Parallele zu natürlichen Ressourcen

Software-Codes und Algorithmen müssen öffentlich sein

Zeichnung von zwei Reihen mit Büroangestellten, die an Computern mit Datenströmen arbeiten.
Büroangestellte arbeiten an Computern mit Datenströmen. © imago/Ikon Images
Von Matthias Gronemeyer |
Zu den natürlichen Ressourcen sind mit Anwendungen und Programmen technische hinzugekommen. Ähnlich wie Trinkwasser und Saatgut müssten auch Software-Codes in öffentlicher Hand sein, erklärt der Philosoph Matthias Gronemeyer.
Finden Sie es auch nicht in Ordnung, wenn natürliche Ressourcen privatisiert werden? Wenn beispielsweise der Nahrungsmittelkonzern Nestlé Trinkwasserbrunnen in Indien kauft oder Monsanto Saatgut patentieren lässt oder andere Gen-Tech-Firmen ein Copyright auf ganze Tiere beanspruchen? Wir haben wohl zu Recht das Gefühl, dass die Natur allen gehört, zumindest die natürlichen Ressourcen, die wir so dringend zum Leben brauchen, das Wasser, die Luft, die Fruchtbarkeit der Erde.
Eine Welt, in der alles geschütztes Privateigentum ist, alles restlos der Logik privatwirtschaftlicher Interessen unterworfen, wäre eine kaum bewohnbare Welt. Noch ist der Trend zur Privatisierung kollektiver Güter nicht gebrochen, da wird die Kampfzone durch die Digitalisierung nun zusätzlich ausgeweitet.

Programme als "quasi-natürliche" Ressourcen

Die digitale Revolution, also die Wandlung der physischen Welt ins Zeichenhafte, begann vor Jahrzehnten mit der Decodierung der Natur, mit der Entschlüsselung von Aminosäuren und Gensequenzen. Wir sind es inzwischen gewohnt, die Natur als Zeichenkette zu verstehen. Jedes Kind lernt in der Schule den Aufbau der DNS. Nun hat diese Wandlung eine weitere Drehung vollführt: Nicht mehr tritt uns nur die alte Natur als Code gegenüber, sondern zunehmend ist der Code für uns Natur geworden. Wir behandeln die Anwendungen und Programme, die Apps und Algorithmen wie quasi-natürliche Ressourcen.
Man könnte auch sagen: Der Mensch hat den natürlich-natürlichen Ressourcen neue, techno-natürliche hinzugefügt. Der Internetanschluss ist für uns so selbstverständlich (und bald so notwendig) wie der Wasseranschluss, die sozialen Medien sind eine Wärmestube wie weiland der Kachelofen. Dass wir Digitaltechnik als Natur betrachten, drückt sich nicht zuletzt in Formulierungen wie Server-Farmen, Data-Mining oder Quell-Code aus. Trotzdem werden die Codes und Algorithmen als Privateigentum geschützt, mit dem Monopolisten Milliarden verdienen. So, als hätten Nestlé und Coca-Cola alle Brunnen der Welt unter sich aufgeteilt.

Wem gehört die Techno-Natur?

Der englische Aufklärer und Philosoph John Locke hatte im 17. Jahrhundert die These aufgestellt, dass die brachliegenden natürlichen Ressourcen ohne eigenen Wert seien, allen gemeinsam gehörten und erst durch die in sie eingebrachte Arbeit persönlicher Besitz würden. Angesichts von Klimawandel, Überbevölkerung und Umweltzerstörung eine scheinbar nicht mehr haltbare Position – die in Bezug auf die neuen technisch-natürlichen Ressourcen aber wieder relevant wird. Die Frage, wem die Natur gehört, stellt sich für den Code als Techno-Natur erneut.
Wir sollten daher aufhören, vor den Internetgiganten wie Google, Facebook oder Microsoft zu zittern wie der arme Sünder vor seinem Schöpfergott, sondern sie als das betrachten, was sie sind: Rohstoffe. Massenhaft vorhandene, reproduzierbare Rohstoffe, die erst durch ihre Nutzer einen Wert bekommen. Das Silicon Valley ist, so gesehen, die Kiesgrube des 21. Jahrhunderts.
Wenn wir zu Recht ablehnen, dass die Quellen und genetischen Codes der natürlichen Natur jemandes Privateigentum sein können, dann sollten wir dies konsequenterweise auch für die Codes der Techno-Natur fordern. Zumindest sollten die techno-natürlichen Ressourcen ähnlichen Kriterien von Ökologie und Nachhaltigkeit unterworfen werden, wie die natürlich-natürlichen Ressourcen. Software-Code aus dem Urheberrechtsschutz herauszunehmen, ist daher ein notwendiger Schritt. Ein Schritt zur Sicherung von persönlicher Freiheit und Gerechtigkeit.

Matthias Gronemeyer ist promovierter Philosoph. Er lebt als freier Autor und Publizist ist Stuttgart. Zuletzt erschienen von ihm die vielbeachtete poetisch-philosophische Studie "vögeln – eine Philosophie vom Sex" und die Erzählung "Ein vernünftiges Gefühl". Ganz aktuell ist sein neuer, künstlerisch aufwändig gestalteter Roman "Im leichten Sitz" über eine Jugend in den 1950er-Jahren.

© Iris Merkle
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