"Eine Beziehung ist eine GmbH, in der jeder 50 Prozent Anteile hat"
Eine dauerhafte Liebesbeziehung gründet auf der Bereitschaft zu verzeihen, zu vergessen und über sich selbst zu lachen. Davon ist Wolfgang Schmidbauer überzeugt. Der Psychoanalytiker gehört zu den bekanntesten Paartherapeuten und Seelenkennern Deutschlands.
Wolfgang Schmidbauer hat Dutzende Bücher geschrieben, darunter Bestseller über die Liebe, über Eifersucht und Seitensprünge, aber auch über die Macht des Geldes. Bundesweit bekannt wurde Schmidbauer in den 1970er-Jahren durch sein Buch "Hilflose Helfer", in dem er erstmals den Begriff des "Helfersyndroms" definierte. Auch mit 75 Jahren ist der Münchner noch aktiv, unter anderem als Kolumnist für die "ZEIT". Jetzt hat er sein bisher persönlichstes Buch vorgelegt: "Die Seele des Psychologen. Ein biografisches Fragment".
Hohe Mobilität und Digitalisierung als Beziehungskiller
Als eine der größten Belastungen für Paarbeziehungen bezeichnete Schmidbauer die hohe Mobilität. Aber auch die Digitalisierung des Lebens bringe ein hohes Maß an Belastung für Liebesbeziehungen mit sich: "Wir werden heute mit einer Unmenge an perfekten Bildern abgefüllt, aus denen Erwartungen wachsen. Man hat oft in Paartherapien den Eindruck, dass das Interesse für den Menschen, der da ist, gar nicht da ist. Ich habe oft den Eindruck, dass die Partner überhaupt nicht neugierig sind auf die ganze Persönlichkeit ihres Gegenübers, sondern das perfekte, gefälschte Bild zurückwollen, das in der Verliebtheit vorgeherrscht hat."
"Kinder sind in der modernen Ehe der absolute Härtetest"
Sobald ein Paar Kinder bekomme, müsse es erst damit umgehen lernen, dass die unbewussten narzisstischen Bestätigungen durch den Partner nun entfallen und von dem gemeinsamen Kind absorbiert würden: "Kinder sind in der modernen Ehe der absolute Härtetest", sagte Schmidbauer. Die Abhängigkeit von einer beruflichen Bestätigung sei heute sehr verbreitet: "Es ist für eine Frau unglaublich schwierig, - für den Mann natürlich genauso, aber es trifft nach wie vor viel häufiger die Frau - wenn sie die ersten 35 Jahre ihres Lebens aus ihrem Beruf Bestätigung gewinnen, die sie autonom kontrollieren und bestimmen kann. Und auf einmal zerfällt das, und sie verliert diese Quelle der Bestätigung, während ihr Partner weiterhin die Bestätigung erntet. Dass daraus Konflikte entstehen, das ist zwangsläufig der Fall. Und diese Situation hat sich verschärft."
Psychische Störungen nehmen insgesamt zu
Schmidbauer hat darauf hingewiesen, dass psychische Störungen insgesamt zugenommen hätten: "Als ich jünger war, waren Herzbeschwerden und Rheuma die häufigsten Ursachen für dauernde Arbeitsunfähigkeit. Heute ist es die Depression. Gesamtgesellschaftlich spielen psychische Störungen eine größere Rolle. Das hängt damit zusammen, dass das Leben viel komplizierter geworden ist, dass man sehr viel mehr falsche Entscheidungen treffen kann, weil man überhaupt viel mehr zu entscheiden hat. Der Arbeitsstress hat sehr zugenommen. Organisationen wie die Post, die Bahn, die vor 30 Jahren noch viel Geborgenheit mitgebracht haben, die haben Lebensstellungen geboten. Das ist heute alles weg. Das ängstigt die Menschen. Verbunden damit ist die Kultur, die Zähne zusammenzubeißen und irgendwelche Schmerzen und Traumatisierungen zu verleugnen, die hat sich total geändert. Weil es heute nicht normal ist, traumatisiert zu sein."