Paradiesvogel im Kulturbetrieb
Gehobener Klatsch und ein Gesellschaftsporträt der Bundesrepublik: Der Literaturkritiker Fritz J. Raddatz zeigt sich in seinen Tagebüchern als scharfzüngiger Salonintellektueller.
Er war eine Ausnahmeerscheinung des deutschen Kulturlebens der Nachkriegsjahrzehnte - und ist es bis heute: Fritz J. Raddatz, eine Reizfigur, ein "Unruhestifter", wie er sich selbst nennt. 1931 in Berlin geboren, war er von 1960 bis 1969 stellvertretender Leiter des Rowohlt Verlages, in den Jahren 1977 bis 1985 Feuilletonchef der Wochenzeitung DIE ZEIT; ein Posten, den er wegen eines humoresken journalistischen Sachfehlers aufgeben musste.
Raddatz hatte in einem Artikel das Leben Goethes in eine Zeit vorverlegt, in der es bereits Bahnhöfe und Eisenbahnen gab. Ein kleiner Skandal, der einiges über die temperament- und schwungvolle Persönlichkeit des bekennenden Dandy Raddatz aussagt und sein Prestige als Paradiesvogel des intellektuellen Betriebs vergrößerte. Der Vorfall ereignete sich in jenen Jahren, über die ein umfangreicher Band der Tagebücher von Fritz J. Raddatz nun Auskunft gibt.
Sie umfassen die Zeit von 1982 bis 2001 und sie bergen das Stoffpotenzial eines atemberaubenden Gesellschaftsromans. Der Diarist Raddatz erweist sich als Balzac der Bundesrepublik. Als scharfzüngiger Salonintellektueller, der alle kennt, alle Fäden des Kulturbetriebs verfolgt, überall dabei ist und den Klatsch nicht weniger liebt als die Kunst.
Er ist mit Günter Grass, Joachim Kaiser, Paul Wunderlich, Rudolf Augstein, Gabriele Henkel und Dutzenden weiteren Promis aus Kunst und Kultur befreundet. Er macht böse Witze auf Kosten seiner Herausgeberin Gräfin Dönhoff und verachtet den herausragenden Literaturwissenschaftler Hans Mayer tief für seine Eitelkeit - die eigene hat er dabei durchaus skeptisch im Auge.
Lesenswert sind diese Tagebücher nicht nur dank der enormen Fülle kurzweiliger, boulevardhafter Anekdoten und ihrer zeitgeschichtlichen Farbigkeit, sondern auch durch die intime Schonungslosigkeit, in der sich Raddatz präsentiert. Denn der gehobene Gesellschaftsklatsch ist hier verquickt mit einem melancholischen Journal intime.
Der omnipräsente Raddatz, der unablässig zwischen Sylt, Berlin, Salzburg, Zürich und Frankfurt hin- und herreist, keine Party und keine Buchmesse verpasst, dieser maximal Vernetzte fürchtet sich vor der Einsamkeit. Vor einsamen Mahlzeiten in der mondänen Hamburger Wohnung, vor einseitigen Freundschaften, vor Kränkungen und Zurückweisungen und er findet auf Schritt und Tritt Bestätigungen seiner Furcht.
Raddatz’ Tagebücher sind ein Gesellschaftsporträt der Bonner und der Berliner Republik. Und sie sind das Selbstporträt eines kosmopolitischen Bundesbürgers, der sich in Paris oder New York wohl und in Deutschland nie ganz zu Hause fühlt, doch nicht los kommt davon. Man kann in Fritz J. Raddatz einen späten Nachfahren Heinrich Heines sehen, über den er tatsächlich ein Buch geschrieben hat. Seine Tagebücher zeigen Raddatz als Mann der Widersprüche - er liebt Männer und Frauen, er ist ein Linker, der ohne Luxus nicht leben kann, er ist Kritiker und Romancier. Vor allem aber ist Fritz J. Raddatz ein moderner Außenseiter im Zentrum des Betriebes.
Besprochen von Ursula März
Fritz J. Raddatz: Tagebücher 1982 – 2001
Rowohlt Verlag, Reinbek 2010
938 Seiten, 34,95 Euro
Raddatz hatte in einem Artikel das Leben Goethes in eine Zeit vorverlegt, in der es bereits Bahnhöfe und Eisenbahnen gab. Ein kleiner Skandal, der einiges über die temperament- und schwungvolle Persönlichkeit des bekennenden Dandy Raddatz aussagt und sein Prestige als Paradiesvogel des intellektuellen Betriebs vergrößerte. Der Vorfall ereignete sich in jenen Jahren, über die ein umfangreicher Band der Tagebücher von Fritz J. Raddatz nun Auskunft gibt.
Sie umfassen die Zeit von 1982 bis 2001 und sie bergen das Stoffpotenzial eines atemberaubenden Gesellschaftsromans. Der Diarist Raddatz erweist sich als Balzac der Bundesrepublik. Als scharfzüngiger Salonintellektueller, der alle kennt, alle Fäden des Kulturbetriebs verfolgt, überall dabei ist und den Klatsch nicht weniger liebt als die Kunst.
Er ist mit Günter Grass, Joachim Kaiser, Paul Wunderlich, Rudolf Augstein, Gabriele Henkel und Dutzenden weiteren Promis aus Kunst und Kultur befreundet. Er macht böse Witze auf Kosten seiner Herausgeberin Gräfin Dönhoff und verachtet den herausragenden Literaturwissenschaftler Hans Mayer tief für seine Eitelkeit - die eigene hat er dabei durchaus skeptisch im Auge.
Lesenswert sind diese Tagebücher nicht nur dank der enormen Fülle kurzweiliger, boulevardhafter Anekdoten und ihrer zeitgeschichtlichen Farbigkeit, sondern auch durch die intime Schonungslosigkeit, in der sich Raddatz präsentiert. Denn der gehobene Gesellschaftsklatsch ist hier verquickt mit einem melancholischen Journal intime.
Der omnipräsente Raddatz, der unablässig zwischen Sylt, Berlin, Salzburg, Zürich und Frankfurt hin- und herreist, keine Party und keine Buchmesse verpasst, dieser maximal Vernetzte fürchtet sich vor der Einsamkeit. Vor einsamen Mahlzeiten in der mondänen Hamburger Wohnung, vor einseitigen Freundschaften, vor Kränkungen und Zurückweisungen und er findet auf Schritt und Tritt Bestätigungen seiner Furcht.
Raddatz’ Tagebücher sind ein Gesellschaftsporträt der Bonner und der Berliner Republik. Und sie sind das Selbstporträt eines kosmopolitischen Bundesbürgers, der sich in Paris oder New York wohl und in Deutschland nie ganz zu Hause fühlt, doch nicht los kommt davon. Man kann in Fritz J. Raddatz einen späten Nachfahren Heinrich Heines sehen, über den er tatsächlich ein Buch geschrieben hat. Seine Tagebücher zeigen Raddatz als Mann der Widersprüche - er liebt Männer und Frauen, er ist ein Linker, der ohne Luxus nicht leben kann, er ist Kritiker und Romancier. Vor allem aber ist Fritz J. Raddatz ein moderner Außenseiter im Zentrum des Betriebes.
Besprochen von Ursula März
Fritz J. Raddatz: Tagebücher 1982 – 2001
Rowohlt Verlag, Reinbek 2010
938 Seiten, 34,95 Euro