Kommentar zu Nahost

Eine Anerkennung Palästinas nützt nur der Hamas

04:22 Minuten
Ein Junge läuft mit Eimern für Wasser durch zerstörte Gebäude in Gaza-Stadt.
Die Bilder aus Gaza sind menschlich zutiefst bewegend – doch sie dürfen politisch nicht isoliert betrachtet werden, kommentiert Politologe Olaf Asbach. © picture alliance / ZUMAPRESS.com / Omar Ashtawy
Ein Kommentar von Olaf Asbach |
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Die Bilder aus Gaza sind entsetzlich: hungernde Menschen, zerstörte Gebäude, Elend und Verzweiflung. Doch auf die Macht der Bilder darf nicht mit Symbolpolitik wie der Anerkennung Palästinas reagiert werden. Davon profitiert am Ende nur die Hamas.
Während die Hamas weiterhin Geiseln in Gaza festhält und jeden politischen Ausweg blockiert, bekräftigen mehrere westliche Staaten ihre Absicht, Palästina noch in diesem Herbst als Staat anzuerkennen. Was als moralisches Statement gemeint ist, könnte sich bei näherer Betrachtung als strategischer Trugschluss erweisen.
Wenn der britische Premierminister Keir Starmer ankündigt, Palästina im September anzuerkennen, falls Israel bis dahin keinem Waffenstillstand zustimmt, vermittelt er die Botschaft: Wer durchhält, wird am Ende diplomatisch belohnt.
Ein Signal, das von der Hamas genau verstanden wird. Sie hat jetzt keinen Grund mehr, einer Waffenruhe zuzustimmen. Sie erreicht ihr Ziel gerade dadurch, dass sie sich einer Lösung verweigert.

Auch nach den Ursachen fragen

Wie sehr die Organisation genau darauf setzt, zeigt ein Interview mit Hamas-Sprecher Walid Kilani in der taz vom 30. Juli. Der Aufforderung der Arabischen Liga, die Waffen niederzulegen und Gaza an die Autonomiebehörde zu übergeben, begegnet Kilani mit entschiedener Ablehnung. Die Freilassung der israelischen Geiseln sei nur Teil eines umfassenden Pakets – mit Forderungen nach humanitärer Hilfe, Wiederaufbau, Gefangenenaustausch und israelischem Rückzug. Das Kalkül ist offenkundig: Die Hamas setzt nicht auf Verhandlungslösungen, sondern auf eine Politik der Erpressung, die sie als Machtfaktor erhalten soll.
Besorgniserregend ist dabei weniger die Position der Hamas selbst – die ist hinlänglich bekannt –, sondern dass sie in Teilen des westlichen Diskurses ausgeblendet wird. Dass dieser Krieg nur aufgrund des Massakers am 7. Oktober und der fortdauernden Geiselnahme von etwa 50 Menschen geführt wird, tritt zurück hinter die erschütternden Bilder des Leids, die täglich aus Gaza um die Welt gehen. Diese Bilder sind menschlich zutiefst bewegend – doch sie dürfen politisch nicht isoliert betrachtet werden. Wer nur die Folgen sieht, aber nicht mehr nach den Ursachen fragt, läuft Gefahr, aus Mitgefühl Maßstäbe zu verlieren.
Und er macht sich zum Erfüllungsgehilfen der Kommunikationsstrategie der Hamas. Sie verfolgt ihre Ziele ohne jede Rücksicht auf das Leben und Leiden der Menschen in Gaza. Umso bedeutsamer ist es, dass die Arabische Liga jetzt eine Erklärung verabschiedet hat, in der der Hamas-Angriff ausdrücklich verurteilt und die politische Rolle der Organisation infrage gestellt wird.

Politische Aufwertung einer Terrororganisation

Während sich also arabische Staaten der destruktiven Rolle der Hamas zunehmend bewusst werden, scheint sie im Westen mehr und mehr aus dem Blick zu geraten.
Wer diesen Widerspruch anspricht, läuft schnell Gefahr, als gefühllos oder zynisch zu gelten – als ignoriere man das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung. Doch genau darin liegt die eigentliche Falle: Wenn schon die nüchterne Abwägung einer symbolpolitischen Entscheidung wie der bedingungslosen Anerkennung Palästinas als Ausdruck mangelnder Empathie interpretiert wird, dann ist die Debatte moralisch überhitzt und aus dem Gleichgewicht geraten.
Das Ziel – ein souveräner, lebensfähiger palästinensischer Staat – bleibt legitim. Auch ein Ende des Krieges ist dringend geboten. Aber keines von beidem wird durch die politische Aufwertung einer Terrororganisation erreicht, die selbst in der arabischen Welt massiv an Rückhalt verliert. Notwendig ist eine Politik, die Anerkennung an Verantwortungsübernahme knüpft – nicht an die Dynamik medialer Bilder oder an die moralische Dringlichkeit des Augenblicks.
Gerade in diesen Tagen braucht es eine Haltung, die Mitgefühl nicht gegen politische Urteilskraft ausspielt. Wer es ernst meint mit der palästinensischen Sache, darf sie nicht der Hamas überlassen.

Olaf Asbach ist Politikwissenschaftler und Professor für Geschichte und Theorie des politischen Denkens an der Universität Hamburg.

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