Ostdeutscher Politstar

Rezensiert von Jacqueline Boysen |
Rechtzeitig zur Bundestagswahl hat der Journalist Jens König eine Biografie über den PDS-Politiker Gregor Gysi vorgelegt. Dabei zeichnet der Autor ein Bild vom Werdegang des ostdeutschen Superstars der Politik. Gysi selbst wirkt nicht mit, was dem Autor Freiheit in Recherche und der Bewertung ließ.
Gregor Gysi ist ein Phänomen – ein Phänomen im lexikalisch-philosophischen Wortsinn: eine außergewöhnliche Erscheinung, "das Ding an sich" in seiner Ausprägung der "Figur an sich". Jens König, Leiter des Parlamentsbüros der "taz", hat sich dieser - ach so schillernden und polarisierenden - Figur und ihrer Herkunft genähert und sich nicht beirren lassen von Urteilen und Vorurteilen, Giftpfeilen oder devoter Parteitreue, Eitelkeiten und Aversionen.

Der Rhetor Gysi auf dem Weg zum Parteineuerer auf der großen Kundgebung auf dem Alexanderplatz in Berlin am 4. November 1989, Gysi, der in der Diktatur unter dem Schutz des Vaters Klaus stand, aber von diesem nie recht ernst genommen wurde, Gysi, der einst jüngste Rechtsanwalt der DDR,
Gysi, Verteidiger von Bahro, Havemann oder Bohley,
Gysi und sein Verhältnis zur Staatssicherheit,
Gysi, der westdeutsche Talkmeister und DDR-Apologeten gleichermaßen um den Finger wickelt, obgleich er selbst im Realsozialismus wahrlich kein Durchschnittsdasein gefristet hat...

Alle die Varianten im Erscheinungsbild des Selbstdarstellers und Machtmenschen kommen in der Biographie vor. An dem Band hat - wohlgemerkt - der ansonsten übersprudelnde Betroffene nicht mitgewirkt, was dem Autor wiederum die größtmögliche Freiheit in Recherche und der Bewertung ließ - Gysi erscheint schließlich wie ein Spieler, risikobereit und verschlagen, auch von irrlichternder Besessenheit…

"Der PDS-Vorsitzende stellte sich ... (im) Frühjahr 1990 bedingungslos vor seine Partei. Er verteidigte sie. Er wurde ihr Anwalt. Es war fast so wie früher bei Bahro und Havemann. Ein aussichtsloser Fall. Aber er liebte aussichtslose Fälle. Da konnte man nicht verlieren."

Allein in den zentralen und ausführlichen Kapiteln über des cleveren Anwalts Nähe zum Ministerium für Staatssicherheit lässt König in seinem Urteil Milde walten - kein Wunder, droht doch Gysi, wem er nur kann, mit Klagen. Insgesamt zeichnet Jens König ein erfreulich klares, bisweilen von unterschwelliger Bewunderung getöntes Bild des ostdeutschen Superstars der Politik, der derzeit an der Doppelspitze der Linkspartei sein politisches Revival zelebriert.

Dem Phänomen kommt nur bei, wer es in seiner Singularität begreift - und genau hier liegt die Stärke der Darstellung von Jens König, seinerseits einst Absolvent der Sektion Journalistik der Karl-Marx-Universität Leipzig. König schildert eindrucksvoll die Geschichte der Familie Gysi - und lässt dabei dem Vater Klaus, aber auch der Tante, der Schriftstellerin Doris Lessing, den Raum, den es zum Verständnis dieser Minderheit in der DDR-Elite unbedingt braucht: Die Gysis spielten als jüdisch-kommunistische Intellektuelle, als bürgerlich geprägte Familie mit einem durchaus kosmopolitischen Weltbild und dem Erfahrungshorizont der im Nationalsozialismus Verfolgten eine besondere Rolle im Machtgefüge der DDR. Das kleinbürgerliche Spießertum der emporgekommenen Kader war ihnen gänzlich fremd.

Doch sie wussten mit der kulturellen Engstirnigkeit und geistigen Beschränktheit der Mächtigen umzugehen, als Außenseiter haben sie unter Schmerzen lernen müssen, wie das Auf und Nieder der Karriere von Klaus Gysi, Minister für Kultur und zuletzt Staatssekretär für Kirchenfragen, belegt. Obgleich der Kommunistischen Partei treu und unter hoher Gefahr im Nationalsozialismus mutig für sie im Einsatz, fiel Klaus Gysi in der DDR immer wieder in Ungnade, konnte sich aber stets seine Privilegien erhalten. Er verspielte nie gänzlich die Gunst der SED. Gregor hat an den Wechselfällen im Leben seines Vaters Klaus die Willkür der Partei miterlebt. Wie sein Vater spielte er seine intellektuelle Überlegenheit aus, erlaubte sich Aufmüpfigkeit, aber hielt stets der SED die Treue. Das garantierte einem Teil seiner Mandanten aus der Dissidenten-Szene Sicherheit und ihm selbst die für sein Ego nötige Öffentlichkeit. Und nicht zuletzt dank dieser Erfahrung konnte er zur Identifikationsfigur für rentenberechtigte Ex-Genossen und arbeits- wie heimatlos gewordene so genannte "Wendeverlierer" werden:

"Gysi repräsentierte ... eine völlig neuartige politische Kultur, die dieses Land bislang nicht gekannt hat. Er war selbstbewusst, geistreich, witzig, lässig, selbstironisch und auch noch links. Es war so, wie seine demoralisierte Partei nie werden würde."

Jens König: "Gregor Gysi. Eine Biographie". Rowohlt Berlin, August 2005, 352 Seiten, € 19,90.