Palliativmedizin

Das Schlimmste sagen müssen

Von Sigrun Damas · 01.02.2014
Die Begleitung Todkranker, die Palliativmedizin, gehört für Medizinstudenten mittlerweile zum Lehrstoff. An der Universität Münster üben sie sogar in einem eigenen Lehrkrankenhaus. In den Betten dort liegen Schauspieler.
Silvia Everding schluckt und streicht sich nervös eine Haarsträhne hinters Ohr. Gleich muss sie zum ersten Mal in ihrem Leben einem Menschen sagen, dass er bald sterben wird.
"Soll ich mir einen Kittel anziehen? - Ja, machen Sie mal. Ich glaube, das fühlt sich besser an.“
Dr. Birgit Rösner, die leitende Ärztin, bereitet Silvia Everding vor dem Krankenzimmer auf die Situation vor. Drinnen wartet eine unheilbar kranke Frau mit ihrem Enkel. Die Frau hat Bauchspeicheldrüsenkrebs und Metastasen in der Leber. Sie wird nicht mehr lange leben.
"Die kommen jetzt vom Hausarzt, wissen von den Befunden noch nichts. / Hauptthema ist natürlich die Gesprächsführung – zu gucken, wie bringe ich das jetzt an?
Everding: "Also ich soll einfach die Diagnose übermitteln? - Genau, die wissen noch nichts. - ok, gut."
Ernste Atmosphäre
Silvia gibt sich einen Ruck und öffnet die Zimmertüre.
"…darf ich mich kurz vorstellen: Silvia Everding, ich bin die Ärztin hier. - Wie geht es Ihnen? - Frau: Gut!!!"
Ein vertrauliches Gespräch zwischen der Ärztin, der Patientin und ihrem Enkel. Zuhörer haben die drei trotzdem. Denn das Krankenzimmer hat eine dunkel-verglaste Scheibe. Auf der anderen Seite der Scheibe verfolgen sieben Medizinstudenten und die Ärztin Birgit Rösner die Szene. Das Ganze ist eine Übungssituation. Silvia ist Medizinstudentin im 9. Semester. Die Patientin und ihr Enkel sind Schauspieler, der Bauchspeicheldrüsenkrebs ist erfunden. Trotzdem geht es hier sehr ernst zu.
"Also, es ist jetzt so, wir haben festgestellt, dass in Ihrer Bauchspeicheldrüse, dass sich dort böse Zellen befinden. – Nee – Also, es sind Krebszellen, muss ich Ihnen sagen, leider. In Ihrer Bauchspeicheldrüse, haben wir dort gefunden. Das kommt jetzt für Sie sicherlich sehr überraschend...- Frau: Bösartig? - Ja. - Frau: Bei so 'nem bisschen Bauchschmerzen? - Ja, das ist leider so."
Die Patientin wird bald sterben. Das einem Menschen sagen zu müssen, haben Generationen von Ärzten nicht gelernt. Erst seit kurzem ist die Palliativmedizin Teil des Medizinstudiums. An der Universität Münster steht den Studenten hierfür ein Übungskrankenhaus mit Schauspielern zur Verfügung. Der Palliativmediziner Dirk Domagk leitet die Ausbildung.
"Es geht darum, die Patienten bis zum Tod zu begleiten u ein würdevolles Sterben zu ermöglichen. Blickkontakt ist wesentlich, dem Patienten zuhören. Versuchen zu hören: wie sind die eigenen Wünsche des Patienten."
Den Patienten mitnehmen
Zuhören kann Silvia Everding. Sie schaut ihrer Patientin tapfer in die Augen. Aber sie bringt es nicht übers Herz, der Patientin zu sagen, dass sie nicht mehr lange leben wird. Die ist inzwischen ganz verzweifelt und fordert die grausame Wahrheit förmlich ein.
„Wollten Sie sagen, dass ich sterben muss? Wollten Sie das jetzt eigentlich sagen?!"
Everding: "Leider muss ich Ihnen das sagen, ja. Dass Sie an dieser Erkrankung irgendwann versterben werden."
Lange Pausen. Schweigen. Stille Verzweiflung. Viele Medizinstudenten ringen bei den Übungspatienten um die richtigen Worte, sagt Birgit Rösner, Palliativmedizinerin und Kursleiterin.
"Es gibt Typen, die ganz forsch sind und ganz schnell ihre Information loswerden wollen. Aber im Prinzip hat der Patient davon nichts gehabt, weil er nicht mitgenommen wurde und er die Wahrheit um die Ohren geschlagen bekommt. Und das ist natürlich schlecht."
Patientin wusste nicht, was auf sie zukommt
Nach einer guten Viertelstunde geht das Gespräch zu Ende. Jetzt versammeln sich alle im Krankenzimmer, auch die Mitstudenten und die Ärztin, die das Gespräch aus dem Nebenraum verfolgt haben. Die Feedback-Runde für Sivia Everding beginnt. Gilla Pitz, hat die Patientin gespielt.
"Sie haben meine Betroffenheit gewürdigt. Ich war nur hinterher sehr verwirrt. Ich hatte dann zwei Seiten: Sie haben mir leid getan, ich hab mir leid getan. Aber ich konnte nichts fassen. Ich wusste nicht, was passiert jetzt, einen Zeitraum. Ich wusste jetzt nicht, was auf mich zukommt."
Mitstudent Moritz lobt die einfühlsame Gesprächsführung, übt aber auch Kritik:
"Sie hat ja gefragt, ob sie sterben wird. Dass man das vorwegnimmt, dass der Patient sich das nicht selber holen muss. Und bei der schlechten Prognose, dass man ihr auch nicht eher rät, sie hat noch wenig Zeit und sie muss sich damit auseinandersetzen."
Klar und einfühlsam sein
Silvia Everding, die sichtlich geschafft auf ihrem Ärztestuhl hängt, stimmt ihm zu.
"Da die richtigen Worte zu finden, auf die Fragen zu antworten. Es fiel mir schwer. Ob ich sagen soll: Noch 4 Wochen, suchen Sie sich ein Hospiz. Das war schwer."
Auch Kursleiterin Birgit Rösner hätte sich eine mutigere Ärztin gewünscht:
"Man merkte auch die Unsicherheit. Sie haben ganz viel Mitleid gehabt. Da merkte man die therapeutische Unsicherheit, dass Sie gerne Ihren Oberarzt noch mal fragen. Da merkte man: Ich will das hier gar nicht alleine machen."
Klar sein am Bett eines Sterbenden, aber trotzdem einfühlsam. Medizinstudentin Silvia Everding ist froh, dass sie das heute mit Schauspielern proben durfte. Denn sie weiß: Als Ärztin wird sie irgendwann in eine ähnliche Situation kommen. Zeit zu üben ist dann nicht mehr.
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