Paff, der kleine Drache

Dieses Lexikon der Briten und Amerikaner, die deutsche Schlager trällerten, ist ein Buch zum Staunen und zum Hören - die Lieder liegen auch auf CD bei. Bernd Matheja macht sich nicht lustig über die Schlagertexte, sondern nimmt die Songs ernst und bewertet sie kritisch. In seinem anekdotenhaften Stil deckt er überraschend viel Neues auf.
Am deutschen Schlager scheiden sich die Kulturgeister; ein Buch wie "1000 Nadelstiche. Internationale Popsongs. Amerikaner & Briten singen deutsch (1955-1975)" über den deutschen Schlager zu schreiben, ist also nicht nur ein Wagnis, es ist eine Herausforderung an die Kultur. Den Fehdehandschuh hat Bernd Matheja ausgeworfen und pariert jede noch so versteckte Finte, jeden plötzlichen Ausfall durch seine akribische Recherche.

Zwanzig Jahre deckt das Buch ab: die Nachkriegsjahre Deutschlands, die Wirtschaftswunder-Zeit und die 68er. Es beschränkt sich dabei auf Sänger aus dem US-amerikanischen und britischen Lebensraum, und das ist eine seiner Stärken, weil es einem Phänomen auf den Grund geht – wieso suchte sich die deutsche Plattenindustrie amerikanische und britische Sänger, um diese dann deutsche Texte singen zu lassen?

Es wäre leicht gewesen, mit heißer Nadel und spitzer Zunge über die damals verbrochenen Schlagertexte herzuziehen. Sie ernst zu nehmen, ihre Entstehung nicht zu bespötteln, sondern sie kritisch zu bewerten ist ein Verdienst von Matheja, der das nicht mit bierernster Schlagerseligkeit tut, sondern durch Anekdoten mehr aufdeckt, als die meisten Musikwissenschaftler analysieren würden.

Der Titel "1000 Nadelstiche" ist nur so lange verwirrend, bis man erfahren hat, dass die Searchers, eine der angesagten Bands der swingin’ 60er, ihren Hit "Needles & Pins" auf Deutsch unter "1000 Nadelstiche" eingespielt haben.

Matheja hat gründlich, mit viel Liebe und Akribie recherchiert; das merkt man schon beim ersten, flüchtigen Durchblättern. Was der Einband verspricht - Biographie, Discographie, Cover und Fotos - hält der Autor ein. Und mehr als das. Kein lieblos zusammengeschustertes Lexikon ist hier entstanden, sondern ein Buch, das durch seine Fülle an genauen Informationen in seiner nun schon dritten und wieder grundlegend überarbeiteten und erweiterten Auflage den Platz als Standardwerk über dieses Thema behauptet.

Außerdem lädt es zum Schmökern ein - welches Lexikon kann das schon von sich behaupten? Allein die Liste der aufgeführten Interpreten ist ein Who is Who - und bei manchen Namen entfährt einem dann schon der Stoßseufzer: "Ach, der auch!".

Dass Elvis und die Beatles deutsch gesungen haben, ist heute Allgemeinwissen, dass aber auch Countrylegenden wie Johnny Cash oder Willie Nelson sich zungenbrecherisch ans Werk machten, verblüfft schon eher. Noch erstaunlicher wird es, steigt man auf die Höhen des Rock- oder Folkolymp. Peter, Paul & Mary ließen "Paff, den kleinen Drachen" aufsteigen, Mike Oldfield versuchte seinen "Don Alfonso" einzudeutschen und Bill Haley besang die "Rockin’ Rollin’ Schnitzelbank".

Eigentlich kommt man aus dem Staunen nicht heraus, wer alles was alles wann gesungen hat. Das Schöne an dem Buch ist, dass man es auch hören kann. Begleitende CDs sind auf dem Bear Family Label erschienen – und spätestens dann bleibt kaum ein Auge trocken und man erkennt: Der deutsche Schlager, egal ob von Deutschen, Amerikanern oder Briten gesungen, entspringt keiner Leitkultur - wohl aber einer light Kultur.


Rezensiert von Uwe Golz

Bernd Matheja: 1000 Nadelstiche. Internationale Popsongs. Amerikaner & Briten singen deutsch (1955-1975)
Bear Family, Hamburg 2007
352 Seiten. 39,80 Euro