Ostwestberliner Lyrik
Muss man den Dichter Kurt Bartsch, der im Januar dieses Jahres in seiner Geburtsstadt Berlin gestorben ist, überhaupt vorstellen? Es steht zu befürchten: Man muss. Dabei zählte das 1937 geborene Arbeiterkind (Lastwagenfahrer, Studienabbrecher etc.) nicht nur in Ostberlin, von wo aus er 1980 in Richtung Westteil umsiedelte, zu den markantesten Stimmen seiner Generation.
Auch besaß er, den man wegen fortgesetzter Renitenz 1979 aus dem DDR-Schriftstellerverband ausgeschlossen hatte, ein feines Ohr für falsche Töne, politisch ebenso wie ästhetisch, und sein an Robert Neumann geschulter Parodienband "Die Hölderlinie" führte einst zum Hochgenuss wacher Leser vor, wie sich literarisierte Lebenslügen von Ernst Jünger bis Christa Wolf großsprecherisch zu spreizen belieben. Später hatte dann Kurt Bartsch der (veröffentlichten) Literatur Valet gesagt, doch zeigten selbst seine preisgekrönten Drehbücher fürs Fernsehen - man erinnere sich etwa an die intelligente Ausnahme-Serie "Unser Lehrer Doktor Specht" - dass hier ein Mann der Hoch- und Alltagssprache am Werk war, bei dem in der Tat jedes Wort saß.
Doch genug der Vorrede. Der soeben im Wagenbach-Verlag erschienene Band "Tango Berlin" versammelt frühe und spätere Gedichte dieses Lyrikers mit dem Faible für die treffende Sentenz. "Ich hab zwei Kinder am Hals, eins im Bauch", heißt es über eine Berlinerin, deren Milieu – sagen wir politisch korrekt: das Sub-Proletariat – ihn immer wieder inspirierte zu ebenso formstrengen wie großherzigen, fast bänkelsängerischen Versen. Und kein Wunder, dass er, der ebenfalls von dort kam, nie wie andere Kollegen in Gefahr geriet, in der Kleinbürger-Zwangsveranstaltung DDR auch nur das geringste geschichtsphilosophische Potential zu halluzinieren:
"Zwischen Wand- und Widersprüchen
Machen sie es sich bequem
Links ein Sofa, rechts ein Sofa
In der Mitte ein Emblem."
Es spricht für die Auswahl der Gedichte, dass man dieses Buch (mindestens) doppelt lesen kann: Als schnoddrig-präzise Großstadtpoesie zwischen Brandmauern und sommerstaubigen Straßen, aber auch als sympathisierenden (Ab-)Gesang auf andere Schriftsteller. Wobei auch hier stets der jeweils richtige Ton getroffen wird: Kumpelhaft-kryptisch bei Elke Erb, Majuskel- und Querstrich-süchtig bei Heiner Müller (fast ebenfalls eine Parodie: "Lächelnd / Zigarre rauchend/ Im kalten Licht / Die Haut ein Netz von Linien / Den Weg der Würmer durch sein Fleisch beschreibend") oder verzweifelt kokett bei Thomas Brasch:
"Die Stadt heißt Babylon
Keiner kommt mit heiler Haut davon."
Noch eindringlicher dagegen das Epitaph für den von den Nazis ermordeten Jakob van Hoddis:
"Armer Irrer, vormals Menschenkind
Jetzt ein Rauch, verweht im Abendwind."
Der Tod ist also durchaus ein Begleiter in diesem nun posthum erschienenen Band, und der Dichter weiß, dass er sich beeilen muss:
"Bevor es zu spät ist
und mir der Sommer
Nicht mehr gelingt."
Denn was besitzt er schon "Außer mein Herz. Das lege ich dir nah." Es sind Zeilen wie diese, mit denen sich Kurt Bartsch aus dem Leben verschiedet oder toten Geliebten ein letztes Geleit gibt:
"Kein Sterbenswort
Vom Tod, der mir dein Leben nahm."
Das ist mehr als nur tapfer, weit mehr sogar als lediglich formschön, ist nichts weniger als ein Sieg der Literatur – trotz alledem und alledem. Und so sehen wir Kurt Bartsch wissend-spöttisch blinzeln, irgendwo da oben im Dichterhimmel, hoch über der Stadt Ostwestberlin.
Besprochen von Marko Martin
Kurt Bartsch: Tango Berlin. Gedichte
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2010
80 Seiten, 8,00 Euro
Doch genug der Vorrede. Der soeben im Wagenbach-Verlag erschienene Band "Tango Berlin" versammelt frühe und spätere Gedichte dieses Lyrikers mit dem Faible für die treffende Sentenz. "Ich hab zwei Kinder am Hals, eins im Bauch", heißt es über eine Berlinerin, deren Milieu – sagen wir politisch korrekt: das Sub-Proletariat – ihn immer wieder inspirierte zu ebenso formstrengen wie großherzigen, fast bänkelsängerischen Versen. Und kein Wunder, dass er, der ebenfalls von dort kam, nie wie andere Kollegen in Gefahr geriet, in der Kleinbürger-Zwangsveranstaltung DDR auch nur das geringste geschichtsphilosophische Potential zu halluzinieren:
"Zwischen Wand- und Widersprüchen
Machen sie es sich bequem
Links ein Sofa, rechts ein Sofa
In der Mitte ein Emblem."
Es spricht für die Auswahl der Gedichte, dass man dieses Buch (mindestens) doppelt lesen kann: Als schnoddrig-präzise Großstadtpoesie zwischen Brandmauern und sommerstaubigen Straßen, aber auch als sympathisierenden (Ab-)Gesang auf andere Schriftsteller. Wobei auch hier stets der jeweils richtige Ton getroffen wird: Kumpelhaft-kryptisch bei Elke Erb, Majuskel- und Querstrich-süchtig bei Heiner Müller (fast ebenfalls eine Parodie: "Lächelnd / Zigarre rauchend/ Im kalten Licht / Die Haut ein Netz von Linien / Den Weg der Würmer durch sein Fleisch beschreibend") oder verzweifelt kokett bei Thomas Brasch:
"Die Stadt heißt Babylon
Keiner kommt mit heiler Haut davon."
Noch eindringlicher dagegen das Epitaph für den von den Nazis ermordeten Jakob van Hoddis:
"Armer Irrer, vormals Menschenkind
Jetzt ein Rauch, verweht im Abendwind."
Der Tod ist also durchaus ein Begleiter in diesem nun posthum erschienenen Band, und der Dichter weiß, dass er sich beeilen muss:
"Bevor es zu spät ist
und mir der Sommer
Nicht mehr gelingt."
Denn was besitzt er schon "Außer mein Herz. Das lege ich dir nah." Es sind Zeilen wie diese, mit denen sich Kurt Bartsch aus dem Leben verschiedet oder toten Geliebten ein letztes Geleit gibt:
"Kein Sterbenswort
Vom Tod, der mir dein Leben nahm."
Das ist mehr als nur tapfer, weit mehr sogar als lediglich formschön, ist nichts weniger als ein Sieg der Literatur – trotz alledem und alledem. Und so sehen wir Kurt Bartsch wissend-spöttisch blinzeln, irgendwo da oben im Dichterhimmel, hoch über der Stadt Ostwestberlin.
Besprochen von Marko Martin
Kurt Bartsch: Tango Berlin. Gedichte
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2010
80 Seiten, 8,00 Euro