazu kommt oder lieber die dritte Wahl?
Bernecker: Es wird sehr große Schwierigkeiten wieder geben. Die Verhandlungen werden ausgesprochen schwierig werden. Ich glaube nicht, dass es eine dritte Wahl gibt, weil die Mehrheit der Spanier derart frustriert waren, dass die Politiker nicht in der Lage waren, eine Regierung zu bilden, dass eigentlich alle Parteien befürchten müssten, wenn es zu dieser außergewöhnlichen Situation einer dritten Wahl käme, dass sie alle abbestraft werden, und das will natürlich niemand.
Frenzel: Walther Bernecker, der Professor an der Uni Erlangen-Nürnberg zum Ausgang der Spanienwahl. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Bernecker: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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