Ostseeküste als künstlerische Herausforderung

Von Anette Schneider |
Seit der Jahrhundertwende entdeckten zahlreiche Maler - von Arp bis Werefkin - die endlosen Wiesen und Felder sowie das Meer und den hohen Himmel der Ostseeküste. In einer Ausstellung wurde die Landschaftsmalerei der Klassischen Moderne allerdings noch nie gewürdigt.
Das Hochgefühl, das ein Sommertag am Meer auslösen kann, hat keiner lustvoller dargestellt, als ausgerechnet der schwermütige Edward Munch: 1907 malte er in Warnemünde das über 2,00 mal 2,20 Meter große Bild "Badende Männer", das das Zentrum der Ausstellung bildet: Gleißend hell strahlen die Farben. Im Hintergrund toben Menschen im Meer. Und als sei es das Selbstverständlichste der Welt, stehen auf dem Strand zwei fast lebensgroße, braungebrannte, nackte Männer. Die Öffentlichkeit, so Kuratorin Kornelia Röder, reagierte damals empört.

"Als Munch dieses Bild gemalt hat, wollte man das in Hamburg nicht ausstellen, weil man meinte, das könnte man niemandem zumuten. Den Herrn, den er dort als Modell gewinnen konnte - den Bademeister - der wurde danach entlassen. Die Strände waren noch eingeteilt in Männer und Frauen. Sie müssen sich diese Sensation vorstellen: Diesen befreiten Körper um die Jahrhundertwende."

Anfang des 20. Jahrhunderts entdeckten erste Künstler die Küste zwischen Aarenshoop und Kurischer Nehrung. In den 20er-Jahren flohen dann immer mehr Maler vor der Hektik der Großstädte an’s Meer. Schnell empfanden sie die weite, flache Landschaft als künstlerische Herausforderung, erklärt Mitkuratorin Antonia Napp: oben ein Streifen Himmel, darunter Wiesen, Felder oder Wasser - die Gegend bestand lediglich aus zwei horizontal-aufeinanderprallenden Flächen.

"Die Künstler haben ganz unterschiedliche Inspirationen dadurch empfangen. Also teilweise, indem sie eben mit dem Material, das sie gefunden haben, angefangen haben, Collagen zu machen. Andere haben wiederum gesagt, 'Die Farben sind so anders!' - und wieder andere, wie Mattaré, wurden durch die Form der Landschaft, also die Flächigkeit, die wir hier oben haben, dazu getrieben, sagt er selbst, 'etwas darin aufzurichten', also eine Skulptur auch zu schaffen."

Die Ausstellung zeigt, wie viel die Künstler und Künstlerinnen wagten: 1911 verwandelte Alexej Jawlensky die Landschaft in ein Feuerwerk aus Farben, ließ Sanddünen in Orange, Gelb und Rosa leuchten, und den Himmel darüber in Grün, Türkis und Lila. In den 20er Jahren zerlegte Lyonel Feininger Wolken, Dünen und Meer in geometrische Formen. Und ausgerechnet der DADA-Künstler Kurt Schwitters ließ sich am Meer zu neoimpressionistischen Bildern hinreißen. Kuratorin Kornelia Röder:

"Auf der anderen Seite haben sie auch hier an der Küste ihre Arbeiten fortgesetzt. Zum Beispiel: Hausmann war während der Zeit der Weltwirtschaftskrise in Prerow. Und das kann man nur jedem empfehlen: Wie er den Ort Prerow mit der Krise zusammengebracht hat in seiner Art Literatur, Bilder, Lautrhythmen der Sprache miteinzubeziehen. Und man sieht eben, dass es keinen Ort auf dieser Welt gibt, wo die große Weltpolitik vorbeigeht."

So spiegeln die klug ausgewählten Arbeiten die enorme Entwicklung der Kunst zwischen 1900 und 1933. Gleichzeitig zeigen sie: Für viele ließ sich die Suche nach neuen Ausdrucksformen nicht trennen von der gesellschaftlichen Wirklichkeit. So wandelte sich die Küstenlandschaft auf den Bildern der Jüdin Käthe Löwenthal nach 1933 in eine diffuse, jegliche Tiefe - und damit Fluchtmöglichkeit-verweigernde braun-graue Ödnis. Und der mit Berufsverbot belegte Max Pechstein malte 1935 in dunklen Farben eine Sanddüne, aus der tote Bäume ragen.
Auch Farben, erklärt Kornelia Röder, können von Wirklichkeit erzählen:

"Die Farbwahl - wenn man durch die Ausstellung geht, spürt man schon diese Bedrohung, die die Künstler empfunden haben. Und man muss sich das vorstellen: Ein kreativer Mensch, dem das Arbeiten untersagt wird, und der seine Werke in dieser verheerenden Ausstellung 'entartete Kunst' der Lächerlichkeit preisgegeben sieht -, wie schwer das ist."

Diese erste Ausstellung, die sich der Klassischen Moderne in Mecklenburg und Pommern widmet, erweist sich so als ein Glücksfall: Wie leicht wäre es gewesen, allein die berühmten Namen und die Fülle an beeindruckenden Bildern zu feiern. Doch von Anfang an stellen die Ausstellungsmacherinnen klar:

Auch wenn einige Künstler sich am Meer eine Idylle erhofften - sie alle trugen ihre privaten, oft existenziellen Nöte, sowie die jeweiligen gesellschaftlichen Probleme mit sich, die sich vielfach in ihren Bildern spiegeln. Und: Viele der in der Ausstellung versammelten, von den Faschisten ihrer Existenz beraubten Künstler flohen nach 1933 in die entferntesten Winkel der Küste. Doch "faschistenfreie Zonen", so Antonia Napp, gab es auch dort nicht.

"Die Brücke-Künstler, - Pechstein, Schmidt-Rottluff, - die sich auch ganz an die Ostseeküste nach Polen, nach Leba, zurückziehen, sagen, dass selbst in den allerkleinsten Orten, also in Leba, in Polen, dass selbst dahin der braune Terror gedrungen ist."


Weitere Infos im Web:
Staatliches Museum Schwerin