Palästinenser werden "es nicht alleine schaffen"

28.10.2011
Der ehemalige Generaldelegierte Palästinas in der Bundesrepublik, Abdallah Frangi, ist enttäuscht über die fehlende deutsche Unterstützung des UNESCO-Beitritts seines Landes. Eine Mitarbeit bei der Weltkulturorganisation sei ein Bekenntnis der Palästinenser zum friedlichen Dialog - mit allen Ländern und besonders auch mit Israel.
Klaus Pokatzky: Kein westliches Land hat so viel für den Aufbau der Infrastruktur in den palästinensischen Autonomiegebieten getan wie Deutschland. Für die vier Millionen Menschen im Westjordanland und dem Gazastreifen haben die Deutschen Straßen und Klärwerke gebaut, Tiefbrunnen und Müllverbrennungsanlagen. Die Bundesdruckerei hat jahrelang die Pässe und die Briefmarken für die Palästinenser gedruckt.

Das alles steht in dem Buch "Der Gesandte – mein Leben für Palästina", das Abdallah Frangi gestern in Berlin vorgestellt hat und der in Frankfurt am Main Medizin und Politik studiert hat und der von 1993 bis 2005 Generaldelegierter Palästinas in Deutschland war. Willkommen im Studio, Herr Frangi!

Abdallah Frangi: Hallo, guten Tag!

Pokatzky: Knapp 130 Staaten erkennen ja die palästinensischen Gebiete als eigenständigen Staat an, aber bisher tun das nicht die Vereinten Nationen, nicht Israel und nicht die meisten westlichen Staaten, und auch nicht die Bundesrepublik. Wie war denn ihr ganz persönlicher Diplomatenstatus als Gesandter für Palästina in Deutschland?

Frangi: Eigentlich sehr einfach und doch sehr schwer. Nach der Vertreibung der Palästinenser 1948 von Palästina haben einige arabische Staaten uns unterstützt, und die Arabische Liga hat Büros geöffnet in allen europäischen Staaten, darunter Deutschland. Und in diesen Büros haben wir die Möglichkeit gehabt, einen Vertreter zu schicken, und ich war der Vertreter in diesen Büros, der die Sache Palästina in Deutschland vertritt und meine Bezeichnung hieß damals: 'Der PLO-Vertreter bei der Liga der arabischen Staaten, Büro Bonn'. Und ich habe meine Anwesenheit dort ausgenutzt, um Kontakte direkt bei den Empfängern, zum Beispiel mit den deutschen Politikern zu machen, mit den deutschen Parteien zu machen, mit den deutschen NGOs und Institutionen zu machen, und ich habe immer Rücksicht darauf genommen, Rücksicht auf die deutsche Geschichte. Und dass ich nicht so mit diesem Temperament, das wir im arabischen Raum einfach haben - dass man laut schreit und mit Fäusten diskutiert - sondern ganz sachlich, ganz nüchtern. Und ich glaube, damit habe ich Palästina sehr gut gedient.

Pokatzky: Zu den Erfolgen, die Sie für sich verbuchen können, gehören ja auch, dass Bundeskanzler Helmut Kohl die palästinensischen Autonomiegebiete besucht hat, dass Johannes Rau als nordrheinwestfälischer Ministerpräsident und als Bundespräsident Palästina besucht hat. Wäre das heute noch einfach so denkbar, nachdem der Osloer Friedensprozess im Grunde dann mit der Zweiten Intifada gestoppt wurde?

Frangi: Ich glaube, ohne dieses Osloer Abkommen hätten wir diesen Erfolg nicht gehabt, weil wir bis 1993 geduldet waren, aber keine Vertretung der PLO offiziell hatten, die in Deutschland tätig war oder arbeiten durfte und konnte.

Pokatzky: Weil die PLO ja immer noch diesen Ruf der alten Terrororganisation hatte.

Frangi: Weil die PLO diesen Ruf ...

Pokatzky: München 1972 ...

Frangi: ... obwohl die PLO damit nichts zu tun hat, eine Widerstandsbewegung hat immer den Ruf des Terrorismus. Und hier war das auch nicht anders. Und trotzdem, man hatte uns indirekt akzeptiert, als Vertretung. Wir haben ein Büro in Bonn gehabt, nicht mehr in dem Büro von der Liga der arabischen Staaten, sondern ganz frei. 1993 im August haben wir versucht, dass ein Treffen stattfindet zwischen Arafat und dem Außenminister Kinkel, und sie haben das abgelehnt. Nachdem wir das unterschrieben haben, das Abkommen von Oslo, bin ich eingeladen worden, offiziell, beim Außenminister Kinkel, und der hat öffentlich die Einladung für einen offiziellen Besuch ausgesprochen an Arafat.

Und Arafat kam tatsächlich am 7. Dezember 1993. Das heißt, knapp drei Monate, nachdem wir das Osloer Abkommen unterschrieben haben. Und ohne dieses Abkommen, und weil wir auch Israel anerkannt hatten, ohne diese Anerkennung Israels seitens der PLO wären wir in Deutschland nicht anerkannt und akzeptiert.

Pokatzky: Auf der Pariser Konferenz der UNESCO, die noch bis zum 10. November geht, wollen die Palästinenser ja Vollmitglied der UN-Kulturorganisation werden. Das ist das wichtigste Thema auf der Konferenz. Das könnte zum Austritt der USA aus der UNESCO führen, und auch Deutschland verhält sich ablehnend. Sind Sie nun enttäuscht über die Haltung Deutschlands?

Frangi: Ich bin enttäuscht, vor allem, weil wir, wenn wir sagen, wir möchten gerne in diesem Kulturbereich aufgenommen werden, heißt das, wir nehmen Abstand vom Krieg und von Waffen und Waffengewalt und Waffeneinsätzen. Und wenn man einem Volk verbietet, seine Kultur zu zeigen und Kulturaustausch mit den restlichen Teilen der Welt zu machen, dann verstehe ich das überhaupt nicht. Ich meine, der Sinn von dem Osloer Abkommen, dass wir Frieden schließen – wenn wir Frieden schließen, heißt das, wir haben Austausch mit allen Ländern, vor allem mit den Israelis: in dem Kulturaustausch, in diesem Gebiet, Austausch in jeder Hinsicht, dass wir uns gegenseitig befruchten können, im positiven Sinne.

Wenn die USA das jetzt als aggressiven Schritt von den Palästinensern betrachtet, dann verstehen wir das nicht, vor allem, weil der amerikanische Präsident – nachdem der neue amerikanische Präsident, Präsident Obama, in seiner Rede für die islamische Welt, nachdem er diese Politik von Bush, dem Sohn, beendet hat, die sehr grauenvoll war, die den gesamten Nahen Osten in einen Krieg bis zum heutigen Tag gezogen hat, können die Amerikaner und wir uns nicht erholen von diesen Kriegen – wenn der Präsident Obama in einer Rede vor der islamischen Welt gesagt hat: Ich möchte gerne eine neue Phase starten, in der die USA den Dialog der Kulturen unterstützen. Ich verstehe das nicht. Wenn er das unterstützt und das in Kairo sagt und uns verbietet, diesen Dialog in so einer Institution zu starten, oder davon zu profitieren, wie die anderen Völker.

Pokatzky: Abdallah Frangi im Deutschlandradio Kultur. Sind die Deutschen vielleicht ideale potenzielle Vermittler in diesem Konflikt oder nutzen sie ihre Möglichkeiten zu wenig?

Frangi: Das kommt auf die deutschen Politiker an, die das betreiben. Ich habe zum Beispiel erlebt, wie der Einfluss, der positive Einfluss von Wischnewski, in dem ...

Pokatzky: Hans-Jürgen Wischnewski, der berühmte Ben Wisch.

Frangi: Hans-Jürgen Wischnewski ... Ben Wisch!

Pokatzky: Der Sozialdemokrat, der jahrzehntelang für die Loslösungskämpfe von Frankreich in den nordafrikanischen Staaten vehement dafür eingesetzt hat.

Frangi: Ja, und er hat zum Beispiel sich dafür eingesetzt, dass die Menschen ihre Freiheit bekommen – und sie werden friedlicher, wenn sie ihre Freiheit bekommen. Und in diesem Sinne, hat er auch mit den Palästinensern vermittelt zwischen Palästinensern und Israelis, oder wie Präsident Rau, der hat es auch getan. Oder viele andere Namen, die es getan haben. Aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass diese Generation, wir haben das nicht noch mal erlebt, diese starken Männer.

Pokatzky: Wo ist der deutsche Politiker, der in diese Fußstapfen treten könnte?

Frangi: Vorläufig, sind sie vielleicht versteckt, aber ich hoffe und ich wünsche es mir und den Israelis, dass sie da sind, dass sie uns helfen, dass wir miteinander reden. Ich hoffe, dass diese Politiker kommen, weil ohne die Unterstützung der europäischen Politiker werden wir Palästinenser es nicht alleine schaffen.

Pokatzky: Hat der Arabische Frühling die Lage und die Stimmung in Palästina verändert?

Frangi: Ich glaube, die Entwicklung in Palästina hat den arabischen Völkern geholfen, dass sie zu diesem Frühling kommen. Und natürlich, wir profitieren davon. Wir profitieren davon, wenn wir jetzt arabische Demokratien haben in unserer Umgebung. Dann wird dieser Frühling auch auf die Israelis wirken, das wird auch wirken auf die Länder, die bis zum heutigen Tag die Türen gegenüber dieser neuen Entwicklung weiterhin fest schließen und nicht zulassen wollen, dass eine Demokratie in ihre Länder reinkommt.

Pokatzky: Ihr Buch trägt zwei Untertitel: "Mein Leben für Palästina" und "hinter den Kulissen der Nahostpolitik". Welches ist Ihr Lieblingskapitel in Ihrem Buch?

Frangi: Oh, das ist eine sehr schwierige Frage, weil ich habe eigentlich das Buch so geschrieben, das ist alles aufeinander wie ein Haus aufgebaut, Stein auf Stein, und ich kann nicht einen Stein wegnehmen und das Haus weiter bauen.

Pokatzky: Auch nicht die Feiern mit Arafat als charmantem Gastgeber, der den Gästen aus Deutschland Wein nachgeschenkt hat?

Frangi: Das ist zum Beispiel die schöne Seite. Es gab auch traurige Seiten, die auch dazugehören. Aber ich bin der Meinung, dass Arafat eine große Rolle in diesem Buch spielt, aber auch Präsident Abbas, viele andere Freunde, die auch ihr Leben verloren haben, darunter auch Kollegen. Im Grunde genommen sehe ich es als meine Pflicht, die Namen zu erwähnen von denen, die erschossen worden sind außerhalb ihrer Heimat, in Europa, die für den Frieden gearbeitet haben, nicht mit der Waffe, sondern genau wie ich, Vertreter Palästinas in London, in Paris, Rom, in Brüssel – diese Leute, die ermordet worden sind, weil sie sich für den Frieden eingesetzt hatten. Als ich das geschrieben habe, habe ich gedacht, ich habe so meinen Beitrag dazu geleistet, weil ich am Leben geblieben bin, und ich nicht zugelassen habe, dass diese Leute einfach wieder in Vergessenheit geraten sind.

Pokatzky: Ihr Buch "Der Gesandte – mein Leben für Palästina – hinter den Kulissen der Nahostpolitik" ist jetzt im Heyne Verlag erschienen. Vielen Dank für Ihren Besuch im Studio!

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