Papst, Pannen und Protest

Von Norbert Sommer · 28.03.2009
Ende Januar erließ Papst Benedikt XVI. ein Dekret, das die Exkommunikation der vier Bischöfe der Priesterbruderschaft Pius X. beendete. Der Sturm der Entrüstung über diesen einseitigen Schritt der Versöhnung war groß, besonders weil unter den Rehabilitierten auch der Holocaust-Leugner Richard Williamson war. Das späte Entschuldigungs- bzw. Erklärungsschreiben des Papstes konnte die Wogen des Protestes kaum mildern.
Eine solche Erschütterung wie jetzt nach der Aufhebung der Exkommunikation der vier illegal geweihten Bischöfe der Pius-Bruderschaft hat es seit 1968 nicht mehr in der katholischen Kirche gegeben. Damals war das päpstliche Lehrschreiben "Humanae vitae", verkürzt als "Pillen-Enzyklika" bezeichnet, Anlass für heftige Reaktionen , für Kritik, ja Protest und offensichtlich weitgehende Missachtung des Verbots sogenannter künstlicher Verhütungsmittel durch Papst Paul VI.

Damals hatte die 68er-Protestbewegung auch auf die katholischen Gläubigen stimulierend gewirkt. Es war die Geburtsstunde des "Kritischen Katholizismus" und der späteren innerkirchlichen Bewegungen wie "Kirche von unten" und "Wir sind Kirche".

Viele Katholiken, geprägt vom Aufbruch und den Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils, meldeten sich zu Wort und fanden dabei zum Beispiel in den Bischofskonferenzen in Deutschland und Österreich Verbündete, als diese in eigenen Erklärungen die Aussagen der Enzyklika entschärften und der Gewissensentscheidung der Eheleute Vorrang einräumten.

1968 war es also ein Streit um eine päpstliche Weisung für einen eng begrenzten Bereich menschlicher Existenz. Bei der jetzt erfolgten einsamen Entscheidung von Papst Benedikt XVI., die Lefebvre-Bischöfe zumindest in puncto Exkommunikation zu rehabilitieren, regte sich der Protest an der Basis wegen viel grundsätzlicherer Fragen. Es geht um das Konzil, das die Piusbruderschaft in weiten Teilen ablehnt. Es geht um die Glaubwürdigkeit und Reformfähigkeit der Kirche, wenn der Papst ausgerechnet den Konzilsgegnern die Hand reicht .Der Hamburger Weihbischof Werner Thissen dazu:

"Ich möchte, dass das unsichere Fragen in den Gemeinden, ja wie ist das jetzt mit dem Konzil, gilt das denn jetzt oder nicht? Das muss ein Ende haben. Es muss deutlich sein: Ja, das gilt!"

Der Saarbrücker Pfarrer Benedikt Welter antwortet auf die Frage nach der Stimmung in seiner Gemeinde :

"Von Stimmung ist, glaube ich, schwer zu sprechen. Es beschäftigt die Leute, es treibt sie auch um. und es gibt auch direkte Anfragen an meine Person. Wir werden deshalb im Rahmen des Pfarrgemeinderates eine Veranstaltung in nächster Zeit anbieten, um gemeinsam über die wichtigsten Dokumente und Stellungnahmen zu sprechen."

Damit aber ist es längst nicht getan. Der Chefredakteur der katholischen Wochenzeitung "Christ in der Gegenwart, Johannes Röser, informiert seine Leserschaft unerwartet kritisch über die Papst-Initiative und anschließend über die Reaktionen auf die Exkommunikations-Aufhebung, besonders auch die des Shoah-Leugners Richard Williamson:

"Außergewöhnlich viele Protestschreiben gingen an Bischöfe, Pfarrer und an die Medien. Viele fürchten, dass die Reformanstöße des Zweiten Vatikanischen Konzils definitiv zurückgenommen werden sollen. Nicht wenige sehen ihre Sorgen durch längere restaurative Tendenzen bestätigt. Auch unsere Redaktion hat eine Flut von Briefen mit erschütternden Stellungnahmen erreicht. So viel Post zu einem Thema und derart einmütig - das hatten wir noch nie erlebt. Viele bewegende Rückmeldungen kamen von Priestern, die große Not verspüren und die sich bedanken, dass wenigstens 'Christ in der Gegenwart' ihnen aus der Seele spreche, sie tröste. Nur sehr wenige Briefe verteidigen die vatikanische Maßnahme."

Der Saarbrücker Pfarrer nennt mehrere Gründe für den offensichtlichen Ärger unter seinen Gläubigen über den ganzen Vorgang:

"Es gibt Ärger darüber, dass es Reaktionen gab, die von vornherein auch auf dem Mainstream mit auf den Papst einschlugen, wo dann Gläubige auch eine Art Grundsolidarität mit dem Papst vermissen ließen. Dann gibt es Ärger natürlich darüber, dass die katholische Kirche in einer nicht näherhin informierten Öffentlichkeit so erscheint, als wäre Antisemitismus eine hoffähige Anschauung. Diese Gemengelage, auf der einen Seite sich angegriffen zu fühlen, weil man katholisch ist, obwohl man das ganz anders versteht, als es von dieser Seite her getan wird, als auch eine ungerechtfertigte Behandlung, was die Person des Papstes angeht als auch die Unklarheit darüber, worum geht es jetzt eigentlich. Das ist die Gemengelage."

Den großen Ärger, dass der Papst mit seiner Entscheidung eine traditionalistische Gruppierung hoffähig macht und für das Ziel der Einheit mit ihnen neue, viel tiefer gehende Spaltungen in Kauf nimmt, erwähnt der Pfarrer seltsamerweise nicht. Dies aber war der eigentliche Anlass für die große Protestbewegung.

Neu in diesem Szenario römisch-katholischen Protests war im übrigen die zeitweise Solidarisierung zahlreicher Bischöfe. Sie hielten nicht hinter dem Berg mit ihrer Enttäuschung, dass Benedikt XVI. wieder einmal ohne Rücksprache und Information der Bischofskonferenzen Fakten geschaffen hat, deren Folgen die Bischöfe vor Ort zu spüren bekommen. Die Auseinandersetzungen gipfelten schließlich in gegenseitigen Beschuldigungen, in Spannungen und Differenzen innerhalb der Bischofskonferenz und sogar innerhalb der Kurie in Rom. Während die einen offen die bedingungslose Versöhnung mit den Pius-Brüdern als Fehlentscheidung mit unabsehbaren Folgen hinstellten, kritisierten die anderen, hier besonders die bayerischen Bischöfe, die unverhohlene Kritik am Papst.

Besonders offen waren österreichische Bischöfe mit ihrer Kritik So sprach Bischof Manfred Scheuer von Innsbruck von einer "Selbstdemontage des Lehramtes" und fügt hinzu:

"Beim Zweiten Vatikanum geht es nicht um Marginalien, sondern um Grundfragen unseres Glaubens. Es geht um den universalen Heilswillen Gottes und um die Wurzeln des christlichen Glaubens, die im Judentum liegen...Wenn die Einheit der Kirche dadurch erreicht werden soll, dass wesentliche Errungenschaften des Zweiten Vatikanums negiert werden, so wäre dies keine Einheit, sondern eine neue Spaltung."

Ähnlich äußert sich der Salzburger Erzbischof Alois Kothgasser:

"Wer das Zweite Vatikanische Konzil ablehnt, befindet sich nicht mehr auf dem Boden der römisch-katholischen Kirche. Nach all den Aussagen von Mitgliedern der Piusbruderschaft in letzter Zeit über wichtige Beschlüsse des Konzils ist nicht zu erwarten, dass es zu einer Wiedervereinigung kommen kann, wenn die Bedingungen dafür nicht eindeutig und klar formuliert sind. Es ist höchst bedauerlich, dass wir uns mit diesen Fragen auseinandersetzen müssen in einer Zeit, in der der Dienst am Evangelium und an den Menschen unsere ganze Hingabe und unseren verstärkten Einsatz erfordert."

An der kirchlichen Basis wird der Streit nicht minder heftig ausgetragen. So initiierte die Kirchenvolksbewegung "Wir sind Kirche" eine internationale Unterschriftenaktion "Petition Vatikanum 2", in der sie vor der Gefahr warnt, dass innerhalb der Kirche einzelnen Gruppierungen wie der Piusbruderschaft das Recht eingeräumt wird, vom Konzil abzurücken.

Dagegen setzten die Erzkonservativen eine Aktion "Pro Benedikt". Zusätzlich starteten die Piusbrüder eine eigene Sympathie-Kampagne für den Papst. Dahinter steckt ihre Überheblichkeit, sie seien die wahren Hüter des katholischen Glaubens und müssten Rom bekehren. Der deutsche Distriktobere Franz Schmidberger drückte es so aus:

"Außerdem braucht der Papst Verbündete, Männer mit Glaubenskraft, die ihm helfen, den christlichen Glauben in Europa wieder auszubreiten."

Die Piusbruderschaft sieht sich verfolgt und gleichzeitig als verbündet mit dem Papst. Regens Stefan Frey von deren Priesterseminar in Zaitzkofen klagte deshalb:

"Seit über einem Monat fegt der tornadoartige Sturm der Medienhetze gegen unsere Priesterbruderschaft und den Papst über uns hinweg. Wenn er mittlerweile auch etwas abzuebben scheint, so ist ein Ende noch nicht absehbar...Die Geistesschlacht hat also erst begonnen. Sagen wir also mutig und mannhaft! Unterstützen wir den Papst mit unseren Gebeten! Gott hat in seiner weisen Vorsehung diesen Ausbruch der Verfolgung, des Hasses und der Verleumdungen zugelassen. Selig sind wir, wenn wir uns mit dem verfolgten und verdemütigten Heiland vereinigen. Erkennen wir in den gegenwärtigen Ereignissen die 'Strategie Gottes': Pius X. nannte als moralische Ursachen des Modernismus den Stolz und die Neuerungssucht."

Fast gleichlautend beklagten sich zwei bayerische Bischöfe. Bischof Ludwig Müller von Regensburg meinte:
"In den letzten Wochen ist wieder einmal versucht worden, das Bild der Kirche in der Öffentlichkeit zu ramponieren."

Der Augsburger Bischof Walter Mixa nahm den Papst in Schutz:

"Ich hatte das Gefühl wirklich, dass man ihn zu Unrecht angegriffen hat. dass man gemeint hat, mit dieser Auflösung würde er sich solidarisieren mit der Piusbruderschaft. Und das ist in keiner Weise der Fall."

Der Brief von Papst Benedikt XVI. an alle Bischöfe war eine späte Reaktion auf die weltweite Kritik. Darin spricht er verharmlosend von zwei Pannen und versucht gleichzeitig sein Handeln zu rechtfertigen. Er spart darin aber auch nicht an harten Worten wie " feindselige Attacken selbst aus Kirchenkreisen, die es besser hätten wissen müssen". Er fühlt sich beleidigt und in keiner Weise verantwortlich für das durch ihn ausgelöste Debakel. Es waren die österreichischen Bischöfe, die dem Papst zwar für den Brief dankten, aber auch den Satz hinzufügten:

"Ihr Schreiben lässt den Schmerz erahnen, der Sie in diesem Zusammenhang getroffen hat, der aber auch viele Ortskirchen und Menschen außerhalb der Kirche erfasst hatte."

Von "vielen guten Katholiken", die verwirrt und enttäuscht seien, sprach Erzbischof Robert Zollitsch. Und der Freiburger Dompfarrer Claudius Stoffel fügte hinzu:

"Immer mehr Menschen bekunden ihre Absicht, aus der Kirche auszutreten."

Und das war nicht nur in Freiburg so. Überall war von teilweise massenhaften Austritten zu hören. Und das ist wohl die schlimmste Folge des päpstlichen Alleingangs. In der Schweiz war man deshalb bemüht, mit einer Aktion "Auftreten statt austreten" diesem Trend entgegenzuwirken. Solange das Auftreten vom Papst und einzelnen Bischöfen als feindselige Attacke betrachtet wird, lässt sich die Austrittswelle wohl nicht so leicht stoppen.