Panzer, Blumen und Genossen
Der 17. Juni 1953 in der DDR führte der freien Welt schlagartig vor Augen, dass es in jenem fadenscheinigen Teilstaat ohne Legitimität nicht nur die "Machthaber in Pankow" und ein unterdrücktes Volk gab. Spontan und machtvoll artikulierten sich im Volksaufstand die Hoffnung auf Freiheit und der Wille zur Einheit.
Zu den stärksten Symbolen dieser Hoffnung zählte im Westen der heroische Zug der Demonstranten durch das Brandenburger Tor. Selbstbewusst schwenkten sie Deutschlandfahnen. Am historischen Ort der kaiserlicher Siegesparaden, der Revolution und der Gegenrevolution, dort, wo im Osten der innere Bezirk der Macht begann, stellten sie durch ihre schiere Anwesenheit die Machtfrage. Das Bild der beiden Jugendlichen, die am selben Tage in hilfloser Wut sowjetische Panzer mit Steinen bewarfen, zeigte dagegen für alle Zeitgenossen schon deutlich, dass hier David gegen Goliath seinen gerechten, aber aussichtslosen Kampf mit dem Mut der Verzweiflung ausfocht.
Ganz anders präsentierten die DDR-Medien die Ereignisse. Gewerkschaftliche, gar politische Forderungen wurden totgeschwiegen. Ausgerechnet die Vorzeigearbeiter der prestigeträchtigsten Großbaustelle der Republik, die Bauarbeiter der Stalinallee, waren die führenden Köpfe der Erhebung. Doch Proletarier, die sich gegen ihre Regierung stellten, fielen im Osten unter Bilderverbot.
Sorgsam zensiert von der Staatssicherheit, zeigte man stattdessen mit Vorliebe das blanke Chaos: Der Aufruhr, das waren Vandalismus und Sachbeschädigung – Schwelbrände, zerborstenes Glas, lodernde Feuer der Zerstörung und Gewalt gegen Funktionäre. Rauchschwaden dringen aus dem Columbus-Haus am Potsdamer Platz. Der weinrote BMW eines hohen Stasi-Militärs ist von Demonstranten zum Halten gezwungen worden und brennt völlig aus. Gerade die Fotos sollten es beweisen: Klassenbewusste Arbeiter können dies unmöglich angerichtet haben. Es müssen gekaufte Handlanger und Provokateure aus dem Westen gewesen sein!
Zeitgleich zur Verhaftungswelle der Aufständischen brachte man positive Gegenbilder in Umlauf: Gegen die Visagen des entfesselten Mobs wurden die Porträts loyaler Arbeiter aufgeboten. Eilig trommelte die SED ihre Funktionäre zur Gegendemonstration am 26. Juni zusammen. Diese Massen marschierten in Formation. Nichts Bedrohliches ging von ihnen aus. Sie trugen die Konterfeis ihrer Führer und die Parolen des Vertrauens vor sich her. Von Rotarmisten beklatscht, sang die Avantgarde der Arbeiterklasse bei strömendem Regen sozialistische Lieder.
Den Höhepunkt staatstragender Propaganda im Osten bildete aber der "Dank der Berliner". Die Hauptstädter huldigten den sowjetischen Soldaten für ihr "überlegtes Eingreifen". Auf beschaulichen Genrefotos wechselten Blumensträuße und Präsente den Besitzer. Frauen, Kinder und Alte applaudierten. Kräftige junge Männer – die Protagonisten des Volksaufstandes – sind nicht zu sehen. Von diesem Volk, dem die Väter und Söhne fehlten, war kein Aufruhr ausgegangen. Die Rebellion hatten andere angezettelt. So fand die offizielle Sprachregelung vom "faschistischen Putschversuch" am Ende auch Eingang in die Bilderwelt - durch Abwesenheit der Akteure, von denen viele längst in Haft waren. Bei Folklore und Tanz stellte die Besatzungsmacht ihre Harmlosigkeit zur Schau. Die gewaltsame Niederschlagung des Aufstandes wurde als großes Fest der Fraternisierung inszeniert, obwohl das Verhältnis der Berliner zu den Rotarmisten, gelinde gesagt, problematisch war.
Acht Jahre später schickte man in Ostdeutschland wieder Frauen mit Blumensträußen los. Wie sich die Bilder gleichen! Im August 1961 besuchten sie die wackeren Handwerker und die Grenzsoldaten an der Berliner Mauer, um zu "gratulieren", wie es hieß. Wozu? Anscheinend waren sie dankbar dafür, eingemauert und bewacht zu werden. Die Inszenierungsvorlage stammte aus der guten alten Zeit des Stalinismus. Seit dem blutigen Ende des 17. Juni 1953 war sie in der DDR bestens bekannt: "Handverlesene Claqueure huldigen ihren Unterdrückern."
Dass die DDR-Medien in unzähligen Propagandafotos zynisch behaupteten, die Bevölkerung sei freudig einverstanden mit Repression und Unfreiheit, wirkt heute so anstößig wie damals. Selbst die durchsichtige Agitation zum Glück wirft noch einen bösen Schatten auf die kleine graue Diktatur von Moskaus Gnaden.
Karin Hartewig, geboren 1959 in München, ist freiberufliche Historikerin und lebt in Göttingen. Ihre Themen: Deutsche und Juden im 20. Jahrhundert, Biographien, Generationen, Fotografie und Journalismus. Veröffentlichte zuletzt zur visuellen Überwachung und zur Geschichte der Fotografie: "Das Auge der Partei. Fotografie und Staatssicherheit in der DDR" (2004) und "Die DDR im Bild. Zum Gebrauch der Fotografie im anderen deutschen Staat" (zusammen mit Alf Lüdtke, 2004).
Ganz anders präsentierten die DDR-Medien die Ereignisse. Gewerkschaftliche, gar politische Forderungen wurden totgeschwiegen. Ausgerechnet die Vorzeigearbeiter der prestigeträchtigsten Großbaustelle der Republik, die Bauarbeiter der Stalinallee, waren die führenden Köpfe der Erhebung. Doch Proletarier, die sich gegen ihre Regierung stellten, fielen im Osten unter Bilderverbot.
Sorgsam zensiert von der Staatssicherheit, zeigte man stattdessen mit Vorliebe das blanke Chaos: Der Aufruhr, das waren Vandalismus und Sachbeschädigung – Schwelbrände, zerborstenes Glas, lodernde Feuer der Zerstörung und Gewalt gegen Funktionäre. Rauchschwaden dringen aus dem Columbus-Haus am Potsdamer Platz. Der weinrote BMW eines hohen Stasi-Militärs ist von Demonstranten zum Halten gezwungen worden und brennt völlig aus. Gerade die Fotos sollten es beweisen: Klassenbewusste Arbeiter können dies unmöglich angerichtet haben. Es müssen gekaufte Handlanger und Provokateure aus dem Westen gewesen sein!
Zeitgleich zur Verhaftungswelle der Aufständischen brachte man positive Gegenbilder in Umlauf: Gegen die Visagen des entfesselten Mobs wurden die Porträts loyaler Arbeiter aufgeboten. Eilig trommelte die SED ihre Funktionäre zur Gegendemonstration am 26. Juni zusammen. Diese Massen marschierten in Formation. Nichts Bedrohliches ging von ihnen aus. Sie trugen die Konterfeis ihrer Führer und die Parolen des Vertrauens vor sich her. Von Rotarmisten beklatscht, sang die Avantgarde der Arbeiterklasse bei strömendem Regen sozialistische Lieder.
Den Höhepunkt staatstragender Propaganda im Osten bildete aber der "Dank der Berliner". Die Hauptstädter huldigten den sowjetischen Soldaten für ihr "überlegtes Eingreifen". Auf beschaulichen Genrefotos wechselten Blumensträuße und Präsente den Besitzer. Frauen, Kinder und Alte applaudierten. Kräftige junge Männer – die Protagonisten des Volksaufstandes – sind nicht zu sehen. Von diesem Volk, dem die Väter und Söhne fehlten, war kein Aufruhr ausgegangen. Die Rebellion hatten andere angezettelt. So fand die offizielle Sprachregelung vom "faschistischen Putschversuch" am Ende auch Eingang in die Bilderwelt - durch Abwesenheit der Akteure, von denen viele längst in Haft waren. Bei Folklore und Tanz stellte die Besatzungsmacht ihre Harmlosigkeit zur Schau. Die gewaltsame Niederschlagung des Aufstandes wurde als großes Fest der Fraternisierung inszeniert, obwohl das Verhältnis der Berliner zu den Rotarmisten, gelinde gesagt, problematisch war.
Acht Jahre später schickte man in Ostdeutschland wieder Frauen mit Blumensträußen los. Wie sich die Bilder gleichen! Im August 1961 besuchten sie die wackeren Handwerker und die Grenzsoldaten an der Berliner Mauer, um zu "gratulieren", wie es hieß. Wozu? Anscheinend waren sie dankbar dafür, eingemauert und bewacht zu werden. Die Inszenierungsvorlage stammte aus der guten alten Zeit des Stalinismus. Seit dem blutigen Ende des 17. Juni 1953 war sie in der DDR bestens bekannt: "Handverlesene Claqueure huldigen ihren Unterdrückern."
Dass die DDR-Medien in unzähligen Propagandafotos zynisch behaupteten, die Bevölkerung sei freudig einverstanden mit Repression und Unfreiheit, wirkt heute so anstößig wie damals. Selbst die durchsichtige Agitation zum Glück wirft noch einen bösen Schatten auf die kleine graue Diktatur von Moskaus Gnaden.
Karin Hartewig, geboren 1959 in München, ist freiberufliche Historikerin und lebt in Göttingen. Ihre Themen: Deutsche und Juden im 20. Jahrhundert, Biographien, Generationen, Fotografie und Journalismus. Veröffentlichte zuletzt zur visuellen Überwachung und zur Geschichte der Fotografie: "Das Auge der Partei. Fotografie und Staatssicherheit in der DDR" (2004) und "Die DDR im Bild. Zum Gebrauch der Fotografie im anderen deutschen Staat" (zusammen mit Alf Lüdtke, 2004).

Karin Hartewig© privat