"Paradebeispiel für emotionale Intelligenz"

Harald Keller im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 25.05.2011
Nach Ansicht des Journalisten Harald Keller hat die Oprah-Winfrey-Show in den USA der Talkshowkultur eine neue Prägung gegeben. Sie habe den "emotionalen Zugang" zu den Themen gesucht, sagte Keller zum Ende der Show.
Stephan Karkowsky: Kerstin Zilm informierte uns über die Oprah-Winfrey-Show. Wenn heute Nachmittag die allerletzte Ausgabe läuft, dann wird auch der Medienwissenschaftler und Journalist Harald Keller zuschauen. Er hat vor zwei Jahren eine Kulturgeschichte der Talkshows geschrieben. Guten Tag, Herr Keller!

Harald Keller: Schönen guten Tag!

Karkowsky: Hat Operah Winfrey eigentlich eine neue Talkshowkultur geprägt oder ist das im Prinzip altbacken, was sie da macht?

Keller: Nein, sie hat einer bereits eingeführten Sendeform eine neue Prägung gegeben, also sie hat ja begonnen Mitte der 80er-Jahre: Damals waren weibliche Talkshowmoderatoren im amerikanischen Nachmittagsprogramm die absolute Ausnahme, das heißt, allein deswegen wurde diese Sendung, diese Sendeform ganz neu wahrgenommen, vor allen Dingen auch durch die Persönlichkeit Operah Winfreys, die sozusagen das Paradebeispiel für emotionale Intelligenz darstellt. Das heißt, auf diesem Sendeplatz am Nachmittag wurde jetzt nicht mehr nur über Frauen geredet, sondern man hatte den Eindruck, Frauen reden miteinander. Das war sozusagen der neue Aspekt an der Sache.

Karkowsky: Emotionale Intelligenz kennen wir ja auch von Frau Maischberger, Frau Illner, Frau Will. Was macht Operah Winfrey denn anders als diese?

Keller: Also Operah Winfrey ist keine gestandene Journalistin, anders als zum Beispiel Sandra Maischberger oder Frau Illner. Sie kommt im Grunde von den Nachrichten, sie war Nachrichtensprecherin, und sie sucht einfach einen emotionalen Zugang zu den Themen und zu ihren Gesprächspartnern. Und das klappt bei ihr wunderbar. Sie wirkt herzlich, zeigt Anteilnahme, und das auf eine sehr glaubwürdige Art, das hat sie also sehr schnell bekannt gemacht und ihr ein großes Publikum eingetragen.

Karkowsky: Dann ist es also wirklich ihr persönliches Talent, das sie so besonders macht?

Keller: Eindeutig, also ihre Erscheinung auf dem Bildschirm ist das, was diese Sendung ausmacht. Nicht von ungefähr wurde die Sendung binnen Kurzem – die hieß ursprünglich anders – in "Operah Winfrey" umgetauft, einfach, weil sie völlig auf ihre Person zugeschnitten ist.

Karkowsky: Strahlt denn ihr Stil aus in die Welt, also ist auch in Deutschland eine Operahfication zu beobachten?

Keller: Indirekt ja, insofern als eben Operah Winfrey in den USA selber Nachahmerinnen gefunden hat, also das Erfolgsmodell wurde natürlich versucht zu kopieren. Dieser Stil, diese Art Talkshows zu produzieren, fand dann Eingang auch in Deutschland, also in den Nachmittagstalkshows, die wir heute nicht mehr so kennen, die aber zeitweise ja für sehr viele Schlagzeilen und für Medienkritik gesorgt haben. Das waren im Grunde alles Abbilder US-amerikanischer Formate.

Karkowsky: Aber das waren keine Formate, die für einen Grimme-Preis nominiert worden wären.

Keller: Nicht unbedingt. Man hätte sich aber vorstellen können, ... Es gab zum Beispiel einige exzellente Sendungen in der Frühzeit von Hans Meiser, jetzt kein weiblicher Moderator, der zum Beispiel eine Sendung aus einer Jugendhaftanstalt gemacht hat – da hätte man drüber nachdenken können, ob das nicht Grimme-Preis würdig ist.

Karkowsky: Für den monolithischen Erfolg von Operah Winfrey müssen immer ganz viele Faktoren zusammenkommen. Dass sie Milliardärin werden konnte als erste schwarze Frau überhaupt, das muss ja auch daran liegen, dass sie eine gute Geschäftsfrau ist, oder?

Keller: Ganz entschieden, ja. Also sie war so klug, sich relativ früh die Rechte an ihrer Talkshow zu verschaffen, sie ist also alleinige Rechteinhaberin und profitiert von allem, was unter dem Namen Operah Winfrey vermarktet wird. Sie produziert nicht nur die Sendung selber, ihr gehört das Studio, sie produziert diverse Ableger dieser Sendung, sie produziert oder ist Mitinhaberin zweier Zeitschriften, hält ein Teil an einem Sender, tritt im Hörfunk auf und so weiter, also sie ist exzellent vernetzt und eben auch kommerziell tätig.

Karkowsky: Quasi ihr eigener Konzern. Operah Winfrey soll in den USA ja auch ein mächtiger politischer Faktor sein. Was meinen Sie, was konnte sie da bewegen?

Keller: Ja, das bringt ihre Reichweite natürlich mit sich, die ich eben beschrieben habe, also nicht nur über ihre eigenen Sendungen, sondern auch über ihre Hörfunktätigkeit, über ihre publizistische Tätigkeit. Sie ist schon ein kleiner Machtfaktor.

Beispiel: Vor der letzten Präsidentschaftswahl wurde auch in seriösen Blättern darüber spekuliert, wem Operah ihre Gunst gewähren würde. Also sie stand auf der demokratischen Seite, die Wahl war für sie zwischen Hillary Clinton oder Barack Obama, und nach langem Zögern hat sie sich dann für Barack Obama entschieden, und es gibt ernsthafte politische Kommentatoren, die sagen: Durch Operas Unterstützung ist er Präsident geworden.

Karkowsky: Wie groß ist denn Operahs Bedeutung insgesamt für die Schwarzen und Frauenbewegung? Wie schätzen Sie das ein?

Keller: Das ist für sie ein recht wesentliches Thema. Also sie hat sehr häufig schwarze Künstler zu Gast, Unterhaltungskünstler, aber auch Buchautoren und -autorinnen und so weiter. Das ist ihr ganz wesentlich, das in ihrer Sendung zu vertreten, das gehört auch in ihre Philosophie, die sie da verbreitet, nämlich: Mach das Beste aus deinem Leben. Dann lädt sie zum Beispiel – um das zu illustrieren – junge Unternehmerinnen ein, afroamerikanische Unternehmerinnen, die es aus eigenem Antrieb, so wie Operah, die das ja vorgelebt hat, zu einem gewissen wirtschaftlichen Erfolg gebracht haben. Das sind also dann sozusagen Rollenmodelle, die sie empfiehlt, denen sollte man nachahmen.

Karkowsky: Nun gibt es also heute Nachmittag die allerletzte "Operah Winfrey"-Show, danach gibt es Operah nur noch auf dem eigenen Fernsehsender zu sehen. Wie wird der Abschluss, was konnten Sie rausfinden über diese letzte Sendung?

Keller: Also es ist eine Doppelfolge wohl geplant gewesen mit sehr vielen Stars, also Operah Winfrey ist ja auch in der Showbranche sehr tief verankert und gut vernetzt, sie produziert selber Filme und agiert auch als Schauspielerin, das heißt, da kommen sehr viele Stars. Angekündigt waren Madonna, Aretha Franklin, Stevie Wonder, Jamie Fox, Usher, Alicia Keys und noch einige andere.

Karkowsky: Da würde sich Thomas Gottschalk drüber freuen. Wird sich denn Operahs Erfolgsserie im eigenen Sender "OWN" fortsetzen, oder hat sie den Zenit ihrer Karriere bereits überschritten?

Keller: Das ist eine spannende Frage, darüber wird auch schon spekuliert. Also der Sender existiert ja bereits, der hat am 1.1. angefangen zu senden, allerdings bislang mit sehr mäßigem Erfolg, was daran liegt, dass das Programm aus Kochsendungen, Doku-Soaps, Talk- und Ratgebershows jetzt nicht so sensationell ist, sondern da gibt es sehr viele Konkurrenten mit gleichen Angeboten.

Man wartet jetzt darauf, dass Operah mit ihrer eigenen Sendung beginnt, das wird eine Talkshow natürlich, mit dem Titel "Operah’s Next Chapter", die dann aber nur noch zwei bis drei Mal pro Woche im Abendprogramm zu sehen sein wird. Ob das dem Sender dann zugute kommt, ob es die Quoten nach oben treibt, bleibt abzuwarten.

Karkowsky: Eine beispiellose Karriere geht in das nächste Level: Vor der letzten "Operah-Winfrey"-Show der Medienwissenschaftler Harald Keller. Sein Buch heißt "Die Geschichte der Talkshow in Deutschland". Herr Keller, herzlichen Dank!

Keller: Ich danke auch!