Pakt des Schweigens

Von Jenny Genzmer · 10.07.2013
Vor fast 40 Jahren, am 20. November 1975, verstarb der spanische Diktator General Franco. Aufgearbeitet wurde seine Schreckensherrschaft nie. Weder die Geschichtsbücher des Landes noch der gesellschaftliche oder politische Diskurs stellen sich der jüngeren Vergangenheit.
Ganz oben auf dem Berg am Rand der Stadt Barcelona befindet sich der Steinbruch "La Pedrera". Hier wartet Tàrio Rubio Cuevas auf eine Gruppe Studenten.

Der mittlerweile 93-Jährige hat im Spanischen Bürgerkrieg für die Armee der Republikaner gekämpft und die Arbeitslager während der Gewaltherrschaft Francos überlebt. Der gedrungene Mann mit dem weißen schütteren Haar stützt sich auf seinen Gehstock und zeigte mit ausladender Geste über die weite Rasenfläche. Wie ein Kessel wird sie von einer abschüssigen Felsmauer umringt – ein Massengrab:

"Man geht davon aus, dass auf dieser Fläche 45.000 Tote begraben sind. Die Opfer wurden mit LKW an den Rand des Steinbruchs gefahren. Von dort oben wurden sie hier in diese Grube gekippt."

Viele Politiker Spaniens würden diesen Teil der Vergangenheit des Landes am liebsten weit hinter sich lassen. Dabei verabschiedeten schon 2007 die Sozialisten unter Ministerpräsident Zapatero das Gesetz zur "Wiedererlangung des historischen Gedächtnisses".

"Seit 40 Jahren wird über die Zeit der Franco-Diktatur geschwiegen. Ich bin in vielen Universitäten gewesen. Die Studenten haben sehr wenig Ahnung von all dem, was passiert ist. Sie haben keine Vorstellungen vom Ausmaß der Opferzahlen."

Die Konservativen halten wenig von Aufarbeitung
Vor allem Spaniens regierende Partei, die konservative Partido Popular unter Ministerpräsident Mariano Rajoy, hält wenig davon, die Vergangenheit aufzuarbeiten. Kurz nach seinem Amtsantritt 2012 reduzierte Rajoy die finanziellen Mittel dafür auf ein Minimum. Die Sparpolitik des Landes ist dabei wohl nicht der einzige Grund. Denn die Partido Popular verstehe sich noch immer als eine Partei, die der Franko-Zeit alles verdankt, sagt José Faraldo, Professor für Zeitgeschichte an der Universität Complutense in Madrid.

"Es gibt keinen offiziellen antifranquistischen Diskurs in der Regierung. Weder bei der Rechten noch bei der Linken. Man wollte die Vergangenheit hinter sich lassen und ein neues Spanien errichten. Deshalb wurden die Opfer auch nie entschädigt."

In Spanien gibt es keine "Aufarbeitung". Man ist sich einig darüber, dass Franco ein Diktator war, aber in den Schulbüchern beschreibt man die "Diktatur" immer als eine Zeit, die Vorteile hatte, als Zeit des Wirtschaftsaufschwungs und der Erneuerung. Das hat mit Aufarbeitung nicht viel zu tun.

"Pakt des Schweigens" nennen die Spanier diese Haltung ihrer Politiker. Ende der 90er-Jahre entstanden auch deshalb aus der Mitte der Gesellschaft heraus Vereinigungen zur Aufarbeitung der Vergangenheit. Zu ihnen gehört die "Erde der Brüderlichkeit", ein Zusammenschluss ehemaliger Zwangsarbeiter, Kriegsveteranen und Oppositioneller, die gegen Franco Widerstand leisteten. Heute errichten sie Museen und setzten sich dafür ein, dass Orte wie der Steinbruch "La Pedrera" zu Gedenkstätten werden.

Viele hatten Angst vor einer zweiten Diktatur
Gegründet wurde der Verein von Pepe Gamero Gonzáles, der auf einen der grausamsten Schauplätze des Spanischen Bürgerkrieges zeigt, auf das Areal in der Gebirgsregion der Terra Alta, ganz im Süden Kataloniens, wo die "Quinta del biberón" stationiert war – eine Einheit von jugendlichen Zwangsrekruten.

"Hier haben sich die Menschen versteckt, als sie bombardiert wurden. Auf diesem Stück Land starben über 1000 Menschen."

Das Dilemma um die spanische Vergangenheitsbewältigung kennt Pepe Gamero aus eigener Erfahrung. In den 90er-Jahren wurde er Bürgermeister der Stadt Corbera, die wenige Kilometer weiter im Norden der Gebirgsregion gelegen ist.

Bis heute prägen dort Ruinen der zerstörten Kirche und verlassene zerbombte Viertel einen Teil des Stadtbilds. Eine Geisterstadt, die erst 17 Jahre nach Francos Tod zum Denkmal wurde.

"Es war wichtig, die Toten in Ruhe zu lassen und dem Demokratisierungsprozess Zeit zu geben. Denn die Demokratie hing am seidenen Faden. Alle hatten Angst vor einem Militärputsch und einer zweiten Diktatur. Es musste Zeit vergehen, bis die alle alte Militärs, die noch am Krieg beteiligt waren, in Rente gingen oder starben."