Paco, die Droge der Armen
In den Armenvierteln von Argentiniens Hauptstadt Buenos Aires hat sich in den letzten Jahren das Rauschmittel Paco rasant ausgebreitet. Der Stoff ist extrem billig, macht aber dafür umso schneller abhängig. Die Droge schädigt nicht nur Organe wie Lungen, Leber und Herz - sie erzeugt auch Psychosen.
Auf der Plaza de Mayo gegenüber der Casa Rosada, dem lachsfarbenen Präsidentenpalast, laufen Frauen mit schwarzen Kopftüchern im Kreis und rufen "Nein zum Völkermord durch Drogen".
Der Platz ist regelmäßig Ort von Demonstrationen in Argentiniens Hauptstadt Buenos Aires, bekannt geworden vor allem durch die Mütter Plaza de Mayo, die jahrelang mit ihren Schweigedemonstrationen die Aufklärung der Verbrechen an ihren Kindern während der argentinischen Militärdiktatur forderten.
Heute protestieren die Frauen aus einem anderen Grund. Ihre Kinder sind der Droge Paco verfallen, einem Rauschmittel, das aus den Resten der Koka-Paste gewonnen wird, ein ebenso billiger wie schädlicher Stoff, der sich in den letzten Jahren in ganz Argentinien rasant ausgebreitet hat.
Madre del Paco: "Zum Teil sind es noch Kinder, die Paco rauchen, neun Jahre alt, oder wie in der Provinz Salta, wo es schon Fünfjährige gibt. Wir kämpfen darum, dass diese Kinder von dem Zeug wegkommen und überleben können.
Und wir fordern von der Regierung, dass sie endlich eine vernünftige Politik betreibt und sich mehr um die Behandlung der Abhängigen kümmert. Paco wird ganz offen verkauft. Darum fordern wir von der Regierung: eine echte Bekämpfung des Drogenhandels und eine bessere Versorgung der Süchtigen, die sonst sterben."
Die meisten der etwa zwei Dutzend "Madres del Paco" kommen aus Vierteln, die in Argentinien als Villas Miserias, als Elendssiedlungen bezeichnet werden.
Madre del Paco: "Überall, sogar in Pizzerien, wird Paco verkauft. Viele Jungs schaffen es nicht, davon wegzukommen, weil Paco 24 Stunden lang zu haben ist. Alle wissen, wo es verkauft wird, auch die Polizei – aber keiner unternimmt etwas dagegen. Es geht um viel Geld. Ich lasse meinen Sohn nicht mehr bei mir im Haus schlafen, weil ich Angst habe, dass er der Drogen wegen das Wenige nimmt, was ich besitze. Er hat mir schon viele Sachen genommen geklaut: Handys, DVDs, Schuhe."
Termin beim Psychologen Eduardo Lavarto, der Drogenabhängige behandelt. Er lebt in Bajo Flores, einem der berüchtigten Viertel in Buenos Aires. Die suche nach einem Taxi dorthin, erweist sich als überaus schwierig.
Normalerweise fahre er nicht dorthin, meint der Taxifahrer, weil es zu gefährlich sei. Am Tage ginge es vielleicht noch. Aber in der Nacht … - Angesichts zunehmender Gewalt und Drogenkriminalität in solchen Vierteln sprechen die Argentinier inzwischen von einer Favelarisierung der Gegenden, in Anspielung auf die berüchtigten Armenviertel Brasiliens.
Taxifahrer: "Überall dort gibt es Paco-Konsumenten. Das heißt aber nicht, dass alle, die in diesen Armenvierteln leben, Verbrecher sind. Es gibt nach wie vor dort viele Menschen, die hart arbeiten. Aber was passiert? Die Drogenbanden siedeln sich in solchen Vierteln an, weil sie von dort aus leichter operieren können. Die Polizei traut sich nicht mehr hinein."
Je mehr sich das Taxi Bajo Flores nähert, desto dunkler, verlassener und unangenehmer wird die Gegend. An Straßenampeln stehen Jugendliche und betteln. Die meisten sind abgemagert, ihre Gesichter eingefallen, ihr Blick ausdruckslos. Das seien Paco-Abhängige, sagt der Taxifahrer. In Argentinien nenne man sie Zombies oder muertos viventes, lebende Tote.
Taxifahrer: "Paco ist der reinste Müll. Es sind die Reste – das, was beim Auskochen von Koka übrig bleibt. Darum ist es auch so billig. Und weißt Du, was sie zum Teil sogar Beimischen? Dieses weiße Pulver aus den weißen Neon-Röhren. Das ist richtig giftig."
Vor der Arztpraxis hängen am Straßenrand abgerissene Figuren herum. Der Versuch, den Psychologen Eduardo Lavarto vom Handy aus anzurufen, scheitert: Das Handy wird durch das offene Taxi-Fenster aus der Hand gerissen.
Das wird dem Taxifahrer Juan zu viel. Er gibt Gas, sagt, dass er es nicht verantworten könne, mich hier alleine auf die Straße zu lassen und fährt davon.
Taxifahrer: "Das Drama mit diesen Jungs ist, dass sie hier oben nicht mehr richtig ticken: Paco frisst ihr Gehirn auf. Es ist eine sehr schädliche Droge; schlimmer als alle anderen Drogen."
Die Paco-Brösel werden mit Trägermitteln wie Marihuana, Stahlwolle oder Tabak in Pfeifen geraucht, die mit Aluminiumfolie abgedeckt sind. Eine einzelne Dosis kostet nur wenige Peso und verschafft einen kurzen Kick. Dem allerdings folgen Depressionen - und das unstillbare Verlangen nach mehr Paco folgen. Viele Konsumenten brauchen Dutzende Dosen am Tag. Dabei schädigt Paco Organe wie Lunge, Herz, Leber und Hirn. Die Droge führt zu Psychosen und Paranoia.
Eduardo Lavarto gehört zu den Pionieren der Therapie von Paco-Süchtigen in geschlossenen Einrichtungen. Seit 15 Jahren arbeitet er in diesem Bereich. Der Paco-Konsum habe in gewissen Gegenden epidemische Ausmaße erreicht, meint der Psychologe.
Eduardo Lavarto: "50 Prozent der Jugendlichen in solch kritischen Vierteln, wie dem, wo Sie gestern gewesen sind, rauchen Paco. Das heißt, die Hälfte der Jugend konsumiert Paco!"
Genaue Zahlen gibt es aber nicht. Die Tageszeitung Clarín geht nach einer im Jahr 2009 durchgeführten Erhebung von 300.000 bis 700.000 Abhängigen aus – allein in der Stadt und im Großraum Buenos Aires.
Die Orte, an denen sich Paco wie eine Seuche ausbreitet – jene "Villas Miserias" waren seit den Zeiten des Wirtschaftsbooms unter dem populistischen Präsidenten Perón entstanden, als Tausende von Migranten aus dem Landesinneren in die Hauptstadt drängten. Inzwischen kommen Einwanderer aus dem Ausland dazu, aus den benachbarten Andenländern wie Bolivien und Peru.
Eduardo Lavarto: "In diesen Vierteln lässt sich beobachten, wie sich dort Drogenbanden festsetzen. Darunter häufig Peruaner und Kolumbianer, auch Bolivianer, und natürlich gibt es auch viele Argentinier. Die "Narcos" sind jetzt auch bei uns im Land und haben ihre Drogenküchen mitgebracht. Das ist eine soziale Katastrophe."
Ein Grund dafür, dass Kokain aus den Nachbarländern mittlerweile in größerem Maßstab in Argentinien verarbeitet wird, ist ein Verbot in den Anbauregionen: Dort ist die Einfuhr gewisser Chemikalien, die man für die Drogenküchen braucht, auf Drängen der Vereinten Nationen untersagt worden. Doch es gibt weitere Ursachen für den Paco-Konsum.
Eduardo Lavarto: "Früher war ein Peso einen Dollar wert – seither ist das Verhältnis fast vier zu eins. Deshalb können sich nicht mehr so viele Kokain leisten, es ist keine Volksdroge mehr. Kokain hat an also Bedeutung verloren und dafür Paco an Terrain gewonnen."
Wer einmal süchtig geworden ist, hat es schwer, wieder davon wegzukommen:
Eduardo Lavarto: "Die Abhängigkeit lässt sich überwinden, wenn drei wichtige Faktoren zusammen wirken: Zum Ersten eine gute Behandlung hinter verschlossenen Türen, die mit einer Entgiftung beginnt. Zum Zweiten muss die Familie helfen. Und drittens muss der Betroffene selber dazu bereit sein. Wir reden immer von einem Tisch mit drei Beinen: Fehlt eines dieser Tischbeine, dann steht alles auf wackligen Füßen."
Voraussetzung für einen erfolgreichen Entzug ist allerdings, dass es ausreichend Therapieplätze gibt. Und genau das ist das Problem. Laut einer Erhebung der staatlichen Drogenbekämpfungsstelle Sedronar im Juni 2009 existieren landesweit nur 3.000 vom Staat finanzierte stationäre Plätze für den Drogenentzug. Die Wartelisten sind lang.
Eduardo Lavarto: "Es ist ja nicht so, dass es gar keine solche Einrichtungen gibt. Aber der Etat des öffentlichen Gesundheitswesens ist so gering, dass es viel zu wenige gibt. Die Mehrheit von ihnen ist in der Provinz Buenos Aires konzentriert, weniger gibt es dagegen in der Stadt Buenos Aires, genauso wie in den anderen Provinzen, in einigen gibt es nicht eine einzige therapeutische Einrichtung."
Die "Madres del paco" organisieren Protestmärsche in Buenos Aires und ziehen durch die Gassen berüchtigter Viertel, um Süchtige davon zu überzeugen, vom Paco wegzukommen. Manchmal blockieren sie auch die Häuser der Drogendealer, um so Medien und Politiker auf das Problem aufmerksam zu machen. Unterstützt werden sie dabei nicht.
Madre del Paco: "Wir erhalten kein Geld. Auch das Busticket, hierher und zurück bezahle ich selber. Als Mutter von sieben Kindern bekomme ich eine kleine Rente. Aber für die Therapie meines Sohnes musste ich mir Geld leihen."
Für den Schriftsteller und Historiker Eduardo Sacheri ist Paco vor allem ein Problem der sozial Schwachen, der "Ausgeschlossenen", wie es die "Madres del Paco" formulieren.
Eduardo Sacheri: "Die argentinische Gesellschaft ist heute viel stärker gespalten als noch vor 30 Jahren. Diese Differenzierung gilt für den Konsum – und damit eben auch für den Drogenkonsum. In der Regel konsumieren Jugendliche aus der Mittel- und Oberschicht kein Paco, sondern nur die, die aus den ärmsten Familien kommen."
Sacheri, Autor der Romanvorlage und des Drehbuchs des 2010 Oscar-prämierten Films "Das Geheimnis seiner Augen", gehört zu jenen jüngeren argentinischen Künstlern, die es inzwischen zu Ruhm und Geld gebracht haben – nach vielen Jahren in prekären Verhältnissen. Für Sacheri spiegelt die Geschichte des Paco in Argentinien die gesellschaftliche Entwicklung des Landes wider.
Eduardo Sacheri: "Ich glaube, dass die Ungleichheit im Zeitraum vom Beginn der Militärdiktatur 1976 bis zum Ende der Menem-Ära 2001 stark zugenommen hat. Vorher war Argentinien ein äußerst egalitäres Land mit einer großen Mittelschicht. Das hat sich seit meiner Kindheit sehr verändert, und diese Entwicklung hat sich bis heute nicht umgekehrt. Auch die Kirchners haben das bisher nicht geschafft. Wobei ich Ihnen das nicht zum Vorwurf machen will. Sie haben immerhin versucht, Mittel dagegen zu ergreifen, auch wenn diese noch nicht erfolgreich waren. Aber: Ihre Bemühungen erkenne ich an."
Für Norma von den "Madres del Paco" ist das Leben nicht leicht. Ihre Hoffnung hat sie aber trotzdem noch nicht ganz verloren.
Madre del Paco: "Vor zwei Jahren sind meine Kinder nicht zur Schule gegangen, ein Sohn hat mir alles geklaut, die anderen hatten keine Lust. Jetzt gehen sie wieder. Denn ich will, dass sie etwas im Leben werden – anders als ich, ich bin nur bis zur vierten Klasse in der Schule gewesen - kann weder lesen noch schreiben, was manche Leute ausnutzen. Noch nicht einmal ein Telefon habe ich, ich habe nichts. Ich mache aber weiter, und die Einzigen, die mir helfen, sind die 'Madres'."
Der Platz ist regelmäßig Ort von Demonstrationen in Argentiniens Hauptstadt Buenos Aires, bekannt geworden vor allem durch die Mütter Plaza de Mayo, die jahrelang mit ihren Schweigedemonstrationen die Aufklärung der Verbrechen an ihren Kindern während der argentinischen Militärdiktatur forderten.
Heute protestieren die Frauen aus einem anderen Grund. Ihre Kinder sind der Droge Paco verfallen, einem Rauschmittel, das aus den Resten der Koka-Paste gewonnen wird, ein ebenso billiger wie schädlicher Stoff, der sich in den letzten Jahren in ganz Argentinien rasant ausgebreitet hat.
Madre del Paco: "Zum Teil sind es noch Kinder, die Paco rauchen, neun Jahre alt, oder wie in der Provinz Salta, wo es schon Fünfjährige gibt. Wir kämpfen darum, dass diese Kinder von dem Zeug wegkommen und überleben können.
Und wir fordern von der Regierung, dass sie endlich eine vernünftige Politik betreibt und sich mehr um die Behandlung der Abhängigen kümmert. Paco wird ganz offen verkauft. Darum fordern wir von der Regierung: eine echte Bekämpfung des Drogenhandels und eine bessere Versorgung der Süchtigen, die sonst sterben."
Die meisten der etwa zwei Dutzend "Madres del Paco" kommen aus Vierteln, die in Argentinien als Villas Miserias, als Elendssiedlungen bezeichnet werden.
Madre del Paco: "Überall, sogar in Pizzerien, wird Paco verkauft. Viele Jungs schaffen es nicht, davon wegzukommen, weil Paco 24 Stunden lang zu haben ist. Alle wissen, wo es verkauft wird, auch die Polizei – aber keiner unternimmt etwas dagegen. Es geht um viel Geld. Ich lasse meinen Sohn nicht mehr bei mir im Haus schlafen, weil ich Angst habe, dass er der Drogen wegen das Wenige nimmt, was ich besitze. Er hat mir schon viele Sachen genommen geklaut: Handys, DVDs, Schuhe."
Termin beim Psychologen Eduardo Lavarto, der Drogenabhängige behandelt. Er lebt in Bajo Flores, einem der berüchtigten Viertel in Buenos Aires. Die suche nach einem Taxi dorthin, erweist sich als überaus schwierig.
Normalerweise fahre er nicht dorthin, meint der Taxifahrer, weil es zu gefährlich sei. Am Tage ginge es vielleicht noch. Aber in der Nacht … - Angesichts zunehmender Gewalt und Drogenkriminalität in solchen Vierteln sprechen die Argentinier inzwischen von einer Favelarisierung der Gegenden, in Anspielung auf die berüchtigten Armenviertel Brasiliens.
Taxifahrer: "Überall dort gibt es Paco-Konsumenten. Das heißt aber nicht, dass alle, die in diesen Armenvierteln leben, Verbrecher sind. Es gibt nach wie vor dort viele Menschen, die hart arbeiten. Aber was passiert? Die Drogenbanden siedeln sich in solchen Vierteln an, weil sie von dort aus leichter operieren können. Die Polizei traut sich nicht mehr hinein."
Je mehr sich das Taxi Bajo Flores nähert, desto dunkler, verlassener und unangenehmer wird die Gegend. An Straßenampeln stehen Jugendliche und betteln. Die meisten sind abgemagert, ihre Gesichter eingefallen, ihr Blick ausdruckslos. Das seien Paco-Abhängige, sagt der Taxifahrer. In Argentinien nenne man sie Zombies oder muertos viventes, lebende Tote.
Taxifahrer: "Paco ist der reinste Müll. Es sind die Reste – das, was beim Auskochen von Koka übrig bleibt. Darum ist es auch so billig. Und weißt Du, was sie zum Teil sogar Beimischen? Dieses weiße Pulver aus den weißen Neon-Röhren. Das ist richtig giftig."
Vor der Arztpraxis hängen am Straßenrand abgerissene Figuren herum. Der Versuch, den Psychologen Eduardo Lavarto vom Handy aus anzurufen, scheitert: Das Handy wird durch das offene Taxi-Fenster aus der Hand gerissen.
Das wird dem Taxifahrer Juan zu viel. Er gibt Gas, sagt, dass er es nicht verantworten könne, mich hier alleine auf die Straße zu lassen und fährt davon.
Taxifahrer: "Das Drama mit diesen Jungs ist, dass sie hier oben nicht mehr richtig ticken: Paco frisst ihr Gehirn auf. Es ist eine sehr schädliche Droge; schlimmer als alle anderen Drogen."
Die Paco-Brösel werden mit Trägermitteln wie Marihuana, Stahlwolle oder Tabak in Pfeifen geraucht, die mit Aluminiumfolie abgedeckt sind. Eine einzelne Dosis kostet nur wenige Peso und verschafft einen kurzen Kick. Dem allerdings folgen Depressionen - und das unstillbare Verlangen nach mehr Paco folgen. Viele Konsumenten brauchen Dutzende Dosen am Tag. Dabei schädigt Paco Organe wie Lunge, Herz, Leber und Hirn. Die Droge führt zu Psychosen und Paranoia.
Eduardo Lavarto gehört zu den Pionieren der Therapie von Paco-Süchtigen in geschlossenen Einrichtungen. Seit 15 Jahren arbeitet er in diesem Bereich. Der Paco-Konsum habe in gewissen Gegenden epidemische Ausmaße erreicht, meint der Psychologe.
Eduardo Lavarto: "50 Prozent der Jugendlichen in solch kritischen Vierteln, wie dem, wo Sie gestern gewesen sind, rauchen Paco. Das heißt, die Hälfte der Jugend konsumiert Paco!"
Genaue Zahlen gibt es aber nicht. Die Tageszeitung Clarín geht nach einer im Jahr 2009 durchgeführten Erhebung von 300.000 bis 700.000 Abhängigen aus – allein in der Stadt und im Großraum Buenos Aires.
Die Orte, an denen sich Paco wie eine Seuche ausbreitet – jene "Villas Miserias" waren seit den Zeiten des Wirtschaftsbooms unter dem populistischen Präsidenten Perón entstanden, als Tausende von Migranten aus dem Landesinneren in die Hauptstadt drängten. Inzwischen kommen Einwanderer aus dem Ausland dazu, aus den benachbarten Andenländern wie Bolivien und Peru.
Eduardo Lavarto: "In diesen Vierteln lässt sich beobachten, wie sich dort Drogenbanden festsetzen. Darunter häufig Peruaner und Kolumbianer, auch Bolivianer, und natürlich gibt es auch viele Argentinier. Die "Narcos" sind jetzt auch bei uns im Land und haben ihre Drogenküchen mitgebracht. Das ist eine soziale Katastrophe."
Ein Grund dafür, dass Kokain aus den Nachbarländern mittlerweile in größerem Maßstab in Argentinien verarbeitet wird, ist ein Verbot in den Anbauregionen: Dort ist die Einfuhr gewisser Chemikalien, die man für die Drogenküchen braucht, auf Drängen der Vereinten Nationen untersagt worden. Doch es gibt weitere Ursachen für den Paco-Konsum.
Eduardo Lavarto: "Früher war ein Peso einen Dollar wert – seither ist das Verhältnis fast vier zu eins. Deshalb können sich nicht mehr so viele Kokain leisten, es ist keine Volksdroge mehr. Kokain hat an also Bedeutung verloren und dafür Paco an Terrain gewonnen."
Wer einmal süchtig geworden ist, hat es schwer, wieder davon wegzukommen:
Eduardo Lavarto: "Die Abhängigkeit lässt sich überwinden, wenn drei wichtige Faktoren zusammen wirken: Zum Ersten eine gute Behandlung hinter verschlossenen Türen, die mit einer Entgiftung beginnt. Zum Zweiten muss die Familie helfen. Und drittens muss der Betroffene selber dazu bereit sein. Wir reden immer von einem Tisch mit drei Beinen: Fehlt eines dieser Tischbeine, dann steht alles auf wackligen Füßen."
Voraussetzung für einen erfolgreichen Entzug ist allerdings, dass es ausreichend Therapieplätze gibt. Und genau das ist das Problem. Laut einer Erhebung der staatlichen Drogenbekämpfungsstelle Sedronar im Juni 2009 existieren landesweit nur 3.000 vom Staat finanzierte stationäre Plätze für den Drogenentzug. Die Wartelisten sind lang.
Eduardo Lavarto: "Es ist ja nicht so, dass es gar keine solche Einrichtungen gibt. Aber der Etat des öffentlichen Gesundheitswesens ist so gering, dass es viel zu wenige gibt. Die Mehrheit von ihnen ist in der Provinz Buenos Aires konzentriert, weniger gibt es dagegen in der Stadt Buenos Aires, genauso wie in den anderen Provinzen, in einigen gibt es nicht eine einzige therapeutische Einrichtung."
Die "Madres del paco" organisieren Protestmärsche in Buenos Aires und ziehen durch die Gassen berüchtigter Viertel, um Süchtige davon zu überzeugen, vom Paco wegzukommen. Manchmal blockieren sie auch die Häuser der Drogendealer, um so Medien und Politiker auf das Problem aufmerksam zu machen. Unterstützt werden sie dabei nicht.
Madre del Paco: "Wir erhalten kein Geld. Auch das Busticket, hierher und zurück bezahle ich selber. Als Mutter von sieben Kindern bekomme ich eine kleine Rente. Aber für die Therapie meines Sohnes musste ich mir Geld leihen."
Für den Schriftsteller und Historiker Eduardo Sacheri ist Paco vor allem ein Problem der sozial Schwachen, der "Ausgeschlossenen", wie es die "Madres del Paco" formulieren.
Eduardo Sacheri: "Die argentinische Gesellschaft ist heute viel stärker gespalten als noch vor 30 Jahren. Diese Differenzierung gilt für den Konsum – und damit eben auch für den Drogenkonsum. In der Regel konsumieren Jugendliche aus der Mittel- und Oberschicht kein Paco, sondern nur die, die aus den ärmsten Familien kommen."
Sacheri, Autor der Romanvorlage und des Drehbuchs des 2010 Oscar-prämierten Films "Das Geheimnis seiner Augen", gehört zu jenen jüngeren argentinischen Künstlern, die es inzwischen zu Ruhm und Geld gebracht haben – nach vielen Jahren in prekären Verhältnissen. Für Sacheri spiegelt die Geschichte des Paco in Argentinien die gesellschaftliche Entwicklung des Landes wider.
Eduardo Sacheri: "Ich glaube, dass die Ungleichheit im Zeitraum vom Beginn der Militärdiktatur 1976 bis zum Ende der Menem-Ära 2001 stark zugenommen hat. Vorher war Argentinien ein äußerst egalitäres Land mit einer großen Mittelschicht. Das hat sich seit meiner Kindheit sehr verändert, und diese Entwicklung hat sich bis heute nicht umgekehrt. Auch die Kirchners haben das bisher nicht geschafft. Wobei ich Ihnen das nicht zum Vorwurf machen will. Sie haben immerhin versucht, Mittel dagegen zu ergreifen, auch wenn diese noch nicht erfolgreich waren. Aber: Ihre Bemühungen erkenne ich an."
Für Norma von den "Madres del Paco" ist das Leben nicht leicht. Ihre Hoffnung hat sie aber trotzdem noch nicht ganz verloren.
Madre del Paco: "Vor zwei Jahren sind meine Kinder nicht zur Schule gegangen, ein Sohn hat mir alles geklaut, die anderen hatten keine Lust. Jetzt gehen sie wieder. Denn ich will, dass sie etwas im Leben werden – anders als ich, ich bin nur bis zur vierten Klasse in der Schule gewesen - kann weder lesen noch schreiben, was manche Leute ausnutzen. Noch nicht einmal ein Telefon habe ich, ich habe nichts. Ich mache aber weiter, und die Einzigen, die mir helfen, sind die 'Madres'."