Ottomeyer: Deutsches Historisches Museum hat Maßstäbe gesetzt

Hans Ottomeyer im Gespräch mit Dieter Kassel |
Nach elf Jahren an der Spitze des Deutschen Historischen Museums in Berlin geht Hans Ottomeyer in den Ruhestand. Das Haus sei "zu einer Machbarkeitsstudie für diese neue Spezies historisches Museum überhaupt geworden". Ottomeyer spricht sich für freien Eintritt in das Museum aus, um die Besucherzahlen zu erhöhen.
Dieter Kassel: Mehr als 900.000 Besucher konnte das Deutsche Historische Museum im vergangenen Jahr verzeichnen – ein neuer Rekord für ein Haus, das über mangelndes Besucherinteresse sowieso nicht klagen kann. Der Chef hinterlässt also ein überaus vorzeigbares Haus. Jawohl, er hinterlässt, denn jetzt ist Schluss. Hans Ottomeyer, Präsident der Stiftung Deutsches Historisches Museum, wird heute Abend feierlich in den Ruhestand entlassen. Aber vorher ist er noch auch ein bisschen feierlich bei uns. Schönen guten Tag, Herr Ottomeyer!

Hans Ottomeyer: Ja, ich freue mich, bei Ihnen zu sein!

Kassel: Was überwiegt denn jetzt – eine gewisse Wehmut wegen des Abschieds oder auch eine Freude darüber, dass es rum ist?

Ottomeyer: Ja, ich überlege das immer, aber wahrscheinlich ist es 50:50, nicht 49:51 Prozent. Ich bin schon froh, diesen riesigen Verwaltungsapparat los zu sein und die vielen Ministerien und Landesstellen, die mir bindende Vorschriften machen. Auf der anderen Seite war das ein sehr großes Glück, dieses große Haus, das gut ausgestattet ist, zu einem solchen Erfolg zu fahren, der nicht nur sich nach den Besuchern bemisst, sondern eben auch, was die internationale Anerkennung angeht. Das Haus ist zu einer Machbarkeitsstudie für diese neue Spezies historisches Museum überhaupt geworden, und es hat – kann man ganz einfach sagen – Maßstäbe gesetzt.

Kassel: Sie haben gleich auf die erste Frage nach der Wehmut sofort gesagt, dass Sie diesen ganzen Verwaltungskram los sind, dass sozusagen der oberste Bürokrat des Museums sie jetzt nicht mehr sein müssen. Wie viel Prozent Ihrer Arbeit in diesen gut zehn Jahren waren denn diese Dinge und wie viel Prozent war wirklich das, was man sich als Träumer so unter einem Museumsleiter vorstellt, nämlich Ausstellungen machen?

Ottomeyer: Meine Arbeit verging natürlich mit ein, zwei Stunden jeden Tag mit Unterschriftenmappen, Anordnungen, und dann noch alles mit: Alliierten-Museum, Karlshorst, Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung, die verwalten wir alle mit, da geht nichts raus ohne die Unterschrift des Leiters, wenn es denn höhere Kosten als 1000, 2000 Euro verursacht. Und dann diese unendliche Querelen. Die eine macht Ihnen eine bindende Vorschrift, der andere macht Ihnen eine bindende Vorschrift, nur leider im völligen Widerspruch zueinander. Wenn man dabei den Verstand nicht verliert, dann hat man zumindest Ruhe bewahrt und Glück gehabt.

Kassel: Wie sehr hat Sie vielleicht auch am Anfang, oder hat das nachgelassen in diesen zehn Jahren, auch der Druck beeindruckt, was wirklich die Ausstellung angeht, dass man ja immer eine Eier legende Wollmilchsau erwartet bei so einem Museum? Auf der einen Seite müssen die Besucher angelockt werden, es müssen spektakuläre Ausstellungen sein, dann ist aber ein bisschen bei so etwas, auch wenn man das in Deutschland nie so nennen darf, aber bei so etwas, was ja schon eine Art Nationalmuseum auch ist, natürlich auch immer dieser Druck dabei, es muss alles erklärt werden. Wie sehr hat Sie das beeindruckt?

Ottomeyer: Ach, das haben wir schon hingekriegt. Am Anfang war ja die große offene Frage, was soll so ein Museum sein? Soll es nur ein Forum sein für Fragen der Zeitgeschichte, soll es nur eine Ausstellungsinstitution sein, die immer wieder Ausstellungen nach Berlin bringt und sie organisiert, oder soll es nur eine Dauerausstellung haben? Das wurde im Dissens ausdiskutiert, mit dem wunderbaren Erfolg: Wir haben alles. Wir haben Symposien, wir haben ein großes Filmprogramm, wir haben eine hervorragend besuchte Dauerausstellung mit monatlich 50-60.000 Besuchern, und wir haben überdies Wechselausstellungen – die letzte hat 265.000 Besucher gesehen.

Aber nebenher – das gebe ich offen zu – war ich außerstande, es hinzukriegen, dass Kultur, dass Bildungsvermittlung, dass unser Auftrag, über Geschichte zu informieren, nicht berechenbar war, nicht planbar war, sich nicht in Zahlensysteme fügte. Und das macht es eben sehr schwer, die Arbeit als planbar darzustellen. Sie ist nicht planbar. Sie basiert auf einem großen Stück Glück, sie basiert auf Können, sie basiert auf den Fähigkeiten, im Moment, von einer Sekunde zur anderen die richtige Entscheidung zu treffen. Das ist wie eine große Intendanz.

Kassel: Auf der anderen Seite rede ich doch aber gerade mit dem scheidenden, ich sag mal Museumschef, weil ja durch diese Umwandlung Stiftung auch ihre offizielle Bezeichnung dann noch gewechselt hat, der erst vor wenigen Tagen in einem Interview zum Beispiel gesagt hat, er will mehr Freiheiten – okay für Museen, das stimmt mit dem überein, was Sie gerade gesagt haben ...

Ottomeyer: Gewiss, ja, aber auch ...

Kassel: ... aber Sie haben auch – entschuldigen Sie –, Sie haben auch gesagt, das bedeutet auch Freiheit vom Eintrittspreis. Ideal wäre ein Museum, wo die Leute umsonst reinkommen. Ich darf mal ganz schlechtes Kopfrechnen machen: 900.000 ungefähr im letzten Jahr, normaler Eintrittspreis sechs Euro, wenn wir mal ganz inkonsequent das nur hochrechnen, würden dem DHM fünf Millionen, ein bisschen mehr entgehen, wenn Ihr Plan umgesetzt wird.

Ottomeyer: Ja, aber auf der anderen Seite, wenn ich mehr Besucher haben will, dann muss ich unendlich viele Gelder jetzt, zu diesem Zeitpunkt, in Marketingmaßnahmen stecken, in Werbung, in den Aufbau eines großen museumspädagogischen Zentrums, einem Stück Erwachsenenbildung und Einwerbung von Erwachsenen, und ab diesem Zustand bezahle ich jeden Besucher, der noch zusätzlich kommt, mit sehr viel Geld, dass er überhaupt zu dem Haus findet. Und vermittelbar, sicher, ist ein Basispreis, aber denken Sie mal dran, wie viel Leute ich brauche, um einen solchen Eintritt einzunehmen, wie viel Kassenkräfte, Ersatzkassenkräfte, Buchhaltungsmitarbeiter.

Kassel: Das heißt, wenn man es geschickt macht, sagen Sie, könnte die Abschaffung des Eintrittspreises ein Nullsummenspiel sein?

Ottomeyer: Die Abschaffung des Eintritts würde die Besucherzahlen um ein Mehrfaches erhöhen, ums Doppelte, zum Teil ums Dreifache – andere Museen haben das vorgeführt –, würde das Haus ganz anders in seinem Bildungsauftrag bestätigen, und alle großen nationalen Museen machen uns das längst vor. Der Eintritt ist frei in Museen in England, der Eintritt ist frei seit letztem Jahr in den Museen Chinas, die Dänen denken an einen freien Eintrittspreis. Einfach, wenn man richtig rechnet, ist es das günstigere Verfahren, um wirkungsmächtig zu werden.

Kassel: Wobei die Engländer das ja am liebsten aus Kostengründen wieder abschaffen würden, von Ihrer Logik her gesehen ist das sozusagen nicht richtig gedacht?

Ottomeyer: Ich hab Museen in England vor zehn Jahren gesehen, am Ende der Ära Thatcher und darüber hinaus, da war der Eintrittspreis bei zehn Pfund – auch nicht kostendeckend. Das Museum war leer, und da war kein Engländer mehr, da waren keine jungen Besucher mehr. Das hat sich heute völlig geändert, heute durchstreifen frohe Gruppen von vielen Menschen, viele von ihnen das erste Mal in ihrem Leben im Museum, die Hallen und lassen ihre Blicke schweifen und unterhalten sich und versuchen zu erkennen und durch Erkennen zu lernen.

Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur heute an seinem sozusagen letzten, Arbeitstag kann man nicht mehr sagen, aber dem Tag, an dem er abends verabschiedet wird, mit Hans Ottomeyer, dem Präsidenten der Stiftung Deutsches Historisches Museum. Ich kann Sie jetzt natürlich nicht gehen lassen sozusagen in Ihren wohlverdienten Ruhestand, und wir reden nur über Geld und über Verwaltung und über auch Politik. Wir müssen natürlich auch über das Schöne in den zehn Jahren, die für Sie zu Ende gehen, reden.

Was war denn in diesen zehn Jahren die Ausstellung – Sonderausstellung meine ich da natürlich –, von der Sie am ehesten sagen, das wird bleiben, da möchte ich, dass man auch in 20, 30 Jahren noch drüber spricht?

Ottomeyer: Das war sicher die Ausstellung "Kassandra – Visionen des Unheils", das war eine hoch spekulative und gelungene Ausstellung über die Visionen der Künstler, ist nicht so sehr vom Publikum bemerkt worden, dazu war sie zu schwierig, aber das war das beste Stück Museumsarbeit.

Das war sicherlich weit darüber hinaus die Eröffnung der Dauerausstellung, die bis heute wie eine große Lokomotive das Deutsche Historische Museum voranzieht, weiterbringt, und sicherlich waren das manche Abende mit Gästen. Biermann-Abende, wo er über das politische Lied improvisierte, die sich zumindest in meine Erinnerung bleibend eingeprägt haben. Und das sind einige glückliche Ankäufe, die immer bleiben, die nachhaltig sind, die sich bewähren ...

Kassel: Was zum Beispiel?

Ottomeyer: Es wurde lange diskutiert, wie kann man überhaupt ein Museum besitzen, ohne die Reichskrone zu haben. Und mir wurde dann angeboten ein Gemälde "Karl der Große" mit der Reichskrone von niemand Geringerem als Albrecht Dürer 1514 gemalt – da hatten wir dann gleich alles. Das erste neuzeitliche Gemälde überhaupt von Karl dem Großen, die exakte Darstellung der Reichskrone, die damals in Nürnberg war, und dann noch ein Werk von dem großen Maler. Ich habe dem Anbieter gesagt, es sei natürlich nicht gänzlich eigenhändig, um den Preis niedrig zu halten, auch das ist gelungen. Und das hängt jetzt am Anfang der Ausstellung. Und so viele andere Stücke mehr.

Kassel: Sie werden – Sie haben es zum Teil erzählt – eine Menge machen, wenn es jetzt mit dem DHM zu Ende geht, Sie gehen nicht klassisch in den Ruhestand, Sie haben ja auch jetzt schon andere Aufgaben. Aber können Sie loslassen oder werden Sie in fünf, sechs Jahren, wenn Ihr Nachfolger, der heute irgendwann wahrscheinlich bekannt gegeben wird, richtig im Amt ist, mal durchs Museum laufen, ein bisschen inkognito mit dem langen Mantel und gucken?

Ottomeyer: Kollegen, die das hinter sich haben, haben mir geraten, nie wieder einen Fuß in das alte Haus zu setzen, man ärgere sich zu Tode. Ich hoffe, dass das nicht der Fall ist. Man muss da sehr vorsichtig mit umgehen. Ich hab ja ein großes, eingerichtetes Haus in Kassel-Wilhelmshöhe hinterlassen, da gehe ich inzwischen ungern hin, und das Münchner Stadtmuseum, wo ich auch 13 Jahre tätig war, da setze ich überhaupt keinen Fuß mehr rein, weil manche Veränderungen zum Schlechteren hin dann doch zu schmerzlich sind. Nicht wegen gekränkter Eitelkeit, sondern weil die Museen damit nicht mehr wirklich wahrnehmbar und die Qualität in ihrer Sammlung nicht mehr so präsent sind, wie sie es sein könnten.

Kassel: Dann würde ich doch sagen, wir hoffen jetzt beide gemeinsam, dass das, was Sie über München und Kassel-Wilhelmshöhe gesagt haben, über Berlin-Mitte in ein paar Jahren nicht zutreffen möge und dass wir alle einschließlich Ihnen dann noch Spaß haben. Ich wünsche Ihnen heute viel Spaß bei der Verabschiedung und ganz tolle weitere Aufgaben danach. Danke Ihnen sehr, dass Sie bei uns waren!

Ottomeyer: Danke!

Kassel: Im Deutschlandradio Kultur war das Hans Ottomeyer, noch ein paar Stunden lang der Präsident der Stiftung Deutsches Historisches Museum. Und auch im Laufe des heutigen Tages soll denn endlich bekannt gegeben werden, wer ihm folgt, und wir werden Sie natürlich darüber auf dem Laufenden halten.
Deutsches Historisches Museum
Das Deutsche Historische Museum in Berlin-Mitte© AP