Osterhase ade

Von Andreas Stummer |
Während der Hase in vielen Ländern des Westens zuletzt wieder alle Pfoten voll zu tun hatte, ist für den modernen Neuseeländer nur ein toter Hase ein guter Hase. Denn Meister Lampe hat sich zu einer wahren Plage entwickelt. Daher werden jedes Jahr Tausende von Tieren bei der Osterhasenjagd geschossen.
Der Ort Alexandra im hügeligen Herzen der Südinsel Neuseelands. Da, wo sich 5.000 Einwohner und 100.000 Schafe gute Nacht sagen. Doch die für die Gegend lebenswichtige Woll- und Lammfleischindustrie wird, buchstäblich, untergraben. Von Millionen wilden Kaninchen. Sie haben in der Region ganze Arbeit geleistet. Komplette Landstriche sind kahl gefressen, die abgenagten Felder, Wiesen und Hügel unterhöhlt, früher fruchtbares Farmland ist zerstört. Im Ort gibt es weder Sehenswürdigkeiten noch Naturschönheiten. Trotzdem: Jeder Neuseeländer kennt Alexandra. Denn dort wird, immer zu Ostern, Meister Lampe das Licht ausgeblasen.

"Welcome Ladies & Gentlemen, this is the annual Alexandra Lions Easter Bunny Hunt it’s great to see the crowd and the support you are giving us again...”"

Morgengrauen im Pioneer Park von Alexandra. Während die übrige Stadt noch schläft, versammeln sich hunderte Schützen aus ganz Neuseeland zu einem Ritual. Seit 20 Jahren kommen sie am Osterwochenende zu einer Kaninchen-Treibjagd zusammen. Organisator Dave Ramsey, ein Autohändler in der Stadt, gibt Feuer frei auf eine Landplage, die den gesamten Süden Neuseelands seit mehr als 100 Jahren in ein Umwelt-Katastrophengebiet verwandelt.

""Okay guys, we need to see you back about midday Saturday. We’ve turned the best weather on for you with a full moon. So get out there and do some damage. Stay safe and drive carefully...”"

460, bis an die Zähne bewaffnete Jäger, die in seinem Distrikt 24 Stunden lang auf jedes Kaninchen schießen, das sich bewegt. Andere Polizeichefs wären beunruhigt. Nicht Senior Constable Mike Colligan von der Polizei Alexandra. "Neuseeland ist nicht die USA", meint er. Eine schlaflose Nacht wird er wegen der Kaninchenjagd jedenfalls nicht haben:

""Wenn nur jeder Schütze hier bei uns so vorsichtig wäre wie die Osterhasen-jäger. Diese Veranstaltung ist so gut organisiert, in 20 Jahren ist noch niemand verletzt worden. Diese Jäger sind keine Cowboys, sie wissen, was sie tun. Bisher hat es noch nie Probleme gegeben – und ich rechne auch diesmal nicht damit."

Beschwerden der Bevölkerung gegen das Verhalten der Jäger gab es nur einmal, Ende der 90iger. Zwei Colonels der US-Marines - Gäste bei der Kaninchenjagd – schossen um sich wie Pat Garrett und Billy the Kid. In Nachbargrundstücke, zwischen vorbeifahrende Autos und - aus Versehen - auch noch auf die Katze des Farmers. Nach ein paar Stunden wurden die beiden Soldaten zum Küchendienst abkommandiert. Seit dem Zwischenfall mit der US-Kavallerie hat Organisator Dave Ramsay die Teilnahmebedingungen für die Osterhasenjagd jedenfalls drastisch verschärft:

"Jeder Schütze muss registriert und im Besitz eines neuseeländischen Waffenscheins sein. Den bekommt man frühestens, wenn man 16 Jahre alt ist. Alle Teilnehmer müssen eine Erklärung unterschreiben, dass sie keinen Flurschaden anrichten und sich nicht daneben benehmen. Alkohol ist streng verboten – den gibt’s erst hinterher. Jede Gruppe hat einen Teamführer – und der ist für sein Team verantwortlich."

"Gather round guys. What about a plan ? Who wants to do what?"

Greg Keenan ist Chef von Team Nummer 22, den "Warkworth Öko-Kriegern. Öko wie in "für die Umwelt", Krieger wie in "gegen die Kaninchen". Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Greg ist beim besten Willen nicht zu überhören und schon gar nicht zu übersehen. Zaundürre 1,90, ausgewaschene Jeans, dicker Anorak – und dann ist da der Hut. So groß wie eine Suppenschüssel. Ein pechschwarzer Offiziershut mit Gold-Bommel, so wie ihn hochrangige Konföderierte im amerikanischen Bürgerkrieg getragen haben. Kein Wunder, dass Greg von jedem nur "der General" genannt wird.

Mit 62 ist Greg ein Veteran der Osterhasenjagd. Achtmal war er schon mit dabei. Achtmal eine Woche Urlaub nehmen, die 1.500 Kilometer auf die Südinsel anreisen und sein Team zusammen trommeln.

Dave ist Computerfreak, Tussek fährt Tiefstapler – Greg verkauft Brotmaschinen für Großbäckereien. Trevor, der jüngste, ist gerade erst 17 geworden, Farmer John ist mit 72 der älteste. Eines aber haben alle gemeinsam: Sie sind Mitglied im Schützenverein von Warkworth, einem 3.000-Einwohner-Ort etwa eine Autostunde nördlich von Auckland, Neuseelands größter Stadt. Das Schießen und die Kaninchen-Jagd sind mehr als nur ihr Hobby. Aber General Greg erinnert seine Truppen immer wieder daran, dass sie vor allem hier sind, um den Farmern zu helfen:

"Der Schaden, den die Kaninchen anrichten, ist so groß, dass sich der Pflanzenbestand nicht mehr erholen kann. Ohne Wurzeln, die sie zurückhält, wird die fruchtbare Erde einfach vom Wind fortgeblasen. Zurück bleibt eine kahlgefressene Mondlandschaft. Da, wo früher Hunderttausende Hektar ertragreiches Farmland waren, sind nur noch Schotter und Felsen übrig. Und das für immer."

Welche Mannschaft wo schießt, ist purer Zufall. Organisator Dave Ramsay spielt Lottofee mit einer Bingomaschine. Jedem der 39 Teams wird eine Farm zugelost. Einige liegen nur ein paar Kilometer außerhalb Alexandras, andere eine Stunde weit weg im Nachbartal.

"Block No.83 – and definitely one of the big contenders is Kotati. And our team Warkworth Eco Warriors is heading there..."

General Greg und seine Öko-Krieger haben Glück. Sie ziehen "Kotati Downs", eine der größten Schaffarmen der Gegend. Greg und Co. packen ihre Sachen. Die Kaninchen warten…

Bevor Team 22 loszieht, bekommt es noch Landkarten und eine Wegbeschreibung. Das erledigt Martin McPherson, so etwas wie der Vater der Veranstaltung. Der gelernte Anwalt hatte, vor mehr als 20 Jahren, die Idee für die Osterhasenjagd. Gegen 1830 von Australien nach Neuseeland eingeschleppt, wurden Kaninchen 1895 offiziell zur Plage erklärt. Fast 100 Jahre lang finanzierte Neuseelands Regierung Ausrottungsprogramme mit Hunderten Millionen Dollar: Das Ausbringen von Viren, Giftabwürfe per Helikopter bis ins Hochland, Zuschüsse für Jäger und kaninchensichere Zäune. Doch damit war es 1991 vorbei – Sparmaßnahmen! Hatte ein Farmer ein Kaninchenproblem auf seinem Land, musste er jetzt selbst damit fertig werden. Und selbst dafür bezahlen.

Auftritt: Martin McPherson. Er schlug eine jährliche 24-Stunden-Safari vor, auf der möglichst viele Schützen möglichst viele Kaninchen auf möglichst vielen Farmen im Umkreis von Alexandra erlegen. Nicht weiter als eine Autostunde entfernt.

"Wir wollten mit der Jagd auf die Kaninchenplage in unserer Gegend aufmerksam machen und gleichzeitig so viele Hasen wie möglich abschießen. Uns fehlte nur ein günstiges Datum und ein griffiger Name. Wir dachten: Warum nicht an Ostern? Damit schlugen wir gleich drei Fliegen mit einer Klappe: Die Publicity war unbezahlbar, das Schießen fand an einem langen Wochenende statt - und wir hatten einen großartigen Titel: Die Osterhasenjagd."

Das erste Osterhasenschießen machte Schlagzeilen in aller Welt, sogar die BBC und CNN berichteten. Mit der kostenlosen PR kamen aber auch die Proteste von Tierschützern. Die Treibjagd sei barbarisch, organisierter Massenmord. "Das war vor 20 Jahren", erinnert sich Martin McPherson. Doch für Tieraktivistin Juliet Watson hat sich seit den Anfängen der Osterhasenjagd daran nichts geändert.

"Auch Kaninchen sind einmalige und wundervolle Geschöpfe. Wir sollten sie nicht als Ungeziefer abtun und sie nur als ein wertloses Stück Fleisch betrachten. Sie bei dieser Treibjagd gezielt abzuschießen ist so sinn- wie wirkungslos. Nach dieser Logik könnten wir auch die anderen - harthufigen – Umweltzerstörer töten, die hierher eingeschleppt wurden: Schafe und Kühe."

In den letzten Jahren sind Kaninchen gegen früher tödliche Viren, die ihre Ausbreitung eindämmten, immun geworden. Die Zahl der Tiere in Neuseeland ist explodiert – in die Millionen. Heute fordert der Tierschutzverein nur noch, dass die Kaninchen so human wie möglich getötet werden. Sie nicht zu jagen hätte verheerende Folgen für die Umwelt – und den Lebensraum anderer Tierarten. "Je mehr Kaninchen im April, am Herbstende, geschossen werden", glaubt Osterhasenjagd-Gründer Martin McPherson, "desto weniger Nachwuchs gibt es zu Beginn der Brutsaison im Frühling":

"Für die Farmer ist die Osterhasenjagd längst ein bewährtes Mittel, um die Zahl der Kaninchen auf ihren Grundstücken unter Kontrolle zu halten. Doch fast alle müssen das ganze Jahr über professionelle Kaninchenjäger anstellen und Giftfallen legen. Denn die Osterhasenjagd allein hätte keine Langzeitwirkung. In nur sechs Wochen gäbe es wieder genauso viele Kaninchen wie vorher."

Bei der allerersten Jagd, vor 20 Jahren, zogen 230 Schützen los, inzwischen sind es doppelt so viele. Verteilt auf 39 Teams. In hinten offenen, eigens umgebauten Geländewagen mit Sitzbänken und angeschraubten Suchscheinwerfern auf der Ladefläche, zu Fuß und auf Querfeldein-Motorrädern. Bewaffnet mit Funk-, Nachtsichtgeräten und Kaliber-22-Schrotflinten.

Team Nummer 22 ist schwer bei der Arbeit. Die "Warkworth Öko-Krieger" haben ein 20.000 Hektar großes Schlachtfeld. Flache, offene Felder und dichten Busch, felsige Hochplateaus und steiles, hügeliges Bergland. Ein Paradies für Kaninchen. Das Team-Hauptquartier ist ein windschiefer Wollschuppen am Eingang zur Farm. Nach Kaninchen braucht man nicht lange zu suchen. Denn ihre Spuren sind immer und überall.

"There’s rabbit droppings. You see how many there are ? There’s almost more rabbit shit than there’s grass. Like maggots on a carcass..."

Wo die Jäger auch hintreten, sie treten in Kaninchenhäufchen. Alle paar Meter raschelt es im Busch. Die Männer bilden eine Linie, gut 20 Meter Sicherheitsabstand zwischen jedem Schützen. Auf Handzeichen gehen sie langsam vorwärts, den Finger immer am Abzug.

Es dauert nicht lange und der Anhänger mit den toten Kaninchen wird immer voller.

"...52, 54, 58, 60, 64, 66..."

Am Nachmittag kommt Earl Barnfield, der Manager der Schaffarm "Kapiti Downs" auf eine Tasse Kaffee am Wollschuppen vorbei. Zum "Hallo" und zum "Danke" sagen. Jede Hilfe ist willkommen. Gift, Jäger, Fallen und Spezialzäune: Earl tut alles, damit seine Farm nicht von Kaninchen überrannt wird. Das kostet ihn jährlich etwa 40.000 Euro, die Schäden durch Erosion und das extra Futter, das er kaufen muss, gar nicht mitgerechnet. Earl rechnet vor, dass fünf Kaninchen etwa soviel wie ein ausgewachsenes Schaf fressen. Erst alles Steppengras und dann den Farmern die Haare vom Kopf.
"Wenn es auf deiner Farm vor Kaninchen nur so wimmelt, kannst du nur halb soviele Schafe halten wie du eigentlich möchtest. Niemand kann sich das leisten. In unserer Gegend mussten viele Farmer ihr Land verkaufen, weil sie einfach nicht genug Geld hatten, um die Kaninchen zu bekämpfen. Wir sprechen hier nicht von ausrotten – es geht nur darum, die Zahlen unter Kontrolle zu halten."

"Bunny buster one to all units. Can you respond ? Roger, Clive here... etc..."

"Kapiti Downs", weit nach Mitternacht. Es ist bitterkalt, vielleicht ein, zwei Grad unter Null. Eine Handvoll müder Öko-Krieger hat sich in ihre Schlafsäcke eingerollt. Die Nacht ist sternenklar, der Vollmond hängt wie eine riesige, leuchtende Pizza über der Landschaft. Die Kaninchen sehen die Jäger schon von Weitem. General Greg zieht trotzdem los. Am nächsten Morgen zeigt sich, dass sich das Aufbleiben gelohnt hat.

"412, 416, 420, 425 and more to come..."

Es ist kurz vor elf morgens. Die letzten Kaninchen in den Anhänger und Plane drüber. Den Wollschuppen rausfegen, Schlafsäcke, Proviant, Gewehre und Munition verstauen – dann geht es zurück nach Alexandra.

Der Pioneer Park ist halb Volksfest, halb Leichenhalle. Überall Picknickdecken, eine Hüpfburg für die Kinder, eine Bühne und ein Küchenzelt. In der anderen Hälfte des Parks stecken, wie Grabkreuze, Schilder mit den Namen der Teams im Rasen. Dahinter sind, fein säuberlich, tausende, tote Kaninchen aufgereiht. Immer zehn Tiere zusammen, damit sie leichter gezählt werden können.

"170, 180, 190, 200, 210, 220..."

Die Zähler sind seit dem späten Morgen bei der Arbeit. Aus Versehen geschossener Flurschaden wie Opossums, wilde Katzen oder Frettchen wird aussortiert. Auch bei Team Nummer 22...

"410, 429, 430 /.../ 440, 450. So 450. That’s for the Warkworth Eco Warriors. 450, excellent. Well done..."

450 Kaninchen. General Greg und seine Öko-Krieger sind zufrieden. 120 mehr als letztes Jahr, das kann sich sehen lassen. Für einen Platz unter den besten zehn Teams aber reicht es nicht.

"We had 39 teams. Total rabbits shot: 14.799. First place: Curniculus Terminators. 978 rabbits, 24 hares, 4 possums to just sneek over 1000 with 1010..."

Fast 1.000 Kaninchen – das erfolgreichste Team gewinnt einen Scheck über 300 Euro, alle übrigen Teilnehmer bekommen einen Händedruck oder ein Schulterklopfen von den Farmern. Sie haben 15.000 Probleme weniger. Doch einige Eltern, die sich Samstag morgen im Stadtpark die Zeit vertreiben, sind in Erklärungsnot. Wie sage ich’s den Kindern, dass – ausgerechnet zu Ostern – 15.000 Kaninchen die Löffel langgezogen wurden?

"We think the Easter Bunny has escaped, don’t we ? We think he was hiding somewhere..."

"Ich sage den Kleinen ganz einfach, dass sich der Osterhase vor den Jägern versteckt hat", gesteht eine Mutter von zwei fünf- und sechsjährigen Töchtern. "Warum den Kindern nicht die Wahrheit sagen?", fragt ein Mann während seine beiden Jungs mit ihren Ipods Schnappschüsse von den toten Kaninchen machen. Wer in Alexandra aufwächst, der weiß, dass hier die Oster-Eieruhren anders gehen.

"Die Kinder verstehen, dass diese Kaninchen eine Plage sind und es nötig ist, sie zu töten. Sie begreifen den Unterschied: Der Osterhase bringt Schokolade. Er ist nicht der Hase, der Großvaters Farm kahl frisst."

Alle Reden sind gehalten, alle Preise – vom besten Team bis zum originellsten dekorierten Jeep – sind vergeben. Der Aufräumtrupp rückt an. Zwei Baustellen-Bulldozer, drei Lastwagen und 50 Pfadfinder in Khaki-Uniformen. Jedes Jahr eine gute Tat: Die Scouts heben die Kaninchen an den Hinterbeinen in die Schaufelbagger, dann werden die Kadaver in die wartenden Trucks gekippt. "Was für eine Verschwendung", ärgert sich Tierliebhaber Martin Clunes. Aus den Kaninchen könne man nicht einmal mehr Hundefutter machen.

"Ein Großteil der Hasen ist vor 24 Stunden geschossen worden. Die toten Tiere verderben sehr schnell. Das macht sie für eine kommerzielle Weiterverwertung so gut wie unbrauchbar. Einige gehen, buchstäblich, als Versuchskaninchen in Wissenschaftslabors und es gibt Leute, die an den Fellen interessiert sind. Aber der Großteil der Kaninchen landet einfach nur auf einer Sondermüll-Kippe."

Es ist halb drei, der letzte Lastwagen fährt ab, einen Berg toter Kaninchen unter der Plane. Das Küchenzelt und die Bühne sind abgebaut, die Picknickdecken weggepackt, die Geländewagen der Jäger wieder verschwunden. Der Pioneer Park von Alexandra ist leer, wie ausgestorben. Als wäre nichts gewesen. Organisator Dave Ramsay plant schon für’s nächste Jahr, für Osterhasenjagd Nummer 21. Alle Teams wollen wiederkommen. Sie mögen eine Schlacht gewonnen haben, aber der Krieg gegen Neuseelands größte Landplage - der ist noch lange nicht vorüber.

"Unser Kaninchenproblem ist nicht gelöst, nur weil wir die Tiere eine Nacht lang gejagt haben. Die Teams könnten die nächsten drei Tage weitermachen und jedesmal mit 15.000 toten Hasen zurückkommen. Wir müssen die Kaninchenplage unter Kontrolle bringen. Und das Osterhasenschießen erinnert, seit Jahren, jeden daran, nicht aufzugeben."
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