Palästina

Vertreibung, Exil, Erinnerung – Hoffnung

Blick auf die Ortschaft Beit Jala im von Israel besetzten Westjordanland
Blick auf die Ortschaft Beit Jala im von Israel besetzten Westjordanland © dpa / picture alliance / Abir Sultan
Von Imad Mustafa · 05.06.2014
Die Sehnsucht nach der Heimat ist seit 66 Jahren Bezugspunkt der palästinensischen Identität. Doch Israel weigert sich, das Rückkehrrecht der Flüchtlinge auch nur symbolisch anzuerkennen. Dies sei aber an der Zeit, meint der Politologe Imad Mustafa.
Jüngst feierte Israel zum 66. Mal seine Unabhängigkeit. Während die Palästinenser aus diesem Anlass den "Nakba-Tag", den "Tag der Katastrophe" begingen. Damals wurden 750.000 Landsleute vertrieben oder flohen aus ihren Häusern, Dörfern und Städten.
Im Libanon, in Syrien, in Jordanien und im ägyptisch verwalteten Gaza fanden sie Zuflucht in hastig errichteten Zeltlagern, die als Provisorium gedacht waren. Nur wenige hatten wohl geahnt, dass selbst noch ihre Enkelkinder in diesen nunmehr befestigten Lagern leben würden, heimatlos und ohne Perspektive auf ein normales Leben.
Das Erinnern an dieses Ereignis spielt im kollektiven Gedächtnis eine wichtige und zugleich paradoxe Rolle – unabhängig davon, wo die Palästinenser leben. Die Vertreibung einer ganzen Gesellschaft aus der Heimat bildet den Bezugspunkt ihrer nationalen Identität und Kultur, eint eine Diaspora, die über die ganze Welt verstreut ist, über alle Grenzen hinweg.
Ohne Vertreibung, kein Exil. Ohne Exil, keine Erinnerung. Ohne Erinnerung, keine Heimat. Und ohne Heimat, keine Identität. So wird das palästinensische Narrativ der letzten 66 Jahre erzählt.
Der Friedensprozess hat seinen Namen nicht verdient
Auch meine Eltern haben mir die Erinnerung an Palästina mitgegeben, die Hoffnung, dass die Rückkehr in die Heimat eines Tages gelingen werde, "Inshallah" – so Gott will – wie meine Mutter zu sagen pflegt. Manchmal glaubte ich, dass sie das nur sagt, um sich selbst über den Verlust hinwegzutrösten, ohne wirklich daran zu glauben.
Doch vor allem in den Flüchtlingslagern des Nahen Ostens, wo bereits die dritte und vierte Generation ohne Bürgerrechte und oftmals unter elenden Bedingungen lebt, hilft das Festhalten am Rückkehrrecht psychologisch, die trüben sozialen und politischen Realitäten auszublenden.
Der Friedensprozess hat seinen Namen nicht verdient, die israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten wachsen täglich weiter und der politischen Führung der Palästinenser fehlt schlichtweg die Macht, um etwas zu ändern.
Doch was tun mit dieser Erinnerung, die Heimatlose an die verlorene Heimat haben? Sie einfach verdrängen gelingt nicht – und das, obschon die Hoffnung noch lange vergeblich sein könnte. Denn hartnäckig stellt die Flüchtlingsfrage eines der größten Hindernisse auf dem Weg zum Frieden im Nahen Osten dar.
Gedenken an die Nakba ist seit 2011 unter Strafe gestellt
Mit Verweis auf seinen jüdischen Charakter, weigert sich Israel kategorisch, das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge und deren Nachkommen auch nur symbolisch anzuerkennen. So ist selbst das Gedenken an die Nakba seit 2011 in Israel unter Strafe gestellt.
Und genau hier liegt der Schlüssel für einen dauerhaften Frieden: Nur durch ein gegenseitiges Anerkennen und Würdigen ihrer Leidensgeschichte und eine zumindest symbolische Geste der Wiedergutmachung, kann es zu einer dauerhaften Aussöhnung kommen.
Längst hat Palästinenserpräsident Mahmud Abbas Israels Existenz offiziell anerkannt, jetzt auch das Leid, das Juden durch den Holocaust erlitten haben. Nun ist Israel an der Reihe, das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser sowie die Nakba anzuerkennen und anschließend daraus Konsequenzen zu ziehen.
Nur so kann sich Palästina zu einem lebendigen, vielfältigen Gemeinwesen weiterentwickeln, das friedlich neben Israel existiert und nicht mehr nur fiktive, sondern reale Heimat für die kommenden Generationen ist, getragen von einem kollektiven Erinnern, das nicht enttäuscht wurde.
Imad Mustafa1980 in Esslingen geboren, studierte Politikwissenschaft, Soziologie und Orientalistik in Heidelberg, Frankfurt und Damaskus. Er denkt und schreibt über Geschichte, Politik und Gesellschaften der arabischen Welt, Rassismus und Feindbild-Denken sowie Migration. Seit 2011 bloggt er auf das migrantenstadl, auf dem es mal dadaistisch-verrückt, mal ganz seriös, aber immer politisch um migrantische Belange in Deutschland geht. Letzte Buchveröffentlichung: "Der Poltische Islam – Zwischen Muslimbrüdern, Hamas und Hizbollah" (Promedia, 2013)
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