Papst untersagt Laien leitende Funktionen

Bischöfe zeigen Rom die rote Karte

07:41 Minuten
Papst Franziskus sitzt im Vatikan im Petersdom während einer Messe am 29.Juli 2020.
Unberührt von den Bedürfnissen der Gemeinden zeigt sich der Vatikan in seinem neuen Schreiben. © ANSA Pool/ AP Images/ Angelo Carconi
Thomas Schüller im Gespräch mit Dieter Kassel · 25.07.2020
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Der Vatikan untersagt katholischen Laien leitende seelsorgerische Aufgaben. Der Kirchenrechtler Thomas Schüller aus Münster spricht von einem "selten schlechten Text" voller Paradoxien. Die Kleruskongregation in Rom nehme die Wirklichkeit nicht wahr.
Dieter Kassel: Die Kleruskongregation des Vatikans hat in dieser Woche ein Schreiben veröffentlicht, das klar besagt, dass Laien in Gemeinden keine Funktionen von Priestern übernehmen dürfen und dass Gemeinden nicht zusammengelegt werden dürfen - zumindest nicht aufgrund von Priestermangel.

Das sind schlechte Nachrichten für die katholische Kirche in Deutschland. Von der gab es auch schon heftige Kritik an diesem Schreiben aus Rom. Wir sprechen mit Thomas Schüller, dem Direktor des Instituts für Kanonisches Recht an der Universität Münster. Herr Schüller, wenn man sich die Liste der Organisationen und Personen in Deutschland ansieht, die diese Ansage aus dem Vatikan schon kritisiert haben, dann verliert man schnell die Übersicht. Das reicht von "Kirche von unten", das war relativ erwartbar, über die Deutsche Bischofskonferenz zu einzelnen Bischöfen, zum Beispiel dem von Mainz und dem von Osnabrück. Können Sie diese Ansage aus dem Vatikan denn in irgendeiner Form verteidigen?

"Einer der schlechtesten Texte der letzten Jahrzehnte"

Thomas Schüller: Nein, das fällt mir äußerst schwer, weil das ein sehr schlecht geschriebener Text ist. Es dürfte einer der schlechtesten Texte der letzten Jahrzehnte sein. Er enthält Highlights, wie am Anfang, wo er die Situation sehr positiv beschreibt, dass wir uns in einem totalen Wandlungsprozess befinden, dass die Situation der Seelsorge sich verändert. Da kommt er sehr franziskanisch daher - so wie Papst Franziskus her, die Charismen der Gläubigen. Dann aber wechselt er im normativen Teil – und das ist in jüngster Vergangenheit aus römischen Papieren häufig zu beobachten – in eine total klerikale Sichtweise.

Dann wird der Priester, der Pastor zur mythischen Gestalt erhoben, auf die alles hin geordnet ist. Man hat also den Eindruck, die Pfarrei ist nicht um ihrer selbst willen wichtig, sondern damit es dem Pastor gut geht. Und allen Beteiligungsformen, aller Mitverantwortung der Gläubigen - das ist ja in deutschen Diözesen jetzt der Weg - wird eine Absage erteilt, bis hin zu Skurrilitäten, dass also Priester und Pfarrer, die kein eigenes Haus mehr haben, zu Mutter und Vater zurückkehren sollen, so nach dem Motto, ein Priester ist nicht in der Lage, seine eigene Wohnsituation zu klären. Ein selten schlechter Text, der natürlich entsprechende Reaktionen hervorgerufen hat.

"Die nehmen die Wirklichkeit nicht wahr"

Kassel: Wir sollten mal den offiziellen Titel dieses Textes in deutscher Sprache nennen, der sagt auch schon einiges. Ich zitiere: "Die pastorale Umkehr der Pfarrgemeinde im Dienst an der missionarischen Sendung der Kirche". Das klingt für mich – und auch das, was Sie jetzt selber schon beschrieben haben über den Inhalt – doch sehr so, als käme es gar nicht vom Papst persönlich, sondern von den vielen alten Männern im Vatikan, die Papst Franziskus ja selbst schon kritisiert hat und von denen man so ein bisschen geglaubt hat, die würde er am liebsten loswerden.
Schüller: Das ist eines der seltsamen Phänomene dieses Schreibens. Papst Franziskus ist ja jemand, der ganz deutlich macht: Die Leute sollen dezentral, also vor Ort, entscheiden, was jetzt richtig ist. In Afrika sieht die Situation anders aus als in Asien oder in Westeuropa. Dezentralisierung ist ein großes Stichwort. Er hat in dem nachsynodalen Schreiben zur Amazonas-Synode auch geschrieben: Es ist gut, dass dort, wo es keine Priester gibt, begabte Frauen und Männer aus dem Volke Gottes die Gemeinden leiten und das Evangelium verkünden. Und er unterschreibt jetzt ein Papier – und hat es sich, das muss man wissen, dadurch zu eigen gemacht –, das genau das Gegenteil verkündet. Das sind Paradoxien, die man nicht hinbekommt.

Ich würde sagen "the curia rules", also die Kurie regiert. Das ist genauso wie in deutschen Kommunalparlamenten oder Landtagen oder im Bundestag: Wer unter mir Dezernent, wer unter mir Minister ist, das ist uns egal, wir ziehen die klerikale Position durch. Und die Kleruskongregation hat dies jetzt tatsächlich in Perfektion vorgeführt, als gäbe es auf der Welt keine andere Situation. Das ist übrigens der Hauptvorwurf: Die nehmen die Wirklichkeit nicht wahr - das ist das Allerschlimmste.

Die Laien als "Schafe, die zu blöken haben"

Kassel: Es ist merkwürdig: Erst in dieser Woche, am vergangenen Mittwoch, hat der Papst in nur zwei Sprachen – Italienisch und Deutsch – bei einer großen Audienz gesagt, die Laien seien eine der Säulen der katholischen Kirche. Jetzt mal streng nach kanonischem Recht genommen: Was sind sie denn eigentlich wirklich? Welche Rolle dürfen sie da spielen?
Schüller: Es gibt schon einen Wandel durch das Zweite Vatikanum, das sie zu Subjekten erklärt werden. Man muss deutlich sagen, bis weit in das 20. Jahrhundert waren sie Objekte der Seelsorge, sie waren zu pastorieren, sie waren Schäflein – dieses Motiv kommt ja auch jetzt in der Instruktion wieder vor. Das Zweite Vatikanum hat gesagt, sie sind durch Taufe und Firmung begabt, selber das Evangelium zu verstehen und weiterzugeben. Das ändert aber natürlich nichts daran – und das muss ich natürlich fairerweise sagen –, dass wir in einer streng hierarchischen Kirche sind, die natürlich von den Klerikern geleitet wird. Das kann ich als Kirchenrechtler nicht in Abrede stellen.

Aber es war wenigstens der Versuch, die Taufwürde, die Taufgnade ernst zu nehmen. Diesem erteilt dieses Papier eine klare Absage. Sie sind Befehlsempfänger, sie sind Schafe, die zu blöken, aber nichts zu sagen haben. Das ist ungefähr die Quintessenz.

"Das ist wirklich absurd"

Kassel: Aber wenn wir jetzt mal praktisch denken: Dieses Papier verbietet ja streng genommen mindestens zwei Dinge - den Einsatz von Laien an hohen Positionen und die Zusammenlegung von Gemeinden ohne hinreichenden Grund. Und Priestermangel ist ausdrücklich kein hinreichender Grund. Man kann also die Gemeinden nicht zusammenlegen und Laien dürfen keine Gottesdienste halten. Wie soll das in Deutschland umgesetzt werden?
Schüller: Sie haben die Paradoxie auf den Punkt gebracht. Das ist wirklich erschreckend, dass im Papier drinsteht, weder Gläubige, Priester- noch Finanzmangel rechtfertigen eine Zusammenlegung. Aber was denn sonst? Das ist wirklich absurd. Und das Zweite ist: Längst sind ja schon qualifizierte Frauen und Männer in den verschiedensten Funktionen leitend tätig - auch in der Schweiz und in Österreich. Dem wird eine Absage erteilt – es darf ja überhaupt nichts mit Leitung vorkommen.

Dabei ist die Geschichte der römisch-katholischen Kirche, so hierarchisch und klerikal sie auch immer verfasst gewesen sein mag, immer auch eine Geschichte dessen, dass qualifizierte Frauen und Männer in vielen Bereichen Leitungen übernehmen durften. Da bricht die Kleruskongregation mit der eigenen Geschichte und Tradition. Sie sendet also Botschaften, die man nicht zusammenbekommt und die noch mal wirklich die miserable Grundstruktur dieses Papiers zeigen – also in Universitätsschulen würde ich sagen: mangelhaft, sitzengeblieben.

Protestierende Bischöfe

Kassel: Bleiben wir bei den praktischen Fragen: Was können die deutschen Bistümer denn jetzt machen? Ich formuliere das vorsichtig, aber der Bischof von Osnabrück hat aus meiner Sicht etwas gesagt, in dem zwischen den Zeilen auch anklingt, dass er nicht bereit sei, zumindest die bereits erfolgten Zusammenlegungen von Gemeinden rückgängig zu machen. Können sich die deutschen Bistümer dieser Anweisung teilweise verweigern?

Schüller: Sie tun es. Es haben sich mittlerweile ja noch mehr Bischöfe zu Wort gemeldet, darunter Erzbischof Schick, der in seinem ersten Leben Kirchenrechtsprofessor war, ein Kollege, den ich gut kenne. Was die machen, ist kirchengeschichtlich zwar kein Novum, aber es ist kirchenrechtlich äußerst selten. Was jetzt geschieht: Sie remonstrieren. Auf Deutsch: Sie weisen zurück. Sie sagen also klipp und klar: Ihr könnt schreiben, was ihr wollt - das passt nicht zu unserer Situation, das ist nicht anwendbares Recht. Eine Instruktion ist ja immer eine Anwendungsbestimmung zu geltendem Recht.
Ahnlich haben es heute der Erzbischof von Freiburg gesagt, der Bischof von Rottenburg-Stuttgart und der Bischof von Würzburg. Sie sagen: Das hilft uns nicht, wir gehen den Weg weiter, dass wir - , weil wir keine Priester mehr haben - mit Frauen und Männern verantwortliche, missionarische Kirche sind.

Das finde ich eigentlich das Spannendste, das habe ich in meinen sechs Lebensjahrzehnten in dieser Form noch nicht erlebt, außer in meiner Zeit in Limburg, als Bischof Franz Kamphaus, dessen Büro ich geleitet habe, in der Schwangerschaftskonfliktberatung gesagt hat: Nein, ich steige da nicht aus, obwohl Papst Johannes Paul II. den Ausstiegsbefehl erteilt hat. Jetzt trauen sich wenigstens die reformorientierten Bischöfe, Rom wirklich die Rote Karte zu zeigen und die Stirn zu zeigen. Wohin das führt, ist noch offen.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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