„OSTEN“-Festival in Bitterfeld-Wolfen

Zwischen Kindergeburtstag und politischem Anspruch

05:35 Minuten
Kinden spielen vor und hinter einer Scheibe mit einem Röhrensystem. Vor und hinter der Scheibe stehen auch jeweils ein Erwachsener.
Das Foyer des Kulturpalastes in Bitterfeld sieht während des Festivals aus wie eine Spiellandschaft für Kinder. © Niklas Ottersbach / Deutschlandfunk Kultur
Von Niklas Ottersbach · 16.07.2022
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Der "OSTEN" in Großbuchstaben war Name und Thema eines Kunstfestivals in Bitterfeld, das nun zu Ende gegangen ist. In Lesungen, Theaterproduktionen und Workshops beschäftigte man sich mit ostdeutscher Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Bach in Bitterfeld, aber nicht in einem Konzertsaal, sondern in einem alten Wasserspeicher. Das Ambiente: Betonstelen, verrostete Rohre – und in der Mitte aufgebaut: ein Keyboard, Computer und Schläuche, aus denen Wassertropfen auf Tellern landen. Selten war Bach so flüssig. Das Publikum hat zwar teilweise ein paar Fragezeichen, ist aber doch begeistert.
Ortswechsel: der Kulturpalast von Bitterfeld. Hier ist das Zentrum des Festivals "OSTEN": Frei nach dem Motto aus Ulbrichts Zeiten „Greif zur Feder, Kumpel“ heißt die Adaption des Bitterfelder Weges 2022: „Greif zur Schubkarre“. Aufgebaut ist ein Parcours aus verschiedenen Stationen: Im Foyer des Kulturpalastes wirkt es ein bisschen wie Kindergeburtstag – mit Murmeln spielen oder auf Flaschen und Dosen schlagen.

Wer weiterkommen will, muss sich helfen lassen

Wer die Schubkarre alleine durch den Parcours schieben will, der kommt nicht weit. Vor dem schweren eisernen Bühnenvorhang steht ein Schild: „Osterfahrung“. Wer weiterkommen will, der muss sich helfen lassen. In meinem Fall ist das mein Co-Schieber: Rico Wagner, Jahrgang 87, geboren in Ostberlin. Der 35-Jährige kommt selbst aus der aus der freien Kunstszene. Der Schubkarren-Parcours hat Kindheitsgefühle in ihm geweckt.
„Ich mochte an den Klangwelten die Idee, sich zurückzuversetzen, wie es auf Brachen ist, was es da für Klänge gibt. Also, gegen eine Dose zu treten oder eine Flasche auf Asphalt zersplittern zu hören. Teilweise den Wind in so einem Rauschen zu hören. Ehrlich gesagt, war es eher so ein Zurückversetzen in eine Jugenderfahrung“, erzählt er.
Das Ende des Parcours findet auf dem Balkon des Kulturpalastes statt: Rico und ich hängen die Schubkarre in eine Schiene ein. Auf einer hölzernen Achterbahn rauscht sie zurück auf den Boden. Danach sind Rico Wagner und ich arbeitslos. Auch so eine Bitterfelder Erfahrung.
Mehrere Menschen nehmen an einer Veranstaltung im Wasserspeicher Bitterfeld teil.
Auch im Wasserspeicher in Bitterfeld fanden Veranstaltungen statt.© Niklas Ottersbach / Deutschlandfunk Kultur

Die Projekte sind in ihrer Machart politisch

„Wir wurden auch immer wieder gefragt: Warum heißt es OSTEN? Und ich glaube, ich möchte das nicht beantworten, sondern: Das ist eine Frage, die wir von Anfang an stellen und diskutieren, und die kann man auch und soll man gar nicht beantworten“, sagt Aljoscha Begrich, einer von drei künstlerischen Leitern des Festivals.
Der Rechtsrutsch bei der Bundestagswahl 2017, speziell in der ostdeutschen Provinz, hat Begrich, den ostdeutschen Dramaturgen, veranlasst, ein Festival zu entwickeln – hier in Bitterfeld, einer AfD-Hochburg. Nun also Murmelbahn spielen im Kulturpalast?

Wenn man hierherkommt, dann fällt schon auf, dass nicht alle Projekte sich mit Rechtsruck und Neofaschismus beschäftigen. Natürlich haben wir versucht, hier migrantische Stimmen sichtbar zu machen. Wir haben Workshops gemacht mit Menschen, die nicht deutschsprachig sind, und versucht, auch die Breite der Gesellschaft aufzuführen.

Aber, ich glaube, der Begriff des Politischen ist wie so ein Stück davor. Die ganzen Projekte sind nicht alle unbedingt explizit in ihrer Aussage politisch, sondern in ihrer Machart. Es geht erst mal um Stabilisierung.

Aljoscha Begrich

Der Initiator des Festivals fehlt

Fast vier Jahre hat sich das Festivalteam vorbereitet, hat lokale Akteure eingebunden. Die Murmelbahn beispielsweise haben Schüler vom Heinrich-Heine-Gymnasium in Wolfen gebastelt.
Dennoch hört man bei Fördermittelgebern hinter vorgehaltener Hand: Das Leitungstrio aus Berlin habe überwiegend die Kulturszene aus der Großstadt angelockt.
Matthias Goßler in seinem Kulturpalast in Bitterfeld.
Der Chef des Bitterfelder Kulturpalastes, Matthias Goßler, ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen.© Niklas Ottersbach / Deutschlandfunk Kultur
Für den Kulturpalast mag das stimmen. Allerdings fehlt hier auch ein zentraler, regionaler Akteur: Matthias Goßler. Der Unternehmer hat den Kulturpalast vor dem Abriss gerettet, jahrelang für Fördermittel gekämpft und das Festival "OSTEN" erst möglich gemacht.
Goßler wäre als Hausherr im Kulturpalast das Bindeglied gewesen zwischen Bitterfelder Bevölkerung und Kulturszene aus der Großstadt. Doch der Retter des Kulturpalastes ist Anfang Juni bei einem Autounfall ums Leben gekommen.

Ein „Drecksnest“, das keines mehr ist

Wenige Wochen zuvor habe ich ihn noch im Kulturpalast interviewt. Da hatte er noch eine neue Bitterfelder Aufbruchsstimmung beschworen.

Was uns guttun würde, ist ein neues Selbstbewusstsein. Wir haben hier mehrere Transformationen durch und wir haben aus dieser Region was gemacht: Ich finde, ein bisschen mehr Emotion und ein bisschen mehr Spaß an der Vergangenheit.

Man kann sich da auch mal selber auf die Schippe nehmen und sagen: Na, dann komm doch mal in unser Drecksnest und guck’s dir an, weil: Das ist es nicht mehr.

Matthias Goßler

Das Drecksnest, das keins mehr ist: Knapp 4000 Gäste haben sich das die ersten beiden Festivalwochenenden angeschaut. Nächstes Jahr soll es eine Fortsetzung geben, allerdings in kleinerem Rahmen mit weniger Vorbereitungszeit.
Auch die Zukunft des Kulturpalastes ist nach dem Tod von Unternehmer Matthias Goßler noch nicht ganz klar und so bleibt die Erkenntnis: Das Festival "OSTEN" in Bitterfeld-Wolfen war ein zweiwöchiger Aufbruch. Ein Aufbruch ins Ungewisse.

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