Palmer plädiert für Schwarz-Grün

Moderation: Uschi Götz und Ulrich Ziegler |
Der Oberbürgermeister von Tübingen, Boris Palmer, hat sich für schwarz-grüne Koalitionen auf Landesebene ausgesprochen. "Die CDU steht für die Wirtschaft. Die Grünen stehen für die Umwelt. In Zukunft müssen wir beides zusammenbringen", sagte der Grünen-Politiker. In Baden-Württemberg sei eine schwarz-grüne Koalition bei den Grünen schon heute mehrheitsfähig.
Deutschlandradio Kultur: Herr Palmer, mit 34 Jahren sind Sie der jüngste Oberbürgermeister – zumindest in Baden-Württemberg. Da macht manch einer hier seinen Abschluss an der Universität. Bei der Oberbürgermeisterwahl im vergangenen Oktober in Tübingen haben Sie auf Anhieb die absolute Mehrheit erhalten. Was reizt Sie an dem Job?

Boris Palmer: Ich habe jetzt sechs Jahre Oppositionsbrot im Landtag gegessen. Ich muss Ihnen sagen, das ist sehr hart und trocken. Was diese Aufgabe so interessant macht, ist die Gestaltungsmöglichkeit. Man ist zugleich Vorsitzender des Gemeinderats, Chef der Verwaltung, immerhin 1400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Man hat einen Zugang zu den Medien, der weit über den des Landtagsabgeordneten geht, und man ist auf acht Jahre gewählt. Es gibt Leute, die sagen, das sei nahe an der Monarchie.

Deutschlandradio Kultur: Sie sind grüner Politiker. Das heißt, Sie wollen der Stadt ein grünes Mäntelchen in den nächsten acht Jahren verleihen?

Palmer: Ich halte nichts von Mäntelchen, weil die verdecken ja nur, was darunter ist. Ich möchte, dass die Stadt tatsächlich durchgrünt wird, ob das jetzt Bäume in den Straßen sind, gute Radwege, damit man sich nicht immer ärgern muss, wie ich es jeden Tag mache, wenn man eingezwängt wird oder vom Rad gestoßen, oder ob es moderne Energiekonzepte sind – Eigenstromerzeugung ökologisch durch unsere Stadtwerke – bis hin zu der Frage: Heizen wir weiterhin zum Fenster raus in städtischen Gebäuden oder sanieren wir die endlich? Das ganze Thema Ökologie ist in seiner vollen Breite kommunal zu bearbeiten.

Deutschlandradio Kultur: Lassen Sie uns konkret werden. Sie fahren demnächst ein Hybridfahrzeug, Marke Toyota. Sie verzichten auf den berühmten schwäbischen Stern. Was heißt das konkret, was Sie gerade aufgezählt haben? Grüne Bäume hat jeder Schultes hier als Stadtoberhaupt.

Palmer: Ja, aber wenn dem Baum ein Parkplatz zum Opfer fällt, wird es für manche schon kritisch. Da würde ich sagen, der Baum ist mir wichtiger als ein Stellplatz für ein Blechfahrzeug. Was Sie mit dem Dienstwagen ansprechen, ist natürlich in Württemberg, in Schwaben ungewöhnlich. Wenn der schwäbische OB ein japanisches Auto fährt, dann ist das eine Provokation. So ist es aber auch gemeint, weil ich überzeugt bin: Entweder verkaufen unsere heimischen Autobauer in Zukunft umweltfreundliche Fahrzeuge oder sie verkaufen gar keine mehr. Ich habe Angst um die Arbeitsplätze in unserer Automobilindustrie. Entscheidend ist, was kommt hinten raus, nämlich am Auspuff. Der Toyota, den ich bestellt habe, kommt mit 105 g CO2 pro Kilometer aus. Die C-Klasse gibt es nicht unter 170. Umgerechnet spare ich 40 Prozent CO2 ein für die gleiche Leistung, nämlich eine Limousine, weil Toyota als einziger Anbieter auf der Welt den Hybrid entwickelt hat, das heißt, ein Motorkonzept mit Elektro- und Benzinmotor gekoppelt, bei dem die Bremsenergie zurückkommt. Die hören also auf, mit jedem Bremsvorgang die Atmosphäre aufzuheizen und holen die Energie zurück in die Batterie. Das ist so einfach und genial, dass ich finde, so etwas hätte eigentlich aus Schwaben kommen müssen. Ich will gar nicht, dass jetzt alle Japaner kaufen, ich will, dass Mercedes möglichst bald einen eigenen Hybrid auf den Markt bringt. Und wenn der gut ist, dann wechseln wir zurück zu Mercedes.

Deutschlandradio Kultur: Wie geht es jetzt konkret weiter? Sie sind Oberbürgermeister seit wenigen Wochen. Jetzt geht es um das Hybridfahrzeug, dann aber geht es um mehr in der Stadt. Wo werden sie konkret ansetzen?

Palmer: Für Tübingen ist in den nächsten 15 Jahren die entscheidende strategische Frage, ob es uns gelingt, von dem noch möglichen Einwohnerzuwachs zu profitieren. Anders als im Westen oder Norden haben wir noch Einwohnerzuwachs. Bisher läuft der immer in den nicht zu Tübingen gehörenden Vororten ab. Das will ich beenden. Ich will, dass die Leute in Tübingen eine Wohnung finden. Dazu brauchen wir Baugebiete, aber die will ich nicht auf der grünen Wiese, nicht in schöner Landschaft, sondern in alten, ungenutzten Stadtgebieten. Davon haben wir viele, etwa 50 ha. Mein Ziel ist es, in diesen alten Stadtflächen etwa 10.000 Menschen in den nächsten 15 Jahren eine Wohnung und einen Arbeitsplatz zu geben und das dann so zu machen, dass diese Stadtquartiere so entwickelt werden, dass sie möglichst auf die Zukunft eingestellt sind. Das heißt für mich: kein Autozwang, sondern Autos eher am Rand. Das heißt für mich: Spielflächen für die Kinder. Das heißt für mich: kurze Wege zum Arbeitsplatz. Wer in zehn Jahren nach Tübingen kommt, soll sagen können: Hier ist der Platz, wo man sehen kann, wie der Städtebau der Zukunft aussieht.

Deutschlandradio Kultur: Herr Palmer, vor sechs Jahren, also mit 27 Jahren, zogen Sie für die Grünen in den baden-württembergischen Landtag ein. Im vergangenen März sind Sie Stellvertretender Fraktionsvorsitzender geworden. Viele dachten, wenn der weiter so steil weiterläuft, dann landet der irgendwann mal in Berlin. Jetzt sind Sie aber in Tübingen gelandet und haben sich für Tübingen entschieden. Berlin gestrichen?

Palmer: Ich bin 34. Ich habe noch nicht definitiv entschieden, was ich die 32 oder 33 Jahre in meinem Berufsleben machen werde. Aber für die nächsten acht Jahre bin ich gewählt. Da fühle ich mich auch verpflichtet. Und selbst, wenn die Berliner das nicht gern hören, ich würde sagen, in Berlin waren ja alle schon mal. Es sollten lieber viel mehr nach Tübingen kommen, wir haben auch was zu bieten.

Deutschlandradio Kultur: Sie sind für acht Jahre gewählt worden und wollen diese Aufgabe auch erfüllen. Interessanterweise haben Sie das gleich im ersten Wahlgang geschafft, und das nicht nur mit Unterstützung von grünen Sympathiewählern, sondern auch Leuten wie Lothar Späth oder Manfred Rommel, der ehemalige OB in Stuttgart, haben Sie tatkräftig unterstützt. Sind das nur Sympathien auf persönlicher Ebene oder geht es da auch um mehr?

Palmer: Zunächst sind es persönliche Beziehungen, Kontakte, auch familiäre, die über lange Zeit aufgebaut wurden. Sicher hat es auch was damit zu tun, dass ich mich gegenüber der CDU immer offen gezeigt habe. Ich habe gesagt, wenn die SPD in den Bundesländern und im Bund mit allen Parteien koalieren darf und es auch tut, bis hin zur PDS, dann kann es den Grünen nicht verboten sein mal drüber nachzudenken, ob die CDU ein geeigneter Partner ist. Und bei uns in Baden-Württemberg ist es noch ganz einfach durch die Zahlen notwendig darüber nachzudenken. Die SPD ist in den letzten Umfragen bei 20 Prozent. Ich traue uns Grünen viel zu, aber nicht, dass wir die notwendigen 30 Prozent beibringen, um gemeinsam eine rot-grüne Regierung zu bilden.

Deutschlandradio Kultur: Es geht aber nicht nur um rechnerische Mehrheiten, es geht auch um gemeinsame Schnittmengen, beispielsweise Atomkraftlaufzeiten. Zwischen der CDU in Baden-Württemberg und den Grünen, zumindest auf Bundesebene, gibt es da sicherlich fundamentale Unterschiede. Kann man die überbrücken?

Palmer: Ich will Ihnen da leider widersprechen. Ich bin kein Anhänger dieser Schnittmengentheorie. Die ist mir zu eindimensional. Ich glaube, dass es vielmehr darum geht, produktive Kräfte zusammenzubringen, die vielleicht gar nichts miteinander zu tun haben. Ganz konkret, die CDU steht für die Wirtschaft. Die Grünen stehen für die Umwelt. In Zukunft müssen wir beides zusammenbringen. Es hat keinen Sinn, diese beiden Kräfte gegeneinander in Stellung zu bringen. Deswegen meine ich, eine schwarz-grüne Koalition könnte gerade dann, wenn sie umweltfreundliche Technologien als Triebfeder für wirtschaftliche Entwicklung begreift, dass wir voraus gehen und nicht hinterher hängen mit anspruchsvoller Umweltgesetzgebung, mehr nach vorne bringen, als das klassische Verbleiben in Schnittmengentheorien. Und es ist auch so, dass vieles von dem, was Rot-Grün überhaupt nicht mehr durchgebracht hat, weil die Wirtschaft die Geschütze in Stellung brachte und das weggeschossen hat, mit Schwarz-Grün kein Problem wäre. Das sieht man jetzt. Die CDU regiert mit und plötzlich sind Dinge, die Rot-Grün niemals hätte schaffen können, zum Beispiel die Mehrwertsteuererhöhung wäre mit Rot-Grün nie im Leben gegangen, die Wirtschaft hätte das verhindert, möglich. Und wenn sich das nutzbar machen lassen würde für die Ökologie, dann wäre das ein echter Fortschritt.

Deutschlandradio Kultur: Also könnten Sie damit leben, Herr Oettinger läuft durch die Lande und sagt zum Beispiel, er ist für eine Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke? Auch darauf könnte man sich in irgendeiner Form verständigen, indem woanders zum Beispiel ein Kompromiss da wäre?

Palmer: Auf Landesebene wäre es kein Problem, denn das Land hat nichts zu sagen beim Atomausstieg. Deswegen wäre es mir auch egal, wenn Herr Oettinger dafür ist. Solange die Grünen sagen dürfen, wir sind dagegen, und die Entscheidung in Berlin fällt, warum soll man aus ideologischen Gründen Unverträglichkeiten in die Welt stellen, die in der praktischen Politik keine Bedeutung haben?

Deutschlandradio Kultur: Da spricht Boris Palmer als Privatperson oder gibt es da auch schon Verbindungen auch nach Berlin mit Politikern auf Bundesebene, wie Herrn Bütikofer oder anderen Leuten, die da mitziehen? Oder sind Sie das im Moment, der diesen Gedanken in sich trägt?

Palmer: In Baden-Württemberg ist der Gedanke nach meiner Auffassung bei den Grünen mehrheitsfähig. Sonst könnte man nicht erklären, warum es im vergangenen Frühjahr ernsthafte Gespräche über die Bildung einer schwarz-grünen Koalition gegeben hat. In Berlin sind die Verhältnisse noch etwas anders, aber es macht uns in Baden-Württemberg nichts aus, wenn wir etwas voraus sind.

Deutschlandradio Kultur: Die Verhältnisse sind noch etwas anders. Denken Sie, es kommt der Tag, an dem man auch in Berlin anders darüber nachdenkt?

Palmer: Mein Eindruck ist, dass die nächste Generation in der Politik einen post-ideologisch-pragmatischen Grundansatz hat und nicht nur nach Unvereinbarkeiten fragt, sondern Koalitionen als Projekte auf Zeit definiert, in denen man bestimmte Dinge umsetzt und sich vielleicht auch nach vier Jahren wieder trennen kann, wenn man eine Agenda abgearbeitet hat, weil man dann sagt, jetzt geht’s nicht mehr, ab jetzt sind die Reibereien, die Differenzen zu groß. Ich meine, dass da auch Schwarz-Grün durchaus eine der möglichen Optionen sein muss.

Deutschlandradio Kultur: Was die Grünen betrifft, heißt das, dass Sie dann auch für einen Generationswechsel, auch einen Wechsel im Denken plädieren?

Palmer: Generationswechsel kommt von selber. Irgendwann sind die handelnden Figuren zu alt. Es muss ja nicht so schlimm ablaufen wie bei der CSU in Bayern.

Deutschlandradio Kultur: Sind die Leute wie Reinhard Bütikofer oder Jürgen Trittin, Claudia Roth überhaupt noch für Ideen offen, wie Sie sie fast täglich entwickeln?

Palmer: Ich denke schon, zumal die zwar politisch alt sind, aber vom Lebensalter keineswegs. Die Führungsspitze der Grünen ist ja in der Regel Anfang 50. Es ist halt nur eine Generation, die die Partei im Wesentlichen gegründet hat. Da wird sicherlich irgendwann mal die Frage kommen, ob nicht die nächste Generation auch einen gewissen Anteil an der Macht, Ohnmacht in der Opposition, aber trotz allem, und einen gewissen Einfluss auf den Gang der Dinge bekommt. Die Frage ist, denke ich, legitim.

Wenn alle über Al Gore, über britische Wissenschaftler, die Weltwirtschaftskrisen voraussagen, über Ölpreise, über Kriege um Öl, über Erdgaslieferungen aus Russland reden, dann muss die grüne Stimme lauter sein. Dann muss klarer werden, diejenigen, die das immer schon vorausgesehen haben, sind die Grünen. Und diejenigen, die die beste Antwort auf dieses Weltproblem haben, sind die Grünen.

Deutschlandradio Kultur: Aber das machen doch Leute wie Fritz Kuhn und Reinhard Bütikofer, die immer wieder und bei jeder Gelegenheit sagen: Wir sind das Original, was Kompetenz in ökologischen Fragen angeht. Und wenn die anderen uns jetzt nachspielen, ist das wohl ganz nett, aber wenn Sie es wirklich haben wollen, dann nehmt doch uns.

Palmer: Das ist ja auch richtig, aber das ist zuerst mal die plakative Überschrift. Es muss bei den Leuten auch entsprechend rezipiert werden. Denn wenn das schon erfolgreich wäre, müssten wir ja vielleicht schon 20 oder 25 Prozent haben. Ich hielte das für gerechtfertigt und ich finde, wir sollten da noch mehr draus machen.

Deutschlandradio Kultur: Was denn?

Palmer: Das geht am Ende nur über Inhalte. Der Anspruch ist richtig formuliert, aber er muss dann auch ausbuchstabiert sein. Er muss konkret werden. Die Leute müssen uns das zutrauen und sie müssen an dem, was wir sagen, erkennen können, dass es klappt. Und da gehe ich lieber wieder auf meine kommunale Praxis, als dass ich gute Ratschläge nach Berlin erteile. Wenn wir in Tübingen zeigen, Städtebau funktioniert so, dass man das Auto gar nicht braucht und damit besser leben kann, weil alles in fußläufiger Nähe erreichbar ist, dann hat das Wirkungen. Wenn wir in Tübingen zeigen können, dass es möglich ist, den CO2-Ausstoß von heute etwa zehn Tonne pro Kopf auf drei Tonnen pro Kopf zu reduzieren, und das ist das Maß der Dinge, soviel verträgt die Atmosphäre, wenn wir das machen können zum Beispiel dadurch, dass wir regional ein Bündnis schließen zwischen unseren Stadtwerken und dem ländlichen Umland, das mit seinen Agrarprodukten bisher keinen Absatz findet, in der Form, dass wir dort Biogas produzieren und damit hier sowohl Strom als auch Wärme erzeugen, wenn wir solche Vorbildprojekte auf den Weg bringen, denke ich, dass das die Leute überzeugen kann, dass Ökologie und Ökonomie gemeinsam bei den Grünen am besten aufgehoben sind – und in Tübingen allemal.

Deutschlandradio Kultur: Das können Sie ja jetzt als Oberbürgermeister in Tübingen in den nächsten Jahren demonstrieren, zeigen, dass so was geht. Woher nehmen Sie das Geld?

Palmer: Sie haben Recht, das kostet Geld, aber Nichtstun kostet noch mehr Geld, weil die Energiepreise steigen und das im städtischen Haushalt ablesbar ist. Man hat die Gebäude auf dem Stand billiger Energiepreise belassen und zahlt jetzt hohe jährliche Unterhaltskosten. Das heißt, es wäre besser gewesen vorher zu investieren.

Deutschlandradio Kultur: Sie wollen jetzt investieren. Verkaufen Sie Ihr Tafelsilber?

Palmer: Nein, ich versuche einen anderen Weg zu gehen. Ich werde dem Gemeinderat vorschlagen, privates Know-how und Kapital in die Stadt zu holen. Das heißt, im Weg öffentlich-privater Partnerschaften – Handwerk, Banken, Ingenieure – an den Tisch zu bringen und zu sagen: Ihr macht uns das jetzt und wir zahlen dann über eine Miete über 20 Jahre hinweg das wieder ab. Das ist, glaube ich, der Weg, der sich am ehesten bei knappen kommunalen Finanzen als gangbar erweist und der uns jetzt die CO2-Einsparung bringt und nicht weiter das Problem in die Zukunft verlagert.

Deutschlandradio Kultur: Das bezogen auf die öffentlichen Gebäude?

Palmer: Das bezogen auf die städtischen Gebäude.

Deutschlandradio Kultur: Und was machen Sie mit den privaten Haushalten? Wie wollen Sie die noch mehr motivieren, dass sie Solaranlagen auf ihre Dächer stellen, dass sie eine bessere Energieverwertung in ihren Häusern ereichen?

Palmer: Zum einen muss man Hindernisse abbauen. Wir haben in Tübingen absurderweise in nicht unerheblichen Teilen der Stadt Verbote für die Anbringung von Solaranlagen. Diese Verbote müssen weg. Zum anderen muss man Anreize schaffen, das heißt, Foren organisieren, Dächer anbieten für Solaranlagen seitens der Stadt. Da entsprechend zu motivieren, zu informieren, die Leute zum Mitmachen zu bewegen, ist, glaube ich, der entscheidende Punkt. Das Kapital ist vorhanden. Es wird bisher nur in die falsche Richtung gesteuert.

Deutschlandradio Kultur: Wie schnell kann man so was realisieren?

Palmer: Im Jahr 2020 soll der CO2-Ausstoß pro Kopf von derzeit zehn auf drei Tonnen reduziert sein.

Deutschlandradio Kultur: Es gibt ja den schönen Satz, global denken, lokal handeln. Das manifestiert sich auch in den Positionen, die Sie sagen. Dennoch, wenn man mal europäisch denkt und sagt, wir wollen wirklich effektiv Energie, auch Solarenergie einsammeln, würde es nicht viel mehr Sinn machen, wenn wir sagen würden: Die ganze Kraft und auch die europäischen zusätzlichen Gelder und nationalen Gelder für erneuerbare Energien wollen wir da einsetzen, wo wir wirklich den größten Gewinn haben – beispielsweise Südspanien, immer da an Orten, wo es tatsächlich mehr Sinn macht, das Kapital einzusetzen, wenn man das gesamteuropäisch gut verteilen kann.

Palmer: In einer idealen Welt hätten Sie Recht. Da bräuchte man aber eine Weltregierung, die für die optimale Zuteilung der Ressourcen sorgt und sagt, in der Sahara ist der beste Platz für Solaranlagen. Dort werden sie hingestellt und der Strom kommt dann nach Europa. Das scheitert aber in der realen Welt. Da sind strategische Interessen, Militärfragen, Unsicherheiten, Sie kennen das alles. Deswegen denke ich, solange wir keine Weltregierung haben, keinen Weltstaat finden und uns global auch sehr langsam bewegen – es gibt ja bisher überhaupt keine Vereinbarung, Kyoto bringt bisher wenig und ist viel zu schwach, die das Problem auch nur annähernd vernünftig aufgreifen –, muss man fragen, welche Akteure können vorangehen. Und das sind die Kommunen. Aus meiner Sicht kommt die Hoffnung von unten, nicht von oben.

Deutschlandradio Kultur: Tübingen assoziieren viele mit der Universität. Bei der jüngsten Exzellenzinitiative taucht die Universität Tübingen nicht mehr auf den vorderen Plätzen auf. Der Rektor der Tübinger Universität fordert ein besseres außeruniversitäres Umfeld. Herr Palmer, das heißt möglicherweise auch Industrieansiedlung. Werden Sie ihn dabei tatkräftig unterstützen?

Palmer: Tübingen und seine Universität sind eng miteinander verwoben. Ich sehe die Aufgabe der Stadt im Moment vor allem darin, den Studierenden, und die werden hoffentlich wesentlich mehr in den nächsten Jahren, die Prognosen gehen von etwa 5000 zusätzlichen Studierenden in Tübingen aus, denen Wohnraum zu verschaffen. Das ist die hervorragende Aufgabe, weil die Stadt relativ klein ist im Verhältnis zur Universität.

Der zweite Punkt, nämlich ein wirtschaftlich günstiges Umfeld zu schaffen, ist sehr berechtigt. Ich finde, es ist bisher zu verengt worden auf Biotechnologie. Das ist nur ein kleiner Bereich. Aber ich denke, wenn wir es in Tübingen schaffen, das ganze Spektrum wissensbasierter Dienstleistungen – von der Forschung über den Service bis zur Entwicklung – alles in Tübingen voranbringen, gerne auch mit einem großen Player, dann ist der Universität in der Tat geholfen. Diese Forderung des Rektors ist berechtigt.

Deutschlandradio Kultur: Was heißt "großer Player"?

Palmer: Es wäre schön gewesen, wenn wir Boehringer-Ingelheim, das war ja die große Debatte im letzten November, mit einer Forschungseinrichtung nach Tübingen hätten bekommen können. Das Problem war allerdings, dass es im Wahlkampf etwas zerrieben wurde. Überdies war der Standort wegen der Nähe zu Wohngebieten jedenfalls umstritten.

Deutschlandradio Kultur: Jetzt könnte so eine Universitätsstadt wie Tübingen in nächster Zeit noch ein neues Problem bekommen. Es gibt in Zukunft Studiengebühren auch für Studenten an Universitäten. Haben Sie sich da schon überlegt, wie Sie sich verhalten werden, wenn möglicherweise Studenten bei Ihnen vor dem Rathaus demonstrieren und für die Abschaffung der Gebühren demonstrieren? Werden Sie dann mit denen mit demonstrieren?

Palmer: Das Amt erfordert ja dann eine gewisse Zurückhaltung, also, da werden Sie mich wohl nicht dabei finden. Was ich sehr berechtigt finde, ist, dass verlangt wird, dass das Geld auch an den Unis landet und nicht zum Verheizen benutzt wird. Die Universität Ulm hatte vor, damit gestiegene Energiepreise zu bezahlen. So geht es nun wirklich nicht. Was ich nicht berechtigt finde, ist zu behaupten, dass es einen grundgesetzlichen Anspruch auf Studiengebührenfreiheit gibt. Die Frage ist, wie man es macht. Und ich finde, wenn man im späteren Berufsleben etwas zurückzahlt von dem, was man für die Ausbildung bekommen hat, dann wäre das fair. Mag sein, dass man sich da Pfiffe dafür einhandelt.

Mich bewegt aber – ehrlich gesagt – im Moment etwas anderes. Ich glaube, die Studierenden kämpfen an der falschen Front. Sie kämpfen um Gebühren, die als Gesetz beschlossen und nicht mehr weg zu diskutieren sind. Der Landtag wird da nicht nachgeben, dessen bin ich gewiss. Was ich viel schlimmer finde, ist, dass Deutschland, und nicht nur Baden-Württemberg, derzeit nicht genügend Studienplätze bereithält. Das heißt, es gäbe viele Leute, die froh wären, sie dürften die Gebühren bezahlen, sie bekommen aber keinen Platz, weil über lokalen Numerus clausus von 1,2/ 1,3 selbst Fächer wie Politikwissenschaft praktisch abgeschottet werden. Und das können wir uns nicht leisten, eine Generation aus den Universitäten draußen zu halten.

Deutschlandradio Kultur: Sie haben vorhin schon mal angesprochen, dass es da um vernünftige Politik geht. Da stellt sich mir die Frage: Müssen künftig nur vernünftige Menschen zusammensitzen, unabhängig von Parteien, und nach Lösungen auf kommunaler Ebene suchen, oder brauchen Sie auch die Partei im Hintergrund, die Sie stützt?

Palmer: Auf kommunaler Ebene sind die Parteien lange nicht so bedeutsam wie in der Landes- und Bundespolitik. Deswegen ist das dafür, glaube ich, nicht so relevant. Ich sehe das wahrscheinlich auch vor dem Hintergrund meiner mathematischen Ausbildung, durch das Studium. Dort ist eine der ganz wesentlichen Erkenntnisse, dass man aus unterschiedlichen Prämissen mit vollkommen richtigen Rechenmethoden ganz unterschiedliche Ergebnisse erzielen kann. Das finde ich in der Politik tagtäglich wieder. Wenn man bestimmte Grundsätze – und das sind in der Regel Glaubensgrundsätze, das heißt, die werden von den Menschen auch nicht mehr hinterfragt und sie sind ihnen auch nicht zu nehmen – akzeptiert, kann man auch akzeptieren, dass Leute zu bestimmten anderen Ergebnissen kommen. Man muss dann gucken, wie man so miteinander diskutiert, dass jeder seine Identität, seine Grundsätze behalten kann und trotzdem ein Ergebnis rauskommt, mit dem beide Seiten leben können. Das ist, glaube ich, der Kern von Kommunalpolitik.

Deutschlandradio Kultur: Dann schauen wir auf die nächste oder übernächste Ebene: Landespolitik. Die Grünen haben im Moment das Problem, dass sie nirgendwo in Landesregierungen mit vertreten sind – anders als beispielsweise die Liberalen. Wo sehen Sie denn demnächst die Möglichkeit, demnächst wieder auf der Regierungsbank Platz zu nehmen?
Möglicherweise auch mit Schwarz-Grün? Wir haben 2008 Wahlen in Hessen, in Niedersachsen, auch in Bayern, vielleicht tut sich da ja auch was, oder muss man warten bis 2011 in Baden-Württemberg mit Herrn Oettinger an der CDU-Spitze ein neuer Landtag gewählt wird?

Palmer: Hoffentlich dauert die nächste grüne Regierungsbeteiligung nicht bis 2011, denn ich finde Regierungsbeteiligungen wichtig. Eine Partei, die nur in der Opposition schmort, kann nicht das bewirken, wofür sie eigentlich da ist. Also muss versucht werden da ranzukommen, aber nicht um jeden Preis, sondern nur, wenn sich grüne Inhalte durchsetzen lassen. Ich glaube, es wäre falsch, wenn ich jetzt sagen würde, im Land X und im Land Y stehen die Chancen so und so. Was man sicher sagen kann: In Berlin hätte es klappen können, wenn sich Herr Wowereit nicht für die PDS entschieden hätte.

Deutschlandradio Kultur: Baden-Württemberg wäre auch gegangen.

Palmer: In Baden-Württemberg hatte Schwarz-Grün eigentlich immer eine Mehrheit. Aber Herr Oettinger konnte sich nicht gegen die ewig Gestrigen in seiner Fraktion, namentlich den Fraktionschef, durchsetzen. Das ist auch schade. Mal sehen, ob das noch besser wird. Wenn man dann in die anderen Bundesländer guckt, dann kann ich nur sagen, mit Roland Koch kann ich mir keine Koalition vorstellen. Da geht es ja um die Frage, was kommt inhaltlich dabei raus. Das halte ich für ausgeschlossen. Möglicherweise ist Ole von Beust ein besserer potentieller Koalitionspartner. Die Frage ist, ob er will. Man wird sehen, was in Hamburg passiert.

Deutschlandradio Kultur: Ist Günter Oettinger lernfähig oder ist die Partei noch lernfähiger, so dass man möglicherweise 2011 davon ausgehen kann, das das Projekt Schwarz-Grün dann noch mal im Land ausgelotet wird?

Palmer: Mein Eindruck ist, Günter Oettinger hätte schon jetzt ein Interesse daran gehabt, aber er durfte nicht so, wie er wollte. Die Partei bewegt sich aber. Und was uns dabei hilft, ist die vollkommene inhaltliche Leere bei der FDP. Die CDU ist eine Partei, die einen gewissen Anspruch auch an Koalitionspartner hat. Und da der bei der FDP personell und inhaltlich nicht mehr zu erfüllen ist, glaube ich, dass sich die Debatte wieder stellt.

Deutschlandradio Kultur: Basisdemokratie ist eine Sache, die für die Grünen wichtig ist. Vielleicht kann das ja auch ein Oberbürgermeister machen, sagen: Ich will während meiner Zeit als grüner Oberbürgermeister mit relativ jungen Jahren mehr Bürgerentscheide. Sind Sie dafür?

Palmer: Ich will ganz generell mehr Bürgerbeteiligung. Ich finde ein Rathaus vor, in dem Informationen oft verschlossen gehalten wurden, als Herrschaftswissen eingesetzt wurden seitens der Verwaltungsspitze. Das möchte ich ändern. Ich fange damit schon an. Schon nächste Woche kommen Leute aus einer Bürgerinitiative aufs Rathaus, die bisher nur vor Gericht mit der Stadt in Kontakt war, und werden, bevor die Öffentlichkeit insgesamt von einem Projekt erfährt, detailliert informiert, um sich ein Bild machen zu können. Ich glaube, dass das der richtige Weg ist, dass man Betroffenheiten berücksichtigt, dass man Informationen offen behandelt, dass man keine Geheimwissenschaft aus der Kommunalpolitik macht und dass man dann, wenn die Bürgerschaft eine Frage sehr bewegt, auch bereit ist, die Entscheidung in die Hand der Bürgerschaft zu geben. Denn letztlich ist die Bürgerschaft der Souverän. Und sowohl der Gemeinderat als auch der Oberbürgermeister haben ihre Macht nur von der Bürgerschaft geliehen.

Deutschlandradio Kultur: In Freiburg regiert Dieter Salomon, der ehemalige Fraktionschef der Grünen in Baden-Württemberg seit fast fünf Jahren. Können grüne Oberbürgermeister voneinander lernen?

Palmer: Natürlich. Ich war einen ganzen Tag in Freiburg, um mir mal ein Bild zu machen, wie die Freiburger Stadtverwaltung funktioniert. Wir haben festgestellt, manches würden wir ganz anders machen. Manches ist gut zu wissen, wie es der andere gerade macht. Und von manchem wusste ich noch gar nicht, dass es das überhaupt gibt.

Deutschlandradio Kultur: Aber Sie wissen auch, dass es dort den Versuch gab, über Bürgerentscheide beispielsweise städtische Wohnungen zu verkaufen. Das hat nicht geklappt. Also doch ein zweischneidiges Schwert?

Palmer: Nein, denn man darf Bürgerentscheide nicht vom Ergebnis her beurteilen. Maßgeblich ist der Prozess, das heißt, die Diskussion, die dadurch in der Bürgerschaft entsteht. Man muss auch Niederlagen in der Politik akzeptieren können. Es ist falsch, wenn man aus einer Abstimmungsniederlage immer gleich ein persönliches Debakel macht. Dann kann sich nämlich niemand mehr trauen, offensiv für Dinge einzutreten, die vielleicht nicht selbstverständlich sind. Ich glaube, da brauchen wir einen Wandel in der politischen Kultur. Und ich denke, dass jetzt deutlich wird, dass er damit ja nicht Politik aufgibt, sondern er sagt: Gut, die Bürgerschaft wollte diesen Finanzierungsweg nicht. Unsere Schulen verfallen aber trotzdem. Dann muss bitteschön die Bürgerschaft auch die Konsequenzen tragen und wir erhöhen die Grundsteuer.

Deutschlandradio Kultur: Herr Palmer, in Tübingen haben viele bedeutende Philosophen gelehrt. Sie sind studierter Mathematiker. Was können Realpolitiker von Philosophen lernen? Haben Sie eine persönliche Maxime, die sich vielleicht aus der Philosophie ableitet?

Palmer: Philosophie habe ich ja nun nicht studiert, aber aus der Mathematik kann man lernen, dass möglich ist, dass 1 plus 1 nicht zwei, sondern null gibt. Das bringt mich zu einer gewissen Toleranz gegenüber anderen Meinungen.

Deutschlandradio Kultur: Herr Palmer, herzlichen Dank für das Gespräch.