Papst-Enzyklika

"Wir leben auf Kosten anderer"

Papst Franziskus während einer Sondermesse für armenische Katholiken in der Basilika des Petersdomes
Papst Franziskus während einer Messe: Er fragt aus der Perspektive derer, "die am Rand stehen". © picture alliance / dpa / EPA / GIORGIO ONORATI
Stefan Vesper im Gespräch mit Nana Brink · 18.06.2015
Im aktuellen Rundschreiben von Papst Franziskus, der sogenannten Enzyklika, steht das Thema Umwelt im Mittelpunkt. Daran anknüpfend fordert der Generalsekretär des Zentralkomitees der Katholiken, Stefan Vesper, den Westen auf, seine Konsummuster zu überdenken.
Das Zentralkomitee der Katholiken in Deutschland sieht in der neuen Enzyklika von Papst Franziskus ein Angebot an alle Menschen weltweit. Generalsekretär Stefan Vesper sagte im Deutschlandradio Kultur, die Enzyklika sei zuerst einmal für die 1,2 Milliarden Katholiken gedacht. Zunehmend richteten sich die päpstlichen Rundschreiben aber auch "an alle Menschen guten Willens" und an jene, die Orientierung suchten und wissen wollten, "was die Katholiken denken". Letztlich sei es "ein Angebot an die ganze Menschheit, zur Debatte und zum Austausch".
Der Papst kann immer nur eine weite Perspektive einnehmen
Zum Thema der aktuellen Enzyklika sagte Vesper, es sei sehr wichtig, dass der Westen seine Konsummuster überdenke. "Wir leben auf Kosten anderer Menschen und das (...) muss verändert werden", forderte er. Als Leidtragende des westlichen Lebensstils nannte er die Armen weltweit und nachfolgende Generationen: Fast eine Milliarde Menschen werde voraussichtlich wegen des Klimawandels den Lebensraum verlieren. "Wir müssen Wege finden, gemeinsam in einer Menschheitsfamilie auf alle zu achten", so Vesper.
Ein Papst könne immer nur eine weite Perspektive einnehmen, sagte der Generalsekretär – und nicht politische Entscheidungen in einem einzelnen Land beeinflussen. Das sei dann Aufgabe der Christen im Land selber. Franziskus stelle die Katholiken vor große Herausforderungen, betonte Vesper. Er frage sie aus der Perspektive "derer, die am Rande stehen", an.

Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Gott vergibt immer, wir, die Menschen, vergeben manchmal, die Natur vergibt aber nie, hat Papst Franziskus mal ein Sprichwort zitiert und die enormen Abholzungen im Amazonas beklagt. Er kommt ja aus Lateinamerika, aus Argentinien. Seit einem Jahr arbeitet der Papst an seiner Enzyklika, die wird heute vorgestellt um zwölf Uhr, und es ist ja schon einiges durchgesickert, wie seine Kritik an Umweltverschmutzung und dem Raubbau an der Natur.
Das Wort Enzyklika, nur noch mal, damit wir es verstanden haben, kommt ja aus dem Griechischen, bedeutet einfach Rundschreiben. Es reflektiert die Lehrmeinung des katholischen Kirchenoberhauptes und meistens nimmt er ja Stellung zu innerkatholischen Fragen oder theologischen. Aber wie nicht anders zu erwarten von diesem engagierten Papst aus Lateinamerika, widmet er sich einem ganz aktuellen Thema, nämlich der Umwelt, der Schöpfung, wie er es wohl ausdrücken wird. Und mit Spannung wird nun diese Enzyklika erwartet. Übrigens auch zum ersten Mal in Spanisch geschrieben, das ist auch nicht selbstverständlich!
Stefan Vesper, Generalsekretär des Zentralrats der Katholiken in Deutschland, ist jetzt bei uns, guten Morgen, Herr Vesper!
Stefan Vesper: Guten Morgen, Frau Brink!
Brink: Für wen sind denn eigentlich diese Enzykliken immer gedacht? Gibt es da so was wie eine Zielgruppe?
Vesper: Ja, es sind ja päpstliche Rundschreiben, wie Sie schon gesagt haben, die sich an die katholische Weltkirche richten, also zunächst einmal an die Katholiken weltweit, 1,2 Milliarden Menschen. Aber zunehmend wenden sie sich auch – und das finde ich gut und wichtig – an alle Menschen guten Willens, das heißt also, nicht nur an die Katholiken, sondern an alle Menschen, die Orientierung suchen, die wissen wollen, was die Katholiken denken, die mit ihnen ins Gespräch kommen wollen. Und insofern ist es ein Angebot eigentlich an die ganze Menschheit zur Debatte und zum Austausch.
Brink: Hat er sich deshalb auch darauf besonnen, es nicht innerkatholisch zu belassen, sondern so ein Thema zu nehmen, was ja irgendwie alle Menschen bewegt?
Vesper: Ja, viele Enzykliken beschäftigen sich mit Themen, die alle Menschen bewegen. Unser deutscher Papst Benedikt hat über Gott als die Liebe gesprochen, er hat über die Hoffnung eine Enzyklika gemacht oder die Liebe in der Wahrheit. All das sind ja Themen, die alle Menschen berühren, die Hoffnung gehört zum Urmenschlichen dazu.
Dieses Sendschreiben, was heute kommt, ist ja sicher einzuordnen in die sozial- und gesellschaftlichen Enzykliken, und da hat er sich die Ökologie auf die Fahnen geschrieben. Andere Päpste haben das auch schon getan, aber noch nie in einer eigenen Umweltenzyklika. Insofern sind wir gespannt auf das, was da kommt.
Brink: Es soll ja heute Mittag vorgestellt werden, es ist natürlich, was den Vatikan übrigens sehr verärgert hat, schon einiges durchgesickert, angeblich ist da eine Kopie aus den Mauern entfleucht. Fragt man sich, wie kann das eigentlich passieren! Zumindest weiß man, dass er wohl massiv Kritik üben wird an der Umweltverschmutzung, an dem Raubbau an der Schöpfung, wie er es ausdrücken wird. Was sagt uns das?
Vesper: Ja, ich glaube, dass es sehr wichtig ist, dass wir unsere Konsummuster und unseren Lebensstil überdenken. Wir hier im Westen und wir im Norden. Der Papst kommt ja aus dem Süden und es ist ein ganz wichtiges Faktum, dass er als einer der letzten und wenigen Menschheitsautoritäten uns solche Fragen stellt, wie wir uns das vorstellen, dass die Armen überleben dürfen, dass die Armen nicht weiter ausgebeutet werden.
Denken Sie an den Klimawandel, der eben viele, viele Menschen, Millionen, ja fast eine Milliarden Menschen treffen wird, die eben durch den Klimawandel und durch das Anheben des Meeresspiegels ihren Lebensraum verlieren werden.
Die Päpste haben in den letzten Jahrzehnten immer wieder unbequeme Fragen an uns alle gestellt. Ich denke an, vor knapp 50 Jahren hat Papst Paul VI. in "Populorum progressio" das Privateigentum insofern infrage gestellt, als er gesagt hat, Privateigentum ist für niemanden ein unbedingtes und uneingeschränktes Gut, sondern es ist immer sozialpflichtig.
Und jetzt kommt Papst Franziskus und wird uns zur Ökologie und zu unserem Lebensstil – so erwarte ich es – unangenehme Fragen stellen, Fragen, die aber in der Kirche und auch außerhalb der Kirche von vielen gestellt werden. Die hohe Aufmerksamkeit wird zu Recht erfolgen und hoffentlich gibt es einen gemeinsamen Anstoß auch im Blick auf politische Bewegungen, etwa auf die Klimakonferenz in Paris in diesem Dezember.
Brink: Genau vor diesem Hintergrund hat er es ja auch geschrieben, das ist bekannt. Nun wird er auch massiv – Sie haben es schon angedeutet – auch Kritik am Kapitalismus, also an der Praxis des Kapitalismus, wie wir ihn hier pflegen, führen. Das geht ja vielen zu weit. Wie ist das in Deutschland, wie wird das bei Ihnen diskutiert?
Vesper: Na, wir müssen ja erst mal auf den Text warten und wirklich diesen Text lesen.
Brink: Nun gut, aber dass er das tut, weiß man ja, schon bei Amtsantritt hat er da ja mit Kritik nicht gespart.
Vesper: Die Grundfrage heißt doch: Leben wir auf Kosten der Armen schon heute und leben wir auf Kosten der nachkommenden Generationen? Wie können wir unser Handeln verantworten? Ich nenne das ganz alte Thema der Atomkraft. Wie können wir etwas verantworten, dass wir mit etwas umgehen, dessen Folgen wir über Jahrzehnte, Jahrhunderte und Jahrtausende bis jetzt jedenfalls nicht im Griff haben? Sie kennen die ganzen Debatten in unserem Land über Endlagerungen und so weiter. Wie können wir eine verantwortbare Politik gestalten?
Und hier gibt es durch den Papst, so hoffe ich, nachher Anstöße, aber auch kritische Fragen an uns, und kritische Fragen muss man sich gefallen lassen. Denn wir leben auf Kosten anderer Menschen und das, finde ich, muss verändert werden. Wir müssen Wege finden, gemeinsam in einer Menschheitsfamilie auf alle zu achten.
Brink: Verstehe ich Sie dann richtig, dass der Zentralrat der Katholiken in Deutschland dann einen politischen Papst, so, wie er sich präsentiert, befürwortet?
Vesper: Die Päpste waren immer politisch in ihrer jeweiligen, eigenen Art. Dieser Papst stellt uns wirklich vor Herausforderungen, er ist der erste Papst, der in einer Millionenstadt – 15 Millionen hat Buenos Aires, glaube ich – gelebt hat, der von dieser Perspektive aus derer, die am Rande stehen, uns kritisch anfragt. Und die am Rande stehen, sind auch in Deutschland, sind auch Flüchtlinge, sind auch Arme hier.
Und insofern ist es immer ein politischer Papst gewesen und er wird uns jetzt ganz besonders nach unserem Lebensstil fragen. Und ich glaube, dass wir uns mit seinen mahnenden Worten auseinandersetzen müssen.
Brink: Also ist es richtig, dass er auch aktuell eingreift?
Vesper: Ein Papst kann immer nur eine Weltklammer, eine weltweite Perspektive einnehmen und nicht für ein bestimmtes Land, bestimmte politische Entscheidungen in diesem Land beeinflussen. Das ist die Aufgabe der Christen im Land selber, dass man schaut, ist unser Land so, dass es im Energiebereich vernünftig agiert, dass wir in unserer Marktwirtschaft sozial handeln, dass wir ökologisch sensibel sind. Ich glaube, dass wir in unserem Land weiter sind als in anderen Ländern, aber auch wir haben noch viel zu tun.
Brink: Stefan Vesper, der Generalsekretär des Zentralrates der Katholiken in Deutschland. Danke, Herr Vesper, für das Gespräch hier in "Studio 9". Und heute Mittag wird die neue Umweltenzyklika des Papstes, von Papst Franziskus vorgestellt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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