Päpstliche Publikationen
Gerade einen Monat ist der neue Papst im Amt, und schon liegen stapelweise Bücher von und über Josef Ratzinger, ehemaliger Kardinal und nun Papst Benedikt XVI. auf den Verkaufstischen. Bildbände, Biografien, Berichte - aber nicht überall, wo "Papst" draufsteht, ist auch ausschliesslich Päpstliches drin.
Deutschlandradio Kultur hat bereits an zwei Terminen von den wichtigsten und interessantesten Ratzinger-Schriften berichtet. Am 29. April ging Jochen R. Klicker auf den Interviewband "Salz der Erde" ein sowie auf Ratzingers Dissertation, "Volk und Haus Gottes in Augustins Lehre von der Kirche". Ferner erinnerte er an den so genannten Weltkatechismus, den Katechismus der katholischen Kirche, bei dessen Entstehung der deutsche Kurienkardinal federführend beteiligt war.
Die Schriften des Benedikt XVI *(1)
Am 06.05. stellte Dr. Thomas Kroll den Interviewband "Gott und die Welt" vor, der - wie zuvor schon "Salz der Erde" - ein längeres Gespräch des Kardinals mit dem Journalisten Peter Seewald beinhaltet. Hingewiesen wurde zudem auf einen Artikel, der Ratzingers Position hinsichtlich der Zulassung von Frauen zum Priesteramt darlegt. Ratzingers Einschätzung von Pop- und Rockmusik, die in dessen Vortrag "Liturgie und Kirchenmusik" ebenso zu finden ist wie in "Der Geist der Liturgie", könnte beim angezielten Dialog mit der Jugend eine Rolle spielen.
Die Schriften des Benedikt XVI. *(2)
"Benedikt XVI. Der deutsche Papst" titeln Thomas Schweer und Steffen Rink ihr Taschenbuch, das schon seit Tagen in den Buchhandlungen ausliegt. Dem deutschen Papst widmen die Autoren nach Ausführungen über Macht und Wahl des Papstes immerhin dreißig Textseiten sowie elf Farb- und drei Schwarzweißbilder.
Angaben zur Person und zur kirchlichen Laufbahn werden mit Ausführungen zur theologischen Position ergänzt sowie mit einem Ausblick auf "mögliche Tendenzen in der Arbeit des neuen Papstes". Hier und da wird aus Ratzingers Schriften zitiert. Für einen ersten Einblick mag das reichen, rechtfertigt aber kaum den Titel des Büchleins mit 127 Seiten.
Darin melden sich zwei Religionswissenschaftler zu Wort, die der Klappentext als "Kirchenexperten" ausgibt. Diese These kann vor allem im zweiten Teil des dünnen Buches überprüft werden. Dort stellen die Autoren in vier Kapiteln eine Art Situationsanalyse der katholischen Kirche vor, bei der sie an diverse Problemstellungen und zahlreiche Konfliktpunkte erinnern.
Leider lassen sprachliche Fassung und Systematisierung des Stoffs zu wünschen übrig. Nur ein Beispiel: "Die Verständigung mit den orthodoxen Kirchen" ist nach wie vor ein Desiderat; doch kann man diesen Punkt nicht im Kapitel "Der Papst und die Weltpolitik" anführen.
Ärgerlich sind zudem theologische Defizite: Beim Frauendiakonat geht es keineswegs um "seelsorgliche Dienste, die ohne Weihe ausgeführt werden können". Ebenso schief wie falsch ist die Behauptung, der eigentliche Herrschaftsbereich der Päpste liege "auf religiösem Gebiet. Hier haben sie ... die Möglichkeit, frei zu agieren und die Gesamtkirche nach eigenem Gutdünken zu leiten." Mitnichten: Päpste sind an Schrift und Tradition gebunden. Das wird Benedikt XVI. gewiss demonstrieren und betonen.
Wer mehr über den neuen Papst wissen möchte, dem sei das Porträt von Heinz-Joachim Fischer empfohlen. "Es sollte ein Buch über Joseph Ratzinger werden", heißt es im Vorwort, ein Buch über den "Theologieprofessor, Kardinal-Erzbischof von München, den Präfekten der Glaubenskongregation und Dekan des Kardinalskollegiums". Die Ereignisse in Rom haben eine Veränderung des Buchkonzepts, eine Erweiterung verlangt.
Nun beschreiben die ersten beiden Kapitel Ratzingers Weg nach Rom sowie dessen Arbeit als Chef-Theologe im Vatikan. Die beiden folgenden gehen auf die jüngsten Ereignisse ein, auf die Zeit des Übergangs sowie auf die ersten Handlungen und Verlautbarungen des neuen Papstes.
"Dort der Kirchen-Theologe, der die Entwicklungen seiner Kirche kritisch sah und mit intellektueller Schärfe und Klarheit zu steuern suchte. Hier der 'weltliche' Journalist einer liberal-konservativen Zeitung" - so skizziert Fischer die Grundkonstellation seiner Begegnungen mit Ratzinger.
Fischers Ausführungen lassen kritisches Interesse und wohlwollenden Respekt erkennen gegenüber dem ehemaligen Dogmatik-Professor und langjährigen Präfekten der Glaubenskongregation.
Dem versierten Korrespondenten der "FAZ" beim Vatikan ist ein gut lesbares, informatives Buch gelungen, das zahlreiche Abbildungen enthält. Vor allem im ersten Teil gelingt es Fischer, ein differenziertes Bild des Menschen und Theologen Joseph Ratzinger vorzustellen - mit zarten Pinselstrichen zeichnet er dessen Stärken und Schwächen nach. Deutlich wird etwa, wie sehr Ratzingers Frömmigkeit und intellektuelle Ambitionen "seinem Eingebettetsein in einen geglückten Katholizismus" entspringen.
Im zweiten Teil, vor allem beim Blick auf die Phase der Sedisvakanz, muss Fischer notgedrungen den Fokus erweitern. Hier kommt nicht nur Ratzingers Agieren in den Blick. Im Rückblick werden nochmals Situation, Stimmungen und Prognosen vorgestellt, wobei auch andere Akteure in den Blick kommen. Das mag man in einigen Jahren mit größerem Interesse lesen.
Trotz weniger Tage bis zur Drucklegung macht sich Fischer mit den letzten fünfzig Seiten immerhin die Mühe, auf die ersten Verlautbarungen von Benedikt XVI. einzugehen. In ihnen erkennt er Friede und Versöhnung sowie Freude als Schlüsselbegriffe des neuen Pontifikats. "Die Freude am Glauben ist Joseph Ratzingers Lebensinhalt. Die Freude am Glauben, die er in seinen ersten Predigten beschworen hat, in die Kirche zurückzubringen", so Fischer, "könnte für ihn ein ehrgeiziges Programm sein." Ein sehr ehrgeiziges Programm, mag man betonen angesichts der Problemfelder (pädophile Priester, Homosexuelle, wiederverheiratet Geschiedene und vieles Andere mehr) nicht zuletzt im Blick auf "Kinder der Zeit und der modernen Gesellschaft", die "nicht begreifen können, dass mit dem Katholischen einst vor allem Sinnen- und Lebensfreude verbunden war."
Gleich zwei der neuen Veröffentlichungen wählen den Buchtitel "Habemus Papam. Von Johannes Paul II. zu Benedikt XVI.". Da ist zum einen das Buch von Andreas Englisch, Vatikan-Korrespondent für den Axel-Springer Verlag. Da ist zum anderen das Taschenbuch von Stephan Kulle, der dank guter Vatikan-Kontakte für das ZDF und Phoenix in Rom zugegen war. Der ehemalige Priesterkandidat fügt dem Titel seines Buches noch eine weitere Zeile hinzu: "Die Entscheidung im Vatikan".
Programm und Zielpunkt sind somit klar umrissen. Klar strukturiert ist auch der Aufbau des Buches. Kulles Ausführungen beginnen mit einem Prolog (Herbst in Rom), dem eine Art Tagebuch folgt, das die Zeitspanne vom Todestag Johannes Paul II. (Tag X) bis zur Proklamation Benedikt XVI. umfasst (Tag 16). Nachzulesen ist, was bereits in zahlreichen Stunden vom Fernsehen übermittelt wurde - ein Mix aus Berichten, Deutungen, Spekulationen und Informationen.
"An dieser Stelle ist es einmal an der Zeit, einen Blick auf die großen Kardinäle zu werfen." Damit lassen sich so manche Seiten füllen. Ferner erfährt man von Camerlengo-Briefmarken, wird über die Päpste unterrichtet, die nach der Wahl weiterhin ihren alten Namen führten usw. All das hat man schon oft hören müssen. Neu, aber schlichtweg falsch ist die These, das Diktum "was du einem meiner geringsten Brüder getan hast ..." (Mt 25,40b) sei der Bergpredigt zuzurechnen.
Einen Zugewinn hat vielleicht der, der sich für Kulles Privatleben und seine Auftritte ohne Kamera interessiert. Dann liest man über Begegnungen mit Constanze, der Producerin im ZDF-Studio Rom. Die war beim toten Papst und bekommt beim Erzählen feuchte Augen: "Stephan, mit dir kann ich ja über so was reden." Hinzu kommt, dass Kulles Sprachstil insgesamt zu wünschen übrig lässt. Wer will "die Hundertprozentmarke der Erfüllung" erreichen oder "sich die Kante geben"? Schade um die Lesezeit.
Das umfangreichste Buch legt Andreas Englisch vor. Zum einen konzentriert er sich auf die Tage vom 2. bis zum 19. April 2005; zum anderen lässt er nach und nach vieles von dem einfließen, was er seit mehr als fünfzehn Jahren bei Pressekonferenzen, im so genannten Pool oder auf Reisen mit Papst Johannes Paul II. erlebt und erfahren hat. "Habemus papam" ist in weiten Teilen eine persönliche Hommage an den verstorbenen Papst: "Es war ein anstrengender Job, damals, an deiner Seite, Karol Wojtyla." Habebam Papam.
Das Buch mit 39 fortlaufenden Kapiteln beginnt mit dem Warten auf Benedikt XVI.: "Dienstag, 19. April 2005, 17.43 Uhr auf dem Petersplatz ... Hat die Welt einen neuen Papst oder nicht?" Dann bringt sich der Autor als Protagonist ins Spiel: "Ein Fernsehteam der ARD steht plötzlich vor mir, um mich als Bestsellerautor und Vatikanfachmann zu interviewen". Dritter Hauptdarsteller ist Johannes Paul II., der leidende, nunmehr verstorbene Papst.
Diese drei teilen sich die Bühne der gut dreihundert Seiten. Immer wieder heißt es "Ich erinnere mich ..." - dann streut Englisch seine persönlichen Gefühle und Deutungen ein, dann greift er in seinen großen Fundus an Anekdoten und Insider-Kenntnissen. Er berichtet von Peinlichkeiten am Vorabend des Todes von Johannes Paul II. und schreibt über strategische Fehler von Kardinälen im Vorfeld des vorletzten Konklaves.
Von Kardinal Ratzinger - Englisch nennt ihn "braver Soldat" und "treuer Gefolgsmann" - ist eher selten die Rede. Hier die schönste Geschichte: Als Johannes Paul II. nach Assisi fuhr, um die Aussöhnung der Religionen voranzutreiben, war der Präfekt der Glaubenskongregation mit im Zug. Auf die Frage, wie er die Reise beurteile, antwortete Kardinal Ratzinger: "Sie sehen ja: Ich fahre mit. Aber ich sitze entgegen der Fahrtrichtung."
Durch präzise Zeitangaben versucht Englisch beim Bericht der Ereignisse immer wieder Spannung aufzubauen, um die Leserinnen dadurch ebenso zu fesseln wie durch die Darlegung seiner persönlichen Betroffenheit. Im Zuge dessen kritisiert er mehrmals die pietätlose Arbeit der Medien, bekennt seine Scham - und schreibt munter weiter, wie es sich für einen "Bild"-Reporter gehört. Immerhin: Das Buch ist in weiten Teilen besser lesbar und bietet mehr Medienkunde als Stephan Kulles Schnellschuss.
Auch Andreas Englisch ist nicht immer präzise. "Was bedeutet der Tod?" Das ist nicht die Grundfrage der katholischen Kirche, wohl aber eine existentielle und religiöse Fragestellung - somit eine wichtige Frage auch für Christen.
Im Vorabdruck, der dem Rezensenten vorliegt, findet sich der Hinweis, Jacques Chirac habe alle Macht darauf verwendet, "dass in der Verfassung der EU kein Bezug auf den Papst aufgenommen wird". Hat hier Englischs Arbeit am Mythos Johannes Paul II. blasphemische Züge angenommen - oder hat der Autor doch noch einen gnädigen Lektor gefunden?
Thomas Schweer / Steffen Rink: Benedikt XVI. - Der deutsche Papst. [Ullstein Taschenbuch 36828] Ullstein Verlag Berlin, 2005. 127 Seiten, Euro 6,95.
Heinz-Joachim Fischer: Benedikt XVI. Ein Porträt. Herder Verlag Freiburg i.Br., 2005. 191 Seiten, Euro 12,90.
Stephan Kulle: Habemus Papam. Von Johannes Paul II. zu Benedikt XVI. Die Entscheidung im Vatikan [Kiwi Paperback 920] Kiepenheuer & Witsch Köln, 2005. 254 Seiten, Euro 8,90.
Andreas Englisch: Habemus papam. Von Johannes Paul II. zu Benedikt XVI. C. Bertelsmann Verlag München, 2005. 331 Seiten, Euro 19,90. (Das Buch ist ab 24. Mai im Handel erhältlich.)
Die Schriften des Benedikt XVI *(1)
Am 06.05. stellte Dr. Thomas Kroll den Interviewband "Gott und die Welt" vor, der - wie zuvor schon "Salz der Erde" - ein längeres Gespräch des Kardinals mit dem Journalisten Peter Seewald beinhaltet. Hingewiesen wurde zudem auf einen Artikel, der Ratzingers Position hinsichtlich der Zulassung von Frauen zum Priesteramt darlegt. Ratzingers Einschätzung von Pop- und Rockmusik, die in dessen Vortrag "Liturgie und Kirchenmusik" ebenso zu finden ist wie in "Der Geist der Liturgie", könnte beim angezielten Dialog mit der Jugend eine Rolle spielen.
Die Schriften des Benedikt XVI. *(2)
"Benedikt XVI. Der deutsche Papst" titeln Thomas Schweer und Steffen Rink ihr Taschenbuch, das schon seit Tagen in den Buchhandlungen ausliegt. Dem deutschen Papst widmen die Autoren nach Ausführungen über Macht und Wahl des Papstes immerhin dreißig Textseiten sowie elf Farb- und drei Schwarzweißbilder.
Angaben zur Person und zur kirchlichen Laufbahn werden mit Ausführungen zur theologischen Position ergänzt sowie mit einem Ausblick auf "mögliche Tendenzen in der Arbeit des neuen Papstes". Hier und da wird aus Ratzingers Schriften zitiert. Für einen ersten Einblick mag das reichen, rechtfertigt aber kaum den Titel des Büchleins mit 127 Seiten.
Darin melden sich zwei Religionswissenschaftler zu Wort, die der Klappentext als "Kirchenexperten" ausgibt. Diese These kann vor allem im zweiten Teil des dünnen Buches überprüft werden. Dort stellen die Autoren in vier Kapiteln eine Art Situationsanalyse der katholischen Kirche vor, bei der sie an diverse Problemstellungen und zahlreiche Konfliktpunkte erinnern.
Leider lassen sprachliche Fassung und Systematisierung des Stoffs zu wünschen übrig. Nur ein Beispiel: "Die Verständigung mit den orthodoxen Kirchen" ist nach wie vor ein Desiderat; doch kann man diesen Punkt nicht im Kapitel "Der Papst und die Weltpolitik" anführen.
Ärgerlich sind zudem theologische Defizite: Beim Frauendiakonat geht es keineswegs um "seelsorgliche Dienste, die ohne Weihe ausgeführt werden können". Ebenso schief wie falsch ist die Behauptung, der eigentliche Herrschaftsbereich der Päpste liege "auf religiösem Gebiet. Hier haben sie ... die Möglichkeit, frei zu agieren und die Gesamtkirche nach eigenem Gutdünken zu leiten." Mitnichten: Päpste sind an Schrift und Tradition gebunden. Das wird Benedikt XVI. gewiss demonstrieren und betonen.
Wer mehr über den neuen Papst wissen möchte, dem sei das Porträt von Heinz-Joachim Fischer empfohlen. "Es sollte ein Buch über Joseph Ratzinger werden", heißt es im Vorwort, ein Buch über den "Theologieprofessor, Kardinal-Erzbischof von München, den Präfekten der Glaubenskongregation und Dekan des Kardinalskollegiums". Die Ereignisse in Rom haben eine Veränderung des Buchkonzepts, eine Erweiterung verlangt.
Nun beschreiben die ersten beiden Kapitel Ratzingers Weg nach Rom sowie dessen Arbeit als Chef-Theologe im Vatikan. Die beiden folgenden gehen auf die jüngsten Ereignisse ein, auf die Zeit des Übergangs sowie auf die ersten Handlungen und Verlautbarungen des neuen Papstes.
"Dort der Kirchen-Theologe, der die Entwicklungen seiner Kirche kritisch sah und mit intellektueller Schärfe und Klarheit zu steuern suchte. Hier der 'weltliche' Journalist einer liberal-konservativen Zeitung" - so skizziert Fischer die Grundkonstellation seiner Begegnungen mit Ratzinger.
Fischers Ausführungen lassen kritisches Interesse und wohlwollenden Respekt erkennen gegenüber dem ehemaligen Dogmatik-Professor und langjährigen Präfekten der Glaubenskongregation.
Dem versierten Korrespondenten der "FAZ" beim Vatikan ist ein gut lesbares, informatives Buch gelungen, das zahlreiche Abbildungen enthält. Vor allem im ersten Teil gelingt es Fischer, ein differenziertes Bild des Menschen und Theologen Joseph Ratzinger vorzustellen - mit zarten Pinselstrichen zeichnet er dessen Stärken und Schwächen nach. Deutlich wird etwa, wie sehr Ratzingers Frömmigkeit und intellektuelle Ambitionen "seinem Eingebettetsein in einen geglückten Katholizismus" entspringen.
Im zweiten Teil, vor allem beim Blick auf die Phase der Sedisvakanz, muss Fischer notgedrungen den Fokus erweitern. Hier kommt nicht nur Ratzingers Agieren in den Blick. Im Rückblick werden nochmals Situation, Stimmungen und Prognosen vorgestellt, wobei auch andere Akteure in den Blick kommen. Das mag man in einigen Jahren mit größerem Interesse lesen.
Trotz weniger Tage bis zur Drucklegung macht sich Fischer mit den letzten fünfzig Seiten immerhin die Mühe, auf die ersten Verlautbarungen von Benedikt XVI. einzugehen. In ihnen erkennt er Friede und Versöhnung sowie Freude als Schlüsselbegriffe des neuen Pontifikats. "Die Freude am Glauben ist Joseph Ratzingers Lebensinhalt. Die Freude am Glauben, die er in seinen ersten Predigten beschworen hat, in die Kirche zurückzubringen", so Fischer, "könnte für ihn ein ehrgeiziges Programm sein." Ein sehr ehrgeiziges Programm, mag man betonen angesichts der Problemfelder (pädophile Priester, Homosexuelle, wiederverheiratet Geschiedene und vieles Andere mehr) nicht zuletzt im Blick auf "Kinder der Zeit und der modernen Gesellschaft", die "nicht begreifen können, dass mit dem Katholischen einst vor allem Sinnen- und Lebensfreude verbunden war."
Gleich zwei der neuen Veröffentlichungen wählen den Buchtitel "Habemus Papam. Von Johannes Paul II. zu Benedikt XVI.". Da ist zum einen das Buch von Andreas Englisch, Vatikan-Korrespondent für den Axel-Springer Verlag. Da ist zum anderen das Taschenbuch von Stephan Kulle, der dank guter Vatikan-Kontakte für das ZDF und Phoenix in Rom zugegen war. Der ehemalige Priesterkandidat fügt dem Titel seines Buches noch eine weitere Zeile hinzu: "Die Entscheidung im Vatikan".
Programm und Zielpunkt sind somit klar umrissen. Klar strukturiert ist auch der Aufbau des Buches. Kulles Ausführungen beginnen mit einem Prolog (Herbst in Rom), dem eine Art Tagebuch folgt, das die Zeitspanne vom Todestag Johannes Paul II. (Tag X) bis zur Proklamation Benedikt XVI. umfasst (Tag 16). Nachzulesen ist, was bereits in zahlreichen Stunden vom Fernsehen übermittelt wurde - ein Mix aus Berichten, Deutungen, Spekulationen und Informationen.
"An dieser Stelle ist es einmal an der Zeit, einen Blick auf die großen Kardinäle zu werfen." Damit lassen sich so manche Seiten füllen. Ferner erfährt man von Camerlengo-Briefmarken, wird über die Päpste unterrichtet, die nach der Wahl weiterhin ihren alten Namen führten usw. All das hat man schon oft hören müssen. Neu, aber schlichtweg falsch ist die These, das Diktum "was du einem meiner geringsten Brüder getan hast ..." (Mt 25,40b) sei der Bergpredigt zuzurechnen.
Einen Zugewinn hat vielleicht der, der sich für Kulles Privatleben und seine Auftritte ohne Kamera interessiert. Dann liest man über Begegnungen mit Constanze, der Producerin im ZDF-Studio Rom. Die war beim toten Papst und bekommt beim Erzählen feuchte Augen: "Stephan, mit dir kann ich ja über so was reden." Hinzu kommt, dass Kulles Sprachstil insgesamt zu wünschen übrig lässt. Wer will "die Hundertprozentmarke der Erfüllung" erreichen oder "sich die Kante geben"? Schade um die Lesezeit.
Das umfangreichste Buch legt Andreas Englisch vor. Zum einen konzentriert er sich auf die Tage vom 2. bis zum 19. April 2005; zum anderen lässt er nach und nach vieles von dem einfließen, was er seit mehr als fünfzehn Jahren bei Pressekonferenzen, im so genannten Pool oder auf Reisen mit Papst Johannes Paul II. erlebt und erfahren hat. "Habemus papam" ist in weiten Teilen eine persönliche Hommage an den verstorbenen Papst: "Es war ein anstrengender Job, damals, an deiner Seite, Karol Wojtyla." Habebam Papam.
Das Buch mit 39 fortlaufenden Kapiteln beginnt mit dem Warten auf Benedikt XVI.: "Dienstag, 19. April 2005, 17.43 Uhr auf dem Petersplatz ... Hat die Welt einen neuen Papst oder nicht?" Dann bringt sich der Autor als Protagonist ins Spiel: "Ein Fernsehteam der ARD steht plötzlich vor mir, um mich als Bestsellerautor und Vatikanfachmann zu interviewen". Dritter Hauptdarsteller ist Johannes Paul II., der leidende, nunmehr verstorbene Papst.
Diese drei teilen sich die Bühne der gut dreihundert Seiten. Immer wieder heißt es "Ich erinnere mich ..." - dann streut Englisch seine persönlichen Gefühle und Deutungen ein, dann greift er in seinen großen Fundus an Anekdoten und Insider-Kenntnissen. Er berichtet von Peinlichkeiten am Vorabend des Todes von Johannes Paul II. und schreibt über strategische Fehler von Kardinälen im Vorfeld des vorletzten Konklaves.
Von Kardinal Ratzinger - Englisch nennt ihn "braver Soldat" und "treuer Gefolgsmann" - ist eher selten die Rede. Hier die schönste Geschichte: Als Johannes Paul II. nach Assisi fuhr, um die Aussöhnung der Religionen voranzutreiben, war der Präfekt der Glaubenskongregation mit im Zug. Auf die Frage, wie er die Reise beurteile, antwortete Kardinal Ratzinger: "Sie sehen ja: Ich fahre mit. Aber ich sitze entgegen der Fahrtrichtung."
Durch präzise Zeitangaben versucht Englisch beim Bericht der Ereignisse immer wieder Spannung aufzubauen, um die Leserinnen dadurch ebenso zu fesseln wie durch die Darlegung seiner persönlichen Betroffenheit. Im Zuge dessen kritisiert er mehrmals die pietätlose Arbeit der Medien, bekennt seine Scham - und schreibt munter weiter, wie es sich für einen "Bild"-Reporter gehört. Immerhin: Das Buch ist in weiten Teilen besser lesbar und bietet mehr Medienkunde als Stephan Kulles Schnellschuss.
Auch Andreas Englisch ist nicht immer präzise. "Was bedeutet der Tod?" Das ist nicht die Grundfrage der katholischen Kirche, wohl aber eine existentielle und religiöse Fragestellung - somit eine wichtige Frage auch für Christen.
Im Vorabdruck, der dem Rezensenten vorliegt, findet sich der Hinweis, Jacques Chirac habe alle Macht darauf verwendet, "dass in der Verfassung der EU kein Bezug auf den Papst aufgenommen wird". Hat hier Englischs Arbeit am Mythos Johannes Paul II. blasphemische Züge angenommen - oder hat der Autor doch noch einen gnädigen Lektor gefunden?
Thomas Schweer / Steffen Rink: Benedikt XVI. - Der deutsche Papst. [Ullstein Taschenbuch 36828] Ullstein Verlag Berlin, 2005. 127 Seiten, Euro 6,95.
Heinz-Joachim Fischer: Benedikt XVI. Ein Porträt. Herder Verlag Freiburg i.Br., 2005. 191 Seiten, Euro 12,90.
Stephan Kulle: Habemus Papam. Von Johannes Paul II. zu Benedikt XVI. Die Entscheidung im Vatikan [Kiwi Paperback 920] Kiepenheuer & Witsch Köln, 2005. 254 Seiten, Euro 8,90.
Andreas Englisch: Habemus papam. Von Johannes Paul II. zu Benedikt XVI. C. Bertelsmann Verlag München, 2005. 331 Seiten, Euro 19,90. (Das Buch ist ab 24. Mai im Handel erhältlich.)