Panis Angelorum - Das Brot der Engel

Rezensiert von Kirsten Dietrich |
Hostien sind nicht nur ein katholisches Thema. Rund um das Mittelmeer war Brot schon vor Tausenden von Jahren das Grundnahrungsmittel. Wer Brot hatte, hungerte nicht. Wer Brot hatte, lebte lange genug an einem Ort, um eine Getreideernte einzubringen. Und er hatte genügend Ressourcen, um einen Ofen zu backen. Kein Wunder also, dass Brot schnell religiöse Bedeutung bekam, dass es zum Symbol des Lebens wurde.
Der Sammelband "Panis Angelorum" zeichnet den Weg nach, auf dem aus dem lebensspendenden Brot die im Gottesdienst verwendete Hostie wurde: immer noch essbar, aber in einer so verfeinerten Form gebacken, dass die Wurzeln im groben Brot für die Masse mit den Sinnen kaum noch erkennbar sind. Besonders schön: da der Band in Verbindung mit einer Ausstellung des Ulmer Brotmuseums entstand, ist er reich bebildert.

Der Blick des Sammelbandes ist allerdings – bei allen religionsgeschichtlichen Ausflügen – ein katholischer: dass der höchste Ort für die Hostie die Messfeier ist, wird vorausgesetzt. Kommt doch der Name vom lateinischen "hostia", "Sühneopfer" und auch ganz konkret die Bezeichnung für das Opfertier.

Brotopfer kennt schon das Alte Testament. Im Tempel in Jerusalem lagen die so genannten Schaubrote. Besonders Bibeln in protestantischer Tradition sind gern mit einem Bild Davids illustriert, der in einer Notlage die Schaubrote aß – Hunger gilt mehr als religiöse Verehrung. Im der christlichen Abendmahlstradition schließlich wird aus dem Brot Fleisch: das Brot, das gereicht wird, steht für das Opfer, das Christus für die Menschen gebracht hat. Die Hostie ist ungesäuertes Brot und gleichzeitig Leib Christi. Äußerste Sorgfalt ist angesagt.

Deswegen ist die Geschichte der Hostie auch eine Geschichte des Bäckerhandwerks. Das Backwerk durfte nicht krümeln – unvorstellbar der Gedanke, Teile des Leibes Christi könnten verloren gehen! Das Backwerk sollte auch Würde ausstrahlen. Deswegen etablierte sich das teuere Weizenmehl. Die weiße Farbe des Brotes symbolisierte gleich noch die Reinheit des Opfers Christi.

Schließlich verschwanden die alten Formen des Ringgebäcks und der Brezel, setzte sich die Form der flachen Oblate durch. Vielleicht muss man im rauen Mittelalter gelebt haben, um die körperliche Ergriffenheit zu verstehen, die Gläubige erfasste, wenn sie die fast außerweltlich verfeinerte Hostie nur sahen. Wahrscheinlich auch nur so lässt sich magische Verehrung dieses Messbrotes nachvollziehen.

Diebstahl und Entweihung von Hostien waren immer wiederkehrende Vorwürfe gegen Juden, die regelmäßig in Prozesse und Pogrome mündeten. Gläubige zogen sonntags durch die Kirchen, um möglichst oft die zur Wandlung erhobene Hostie zu sehen, sie pilgerten zu blutenden Hostien und verschlangen Berichte, nach denen sich Hostien auf wundersame Art in tatsächliches Fleisch verwandelt hatten.

Die Anbetung entfernte die Hostie aber auch von den Gläubigen. Weggesperrt in goldglänzenden Monstranzen, die inzwischen nicht nur dem geweihten Brot Schutz geben, sondern als kunstgeschichtlich bedeutsame Objekte selber in Tresoren und hinter Alarmsensoren verschwinden. Martina Kraml unternimmt einen interessanten Versuch, die Hostie wieder den Menschen nahe zu bringen. Sie untersucht das Mahl als einen Ort, an dem nicht nur Gemeinschaft, sondern auch soziale Kontrolle bis hin zum sozialen Ausschluss geschieht.

Was als Nahrung akzeptabel ist, hat immer mit Vorstellungen von Reinheit und Ekel zu tun. Deswegen ist es schockierend, wenn das Neue Testament erzählt: Jesus von Nazareth aß mit den Ausgestoßenen und Verachteten seiner Zeit, mit Zöllnern und Sündern. Kein Wunder eigentlich, dass die Frommen zögerten, die Einladung anzunehmen. Wer würde heute schon begeistert zusagen, in einem Obdachlosenheim oder am Gemeinschaftstisch der geschlossenen Psychiatrie mit den Bewohnern das Brot zu brechen?

Was die Autorin allerdings nicht sagt: Zu dieser Art von Mahl passt die feine, weiße, zerbrechliche Oblate nicht. Hier wäre der Rückgriff auf das robuste Gerstenbrot nötig – oder auch auf die leicht zu teilende Brezel.

Trotzdem sei noch das Rezept verraten: 7,35 kg feinstes Weizenmehl mit 8 l Wasser zu einem flüssigen Brei verrühren, zwischen zwei erhitzten Platten wenige Minuten mehr trocknen als backen, bei 90% Luftfeuchtigkeit über Nacht vorsichtig trocknen lassen. Danach runde Oblaten ausstanzen. Von führenden Klosterbäckereien empfohlen.

Oliver Seifert (Hg.): Panis Angelorum – Das Brot der Engel. Kulturgeschichte der Hostie
Thorbecke 2004
19,90 Euro