Parallele Einsamkeiten

30.08.2007
In "Die Staubfängerin" finden sich eine Regieassistentin und ein unterbeschäftigter Dirigent in einem Reihenhaus zusammen. In diesem rasanten Eheroman ereilt sie bald ein Putzzwang, während er sich ins Glashaus im Garten flüchtet. Nach ihrem Debüt "Halbschwimmer" hat Katja Oskamp ihren Stil als gallig-witzige Erzählerin der Tragödien des Alltags und der Liebe gefunden.
Wenn eine Ehegeschichte zur Tragödie wird, muss es irgendwo den Punkt geben, an dem sich die Dinge in die falsche Richtung zu entwickeln begannen. In Katja Oskamps erstem Roman "Die Staubfängerin" ist dieser Punkt nicht so leicht auszumachen. Wenn eine Regieassistentin ihre Arbeit und das Theater verlässt, um bei einem unterbeschäftigten Dirigenten in einem Reihenhaus auf dem Dorf Unterschlupf zu finden, dann ist die gemeinsame Geschichte vielleicht schon von allem Anfang an zum Scheitern verurteilt.

Das bürgerliche Glück in der Provinz mit Kindergeburtstag, Dorffest und Staubsaugervertreter liegt allzu weit weg vom produktiven Chaos der Theaterwelt. Eine weitere Variante also auf das alte Thomas Mann-Thema der Unvereinbarkeit von Bürgerlichkeit und Künstlerseele? Ja, aber doch nur am Rande. "Die Staubfängerin" ist in erster Linie ein rasanter Eheroman mit psychopathologischen Zügen. Geradezu liebevoll versenkt sich Katja Oskamp in die Psyche einer Zwangsneurotikerin.

Die Ich-Erzählerin Tanja Merz ist eine Art Alter Ego der Autorin, die 1970 in Leipzig geboren wurde, in Ost-Berlin aufwuchs, in Rostock als Dramaturgin arbeitete, am Leipziger Literaturinstitut das Handwerk des Schreibens lernte und heute wieder in Berlin lebt. Schon 2003, in den Erzählungen ihres Debütbandes "Halbschwimmer", ging es um diese Tanja, ihre Herkunft aus einer kleinbürgerlichen DDR-Familie und ihre prekäre Neigung zu älteren Männern, am liebsten Schauspielern.

In "Die Staubfängerin" macht Katja Oskamp nun einen Sprung aus der Endzeit der DDR in die späten 90er Jahre. Die DDR-Vergangenheit ist in kleinen Andeutungen präsent und spielt auch in Tanjas Ehe mit dem holländischen Dirigenten Edgar eine Rolle. Man kann das sich anbahnende Beziehungsdrama auch als unaufdringliche Ost-West-Geschichte lesen – schon deshalb, weil die Mutterrolle, in der Tanja sich bald wiederfindet, in dieser Ausschließlichkeit im Frauenbild der DDR nicht vorgesehen war.

Mitreißend schildert Oskamp den Rausch besinnungsloser Verliebtheit nebst orgiastischen Koch- und Fress-Exzessen. Denn Edgar ist ein leidenschaftlicher Esser, der folglich – und da ist schon im Genuss das Elend angelegt – immer fetter wird. Mit der in drastischen Worten beschriebenen Frühgeburt der Tochter ist die Phase der Ekstasen abrupt zu Ende. Alle gemeinsame Energie verwandelt sich in eine übersteigerte Sorge um das gefährdete Kind.

Nachdem der Arzt ihr eingeschärft hat, wie wichtig Hygiene ist, um Infektionen zu verhindern, entwickelt Tanja eine Putzneurose, die sich gewaschen hat. Bald ist nichts mehr vor ihrem Sauberkeitstrieb sicher. Sie putzt sich um den Verstand und wischt alle Entfaltungsmöglichkeiten weg, bis der durchaus duldsame Edgar ins neue Gewächshaus im Garten flieht. Da sitzt er dann nächtelang unbeweglich im Glashaus, "ein Riesenfrühchen im Inkubator" – auch er ein tragischer Fall. Beide Figuren sind in sich selbst gefangen in parallelen Einsamkeiten, die nur noch durch das Kind eine lose Verknüpfung finden.

Katja Oskamp erzählt diese Geschichte in einer direkten, schnörkellosen Sprache und mit einer so liebevollen wie boshaften Detailgenauigkeit. Ihre Erzählerin ist auf sympathische Weise unsentimental, auch sich selbst gegenüber. Noch im Unglück ist sie voller Lebendigkeit und bleibt doch unrettbar in ihre Sicht der Dinge verstrickt. Die Zwanghaftigkeit ihres Verhaltens wird konsequent aus der Binnenperspektive gezeigt, so dass die fortgesetzten Putzattacken als logische Notwendigkeit erscheinen. Doch je verbissener Tanja beweisen will, wie unmöglich es ist, mit einem krümelnden, schwitzenden, Schmutzspuren hinterlassenden Mann zusammenzuleben, umso deutlich wird, wie unmöglich sie selbst geworden ist. Da ist es nur folgerichtig, wenn am märchenhaften Ende der Geschichte ein Fensterputzer die Rolle des erlösenden Prinzen spielt.

Nach ihrem soliden, aber nicht sonderlich aufregenden Debüt mit "Halbschwimmer" hat Katja Oskamp in "Die Staubfängerin" ihren Stil gefunden. Sie etabliert sich als eine unprätentiöse, gallig-witzige Erzählerin der Tragödien des Alltags und der Liebe.

Rezensiert von Jörg Magenau

Katja Oskamp: Die Staubfängerin. Roman.
Ammann Verlag, Zürich 2007, 222 Seiten, 18,90 Euro