Papa Bach und seine Söhne
Der Tenor Christoph Genz ist einer der Stimmstars beim Bachfest in Leipzig. Das Thema ist diesmal "Bach und seine Söhne". Doch erst einmal geht es um den Vater Johann Sebastian: Geboten wird unter anderem eine überarbeitete Fassung der Johannes-Passion.
"Bach und seine Söhne" ist das diesjährige Thema des Bachfestes in Leipzig, aber vor den Söhnen kommt immer noch der Vater, zum Beispiel mit seiner Johannes-Passion.
Nicht schon wieder die Johannespassion. Nein, doch schon wieder, denn Bach hat seine Passion oft überarbeitet, so oft, dass man mit Fug und Recht von einer Passion als Baustelle sprechen kann: "Bach and St John under construction". Faszinierend und irritierend zugleich: Was konnte dem Publikum in Leipzig Besseres passieren, als gerade die zweite Fassung präsentiert zu bekommen, mit dem großen Choralchor am Schluss: "Christe Du Lamm Gottes?"
Den Chor hatte der Meister zwar schon in seiner Probekantate verwendet, aber den Charme der doppelten Verwendung beherrschte Bach wie kaum ein anderer. Viel heller und frischer kommt die zweite Fassung daher, als habe Bach sich selbst entstaubt oder doch poliert, wenn jetzt am Anfang die Choralbearbeitung "O Mensch bewein Dein Sünden groß" steht und nicht mehr die geduckte und gedeckelte Melodie des Chors "Herr unser Herrscher". Christoph Pregardien, der als Evangelist weltweit den alten Peter Schreier abgelöst hat, lieferte in Leipzig vor einer Woche eine geradezu expressionistische Interpretation.
Wenn Bachs Sohn Carl Philipp Emanuel der Klavierspezialist war, Wilhelm Friedemann aber der Orgelspezialist, was bleibt dann für Bachsohn Johann Christian übrig? Er war der weltläufige und wurde 1760 im Mailänder Dom zweiter Organist. Das Credo in C-Dur steht ganz unter dem stilistischen Einfluss des Vaters und wurde sehr erfolgreich, aber den Lieben daheim klangen die Ohren wegen ganz anderer Nachrichten aus Italien.
Johann Christian konvertierte nämlich zum römisch-katholischen Glauben. Man kann sich die entsetzte Starre im protestantischen Gesicht der Bachschen Verwandtschaft vorstellen. Der Mäzen des jungen Mannes war der italienische Graf Agostino Litta, die Weiterbildung des Bachsohns leistete der Franziskanerpater Giovanni Battista Martini. Tja, Pragmatismus in Glaubensfragen ist eben keine Erfindung des 20. Jahrhunderts.
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Ob Bach selber tanzte, ob in seinem Haus getanzt wurde, wie sein Verhältnis zur Tanzmusik war, all das wissen wir nicht. Aber der getanzte Bach war ein Höhepunkt in Leipzig, wenn Marco Goecke Szenen aus Bachs Leben mit der Orchestersuite Nr.4 in D-Dur verband und Bilder von seelsorgerlicher Tiefe und berührender Intimität erzeugte.
Während der ersten Klänge hebt sich der Vorhang einen halben Meter hoch, zwei Beine trippeln und trappeln auf der Stelle, von weit hinten nähert sich eine ganze Gruppe Zweibeiner, trampelnd, und baut sich neben den Beinen in der Mitte auf, der Vorhang hebt sich und zeigt eine Reihe Männer, in der Mitte eine Frau, und alle Männer lassen wie auf Kommando und Taktschluss je zwei Paar Schuhe polternd auf die Bühne fallen.
Ein Sinnbild für Bach, den ruhelosen, von Stadt zu Stadt wandernden, sich stets anbietenden, immer atemlos und oft ruhelos. Und dann jene Hiob-gleiche Sequenz, als der alte Bach Augenschmerzen leidet, Qualen leidet, fast nichts mehr sieht, sich die Augen ausreißen will und dann am Star - einigermaßen erfolgreich übrigens -operiert wird, indem ihm zur Betäubung heiße Äpfel auf die Augen gesetzt werden, wie das Programmheft weiß und Choreograph Goecke in Bewegungsbilder umsetzt.
Fünf Tage später soll Bach dann am Schlaganfall gestorben sein. Goecke lässt nicht einfach zu Musik tanzen. Musik und Tanz stehen oft für sich allein, beide haben ihre eigene Bedeutung, die Musik illustriert nicht nur die Bewegung und die Bewegung findet nicht einfach nur als Verzierung der Musik statt. Dies ist ein geradezu theologisches Musikfest - das Wort illuminiert die Musik, die Musik illuminiert das Wort und die geistige und geistliche Welt erleuchtet die körperliche.
Jedes Festival braucht große Namen. Bach und Händel alleine reicht nicht. Interpreten von Rang sind das Salz in der Suppe. Wie der Tenor Christoph Genz. Stimmstar auf allen namhaften Alte-Musik-Festivals und eben auch beim Bachfest in Leipzig. Wer Musik zum Lobe Gottes spielt, muss auch die Herzen derer öffnen können, die mit Theologie und Kirche nicht mehr bruchlos verzahnt sind.
Bachs und Händels Spiritualität hat die Zeiten überdauert, auch die Zeiten der Säkularisierung. Insofern ist Bach, wie das Bachfest 2008 wieder zeigt, ein Universalmusiker, ein Musiker des Universums. Wenn man ihn früher als Gottes Notenschreiber bezeichnet hat, ist er heute so etwas wie der Violinschlüssel zum Paradies. Und Christoph Genz seine Stimme.
In Religionen haben wir auch an Hugo Distler erinnert . Schließlich jährt sich ja am 24.Juni sein Geburtstag zu hundersten Mal. Dass er in Leipzig prominent gewürdigt wurde, ist auch dem Calmus-Ensemble zu verdanken, mit einem Benefizkonzert in der Lutherkirche.
Ein Bachfest ohne das Calmus-Ensemble, mittlerweile eines der besten a-capella-Ensembles Deutschlands, ist wie Leipziger Allerlei ohne Erbsen. Gerade kommen die Intonationskünstler mit einer Volkslieder-CD heraus, die Leser der Zeitschrift "Chrismon" per Abstimmung ausgewählt haben. Ein Schelm, der Schlechtes dabei denkt. Volkes Wunschkonzert auf hohem sängerischen Niveau. Thomanerniveau, denn zwei der vier Ensemble-Sänger sind ehemalige Thomaner. Dazu gewonnen hat Calmus seit Jahren die Sopranistin Anja Lipfert, um das Repertoire zu erweitern, sicher, aber herausgekommen ist eine überwältigenden Klangerweiterung, hörbar auf dem Bachfest 2008 in der Lutherkirche.
Nicht schon wieder die Johannespassion. Nein, doch schon wieder, denn Bach hat seine Passion oft überarbeitet, so oft, dass man mit Fug und Recht von einer Passion als Baustelle sprechen kann: "Bach and St John under construction". Faszinierend und irritierend zugleich: Was konnte dem Publikum in Leipzig Besseres passieren, als gerade die zweite Fassung präsentiert zu bekommen, mit dem großen Choralchor am Schluss: "Christe Du Lamm Gottes?"
Den Chor hatte der Meister zwar schon in seiner Probekantate verwendet, aber den Charme der doppelten Verwendung beherrschte Bach wie kaum ein anderer. Viel heller und frischer kommt die zweite Fassung daher, als habe Bach sich selbst entstaubt oder doch poliert, wenn jetzt am Anfang die Choralbearbeitung "O Mensch bewein Dein Sünden groß" steht und nicht mehr die geduckte und gedeckelte Melodie des Chors "Herr unser Herrscher". Christoph Pregardien, der als Evangelist weltweit den alten Peter Schreier abgelöst hat, lieferte in Leipzig vor einer Woche eine geradezu expressionistische Interpretation.
Wenn Bachs Sohn Carl Philipp Emanuel der Klavierspezialist war, Wilhelm Friedemann aber der Orgelspezialist, was bleibt dann für Bachsohn Johann Christian übrig? Er war der weltläufige und wurde 1760 im Mailänder Dom zweiter Organist. Das Credo in C-Dur steht ganz unter dem stilistischen Einfluss des Vaters und wurde sehr erfolgreich, aber den Lieben daheim klangen die Ohren wegen ganz anderer Nachrichten aus Italien.
Johann Christian konvertierte nämlich zum römisch-katholischen Glauben. Man kann sich die entsetzte Starre im protestantischen Gesicht der Bachschen Verwandtschaft vorstellen. Der Mäzen des jungen Mannes war der italienische Graf Agostino Litta, die Weiterbildung des Bachsohns leistete der Franziskanerpater Giovanni Battista Martini. Tja, Pragmatismus in Glaubensfragen ist eben keine Erfindung des 20. Jahrhunderts.
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Ob Bach selber tanzte, ob in seinem Haus getanzt wurde, wie sein Verhältnis zur Tanzmusik war, all das wissen wir nicht. Aber der getanzte Bach war ein Höhepunkt in Leipzig, wenn Marco Goecke Szenen aus Bachs Leben mit der Orchestersuite Nr.4 in D-Dur verband und Bilder von seelsorgerlicher Tiefe und berührender Intimität erzeugte.
Während der ersten Klänge hebt sich der Vorhang einen halben Meter hoch, zwei Beine trippeln und trappeln auf der Stelle, von weit hinten nähert sich eine ganze Gruppe Zweibeiner, trampelnd, und baut sich neben den Beinen in der Mitte auf, der Vorhang hebt sich und zeigt eine Reihe Männer, in der Mitte eine Frau, und alle Männer lassen wie auf Kommando und Taktschluss je zwei Paar Schuhe polternd auf die Bühne fallen.
Ein Sinnbild für Bach, den ruhelosen, von Stadt zu Stadt wandernden, sich stets anbietenden, immer atemlos und oft ruhelos. Und dann jene Hiob-gleiche Sequenz, als der alte Bach Augenschmerzen leidet, Qualen leidet, fast nichts mehr sieht, sich die Augen ausreißen will und dann am Star - einigermaßen erfolgreich übrigens -operiert wird, indem ihm zur Betäubung heiße Äpfel auf die Augen gesetzt werden, wie das Programmheft weiß und Choreograph Goecke in Bewegungsbilder umsetzt.
Fünf Tage später soll Bach dann am Schlaganfall gestorben sein. Goecke lässt nicht einfach zu Musik tanzen. Musik und Tanz stehen oft für sich allein, beide haben ihre eigene Bedeutung, die Musik illustriert nicht nur die Bewegung und die Bewegung findet nicht einfach nur als Verzierung der Musik statt. Dies ist ein geradezu theologisches Musikfest - das Wort illuminiert die Musik, die Musik illuminiert das Wort und die geistige und geistliche Welt erleuchtet die körperliche.
Jedes Festival braucht große Namen. Bach und Händel alleine reicht nicht. Interpreten von Rang sind das Salz in der Suppe. Wie der Tenor Christoph Genz. Stimmstar auf allen namhaften Alte-Musik-Festivals und eben auch beim Bachfest in Leipzig. Wer Musik zum Lobe Gottes spielt, muss auch die Herzen derer öffnen können, die mit Theologie und Kirche nicht mehr bruchlos verzahnt sind.
Bachs und Händels Spiritualität hat die Zeiten überdauert, auch die Zeiten der Säkularisierung. Insofern ist Bach, wie das Bachfest 2008 wieder zeigt, ein Universalmusiker, ein Musiker des Universums. Wenn man ihn früher als Gottes Notenschreiber bezeichnet hat, ist er heute so etwas wie der Violinschlüssel zum Paradies. Und Christoph Genz seine Stimme.
In Religionen haben wir auch an Hugo Distler erinnert . Schließlich jährt sich ja am 24.Juni sein Geburtstag zu hundersten Mal. Dass er in Leipzig prominent gewürdigt wurde, ist auch dem Calmus-Ensemble zu verdanken, mit einem Benefizkonzert in der Lutherkirche.
Ein Bachfest ohne das Calmus-Ensemble, mittlerweile eines der besten a-capella-Ensembles Deutschlands, ist wie Leipziger Allerlei ohne Erbsen. Gerade kommen die Intonationskünstler mit einer Volkslieder-CD heraus, die Leser der Zeitschrift "Chrismon" per Abstimmung ausgewählt haben. Ein Schelm, der Schlechtes dabei denkt. Volkes Wunschkonzert auf hohem sängerischen Niveau. Thomanerniveau, denn zwei der vier Ensemble-Sänger sind ehemalige Thomaner. Dazu gewonnen hat Calmus seit Jahren die Sopranistin Anja Lipfert, um das Repertoire zu erweitern, sicher, aber herausgekommen ist eine überwältigenden Klangerweiterung, hörbar auf dem Bachfest 2008 in der Lutherkirche.