Ost-West-Konflikt

Gegnerschaft ja, Feindschaft nein

Moderation: Liane von Billerbeck · 11.03.2014
Wladimir Putin schaut grimmig vom Titelbild: Das Bild vom "bösen Russen" ist wieder da. Eine Rückkehr in alte Zeiten sieht der Historiker Martin Sabrow jedoch nicht, weil "Feind" definiert sei als eine "Figur, mit der keine Verständigung mehr möglich ist".
Liane von Billerbeck: Ein übergroßer Wladimir Putin auf dem Titelbild des aktuellen "Spiegel", ein Machtpolitiker, der alte Ängste und auch alte Feindbilder aufleben lässt – in der Ukraine sowieso, aber auch im Baltikum, wo viele Russen leben. Da fürchtet man, dass Putin auch darauf Zugriff haben will. Und selbst im Osten Deutschlands hört man immer wieder solche Stimmen und Ängste und alte Feindbilder.
Der Historiker Professor Martin Sabrow vom Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam indes, der hält heute einen Vortrag, dessen These das Gegenteil sagt. Er sagt nämlich: "Der Feind" – so der Titel des Vortrages – sei die Geschichte einer verblassten Kategorie. Herr Sabrow, ich grüße Sie!
Martin Sabrow: Guten Morgen, Frau von Billerbeck!
von Billerbeck: "Unserer politischen Gegenwartskultur ist der Feind als politische Figur abhanden gekommen", schreiben Sie in Ihrem Vortrag. Wird Ihre These nicht durch die Darstellung des Feindes Putin wie jetzt auf dem "Spiegel" widerlegt?
Feind als "Figur, die eigentlich auch entmündigt ist"
Sabrow: Na ja, es mag den Anschein haben, und in der Tat ist es für einen Zeithistoriker schon etwas seltsam, wenn er an einem Vortrag sitzt über das Verblassen des Feindes als Kategorie im 20. Jahrhundert, um dann die Renaissance oder die scheinbare Renaissance des Feindes in der Gegenwart am Beispiel der Krim-Krise zu erleben.
Tatsächlich aber muss man ja sagen, dass der Begriff des Feindes immer in einer gewissen Stellung zu anderen Begriffen des anderen steht, also der Gegner etwa oder der Fremde, und der Feind ist definiert begriffsgeschichtlich als die Figur, mit der keine Verständigung mehr möglich ist, eine Figur, die eigentlich auch entmündigt ist, weil es im Feindbild nicht mehr darauf ankommt, was der Feind denkt, was der Feind will, was der Feind auch tut, weil das Feindbild feststeht.
Anders aber beim Fremden oder beim Gegner, mit dem Verständigung möglich ist, der möglicherweise sogar zum Gast, zum Partner wieder werden kann, und wir erleben doch, dass die europäische Politik Putin als einen fremd Gewordenen, aber nicht als einen Feind beschreibt, einen fremd Gewordenen, den man zurückholen will in die Gemeinschaft der zivilisierten Staaten und ihrer Politik, und darin sehe ich in der Tat zwar eine Verschärfung des Gegnerbildes, auch eine Ausstattung mit stereotypen Zügen, aber noch nicht eine Verfeindung, wie wir sie etwa vor 100 Jahren oder überhaupt in der Geschichte des 20. Jahrhunderts so lange gehabt haben.
von Billerbeck: Nun sagen Sie ja, der Feind hat im politischen Denken unserer Zeit in Deutschland keinen festen Platz mehr, außer Putin jetzt, der in der aktuellen Diskussion immer als Feind auftaucht. Warum ist das so?
Verblasste Feindbilder
Sabrow: Na ja, das sind große Entwicklungen des 20. Jahrhunderts, die zunächst damit zu tun haben, dass die manichäische, die binäre Konstruktion unserer Welt verloren gegangen ist. Diese Einteilung in Gut und Böse, in Ost und West, sogar in Barbarisch und Zivilisiert existiert nicht mehr in der Schärfe, wie wir sie so lange im 20. Jahrhundert hatten als Konkurrenz von zwei oder sogar von drei großen Gesellschaftssystemen: Faschismus-Nationalsozialismus, Kommunismus und Rechtsstaatlichkeit.
Auch der Kalte Krieg, dessen Zitat wir jetzt wieder erleben, ist ja eigentlich in den letzten 30 Jahren aus unserer Kultur mehr und mehr geschwunden, und das hat über die Idee der friedlichen Koexistenz etwa dazu geführt, dass unsere Feindbilder verblasst sind, nicht verschwunden, nicht völlig verschwunden und immer wieder auflebbar, aber doch verblasst.
von Billerbeck: Könnte es aber sein, wenn man jemanden wieder zum Feind erklärt, dass er gar nicht der Feind ist, sondern eher der Gegner oder das andere, wenn man jemandem zum Feind erklärt, dass daraus neue Feindschaft entsteht, genährt von alten Feindbildern?
Sabrow: Ja natürlich! Feindbilder beruhen in der Regel auf einem, wie Wolfgang Benz es sagen würde, Kristallisationskern von Realität, auf einer Plausibilitätsstruktur, die ihre verzerrten Züge dann eben plausibel macht. Diese Stereotypen gibt es als Ressentiments in jeder Gesellschaft und sie sind aktivierbar.
Ob aber aus persönlichen Vorurteilen, also aus einem vorpolitischen persönlichen Feindbild dann ein politisches Feindbild wird, hängt eher von der kulturellen Verfassung ab, und da kommt es in der Tat darauf an, ob diese Verfassung eher exklusiv oder eher inklusiv ist. Unsere Verfassung, unsere Werteverfassung ist eher inklusiv. Sie fordert, dass unsere Werte der Freiheit, der Selbstbestimmung, der Autonomie, der Rechtlichkeit überall gelten, und lebt davon, dass es uns dann gut geht, wenn es den anderen auch gut geht.
Und das ist eine völlige Umkehrung zu der Situation etwa des Ersten Weltkrieges oder der Zwischenkriegszeit und dann natürlich der NS-Zeit insgesamt, die ja davon ausging, dass es uns gut geht, wenn es den anderen weniger gut geht.
von Billerbeck: Das heißt, unsere Lage, unsere Verfassung im Sinne von unserer Werteverfassung ist nicht so, dass wir Putin wieder zum Feind erklären könnten?
Keine Rückkehr Rückkehr "zu einer Feindkultur traditionellen Ausmaßes"
Sabrow: Zumindest – ich bin als Zeithistoriker lieber in der Vergangenheit unterwegs als in der nahen Zukunft – solange die grundsätzlichen Verhältnisse sich hier nicht ändern und sich nicht eine binäre Struktur neu aufbaut. Es gibt dafür gewisse Indizien, dass es sich so entwickeln könnte, aber mir scheinen sie bisher noch lange nicht so stark zu sein, dass wir an eine Rückkehr in die Kultur der Verfeindung glauben können. Alle Entwicklungen des späteren 20. Jahrhunderts sprechen im Moment noch dagegen und bauen meines Erachtens einen Damm auf gegen eine Rückkehr zu einer Feindkultur traditionellen Ausmaßes.
von Billerbeck: Welche Indizien wären denn das, die da zusammenkommen müssten, wenn Sie das vergleichen mit den Feindbildern, die Sie aus der Geschichte ja auch betrachten?
Sabrow: Na ja, zumindest das Wachsen des Misstrauens zwischen Staaten, die Entstehung von Bündnissystemen, die auf diesem Misstrauen aufbauen, die Meinung, dass es Ideen gibt wie die der Nation, des Imperiums, der Vision des Sendungsbewusstseins der politischen Gesellschaftsordnung, die man durchsetzen will, der großen Gesänge, wie wir es früher genannt haben. Das wären alles Hinweise darauf, dass es zu einer neuen Verfeindung kommen könnte.
Dagegen spricht der Aufstieg der Menschenrechte. Dagegen spricht die Ablösung der großen Kollektivsubjekte wie Nation, Staat, Volk, Rasse, Klasse und stattdessen die Hinwendung zum Einzelnen und seinem Recht, eine Hinwendung, die mit dem Aufstieg der Menschenrechte gekennzeichnet ist. Das sind alles die politisch-kulturellen Momente, die gegen eine Verfeindung als zukünftige Entwicklung sprechen.
von Billerbeck: Und was spräche dafür?
Sabrow: Na ja, dass sich ein neuer Ost-West-Gegensatz darstellt, dass die EU nicht nur als eine Festung sich an ihren Grenzen darstellte, sondern als ein politischer Handlungskörper mit einem gewissen eigenen Sendungsbewusstsein, und vielleicht das Paradoxon, das Saint-Just in der Französischen Revolution seinen Gegnern entgegengeschleudert hat: "Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit". Das bedeutet, dass es eine Feinderklärung auch in der Rechtsstaatlichkeit geben kann, dort wo sie nämlich bedroht ist. Dieses Paradoxon der wehrhaften Demokratie bietet immer wieder ein Einflussfeld für die Entstehung von Feindkulturen.
von Billerbeck: Sie sagen ja, Sie möchten sich ungern in die nahe Zukunft bewegen, sondern lieber über die Vergangenheit reflektieren als Zeithistoriker. Klar, die ist ja auch schon abgeschlossen. Aber dann fragen wir noch mal danach: Wie kam es denn beispielsweise nach dem Ersten Weltkrieg dazu, dass aus dem "Erzfeind Frankreich" und dem "perfiden Albion", dass diese Erzfeinde weg waren und sich die Umstände nach dem Ersten Weltkrieg geändert haben? Wieso haben sich diese Feindbilder einfach pulverisiert?
Sabrow: Na ja, wir beziehen uns jetzt vielleicht doch eher auf die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, als die deutsch-französische Erbfeindschaft dann in den Élysée-Vertrag von 1963 als deutsch-französische Freundschaft umschlug. Das ist eigentlich ein Argument für meine These, dass politische Feindbilder in der Regel so lange dominant sind und grassieren, solange ihre politische Grundverfassung vorhanden ist. Ob es antifranzösische, antipolnische, antirussische und antideutsche Ressentiments gibt in derselben Zeit, ist dann nicht das Entscheidende, sondern der Wegfall einer Verhandlungsgrundlage, die Frankreich als einen Feind zu deklarieren erlaubte, und stattdessen konnte sehr schnell, trotz einer verfestigten, aus dem 19. und 18. Jahrhundert stammenden Idee der französischen Reichsfeindschaft, der deutsch-französischen Erbfeindschaft, sehr schnell so etwas wie eine zunächst staatliche und dann auch gesellschaftlich immer tiefer greifende Freundschaft werden.
Also es ist der Wegfall jener binären Zuordnung, jener manichäischen Ordnung, die den Feind als die Bedrohung der eigenen Ordnung sieht und im Grunde, mit Carl Schmidt zu argumentieren, nur mit seiner Vernichtung argumentieren und handeln kann.
Wachsende Entfeindung
von Billerbeck: Trotzdem ist es doch so und ist es mir schwer vorstellbar, dass nach '45 diese Kategorie des Feindes sich einfach in Luft aufgelöst hat. Wirken nicht diese Feindbilder fort in der Phase des Kalten Krieges und können jetzt wieder aktiviert werden, vielleicht nicht gegen Frankreich, aber in dem Fall jetzt gegen Putin?
Sabrow: Ja, das sehe ich auch so, und es ist ja auch nicht so, dass die Entfeindung nach dem Zweiten Weltkrieg ein schlagartiges Geschehen war. Sie haben das selbst schon differenziert angesprochen. Die Idee des bolschewistischen Feindes ist im Antikommunismus natürlich, wenn auch in veränderter Form, erhalten geblieben. Schauen wir uns die Wahlplakate der Bundestagswahl 1953 oder gar 1949 an, so sehen wir das Fortwirken sogar des Stereotyps des Untermenschen und eines ganz klaren, gegen Osten gerichteten Feindbildes.
Aber wir erleben doch auch eine wachsende Entfeindung im Zuge der 50er-, 60er- und 70er-Jahre, mit dem Generationswandel, mit dem Abschwächen des Kalten Krieges und auch der Legitimation von Feindbildern – nicht nur im Westen, sondern auch natürlich im Osten. Auch das Feindbild der DDR, des SED-Regimes wandelt sich in dieser Zeit, es wird brüchiger, es wird im Krenz-Regime aufrecht erhalten, es wird deklaratorisch aufrecht erhalten, aber es verliert zunehmend doch an Plausibilität, und vielleicht erklärt gerade dieses auch das Phänomen von 1989 sehr genau.
Eine letzte Zuspitzung der Feindkultur der Bundesrepublik würde ich in der Zeit um 1968 und in der Auseinandersetzung mit dem Linksterror der RAF sehen. Hier haben wir auf beiden Seiten diese Form der Verfeindung, die bis hin zur Entmenschlichung reicht.
von Billerbeck: Also "Entwarnung", was den "Feind Russland" betrifft, Herr Sabrow?
Sabrow: Nein! Entwarnung, so weit würde ich nicht gehen und mich dann doch wieder auf die Vergangenheit zurückziehen, die Sie mit Recht als meinen Beruf angesehen haben. Aber ich sehe im Moment noch keine Anzeichen, dass aus einer verstärkten Gegnerschaft, die uns aufmerksam machen muss, natürlich, eine Verfeindung wird mit ihren eigenen Logiken und Automatismen, die am Ende darin endet, dass der Feind gar keine Bewegungsmöglichkeit mehr hat, weil es auf ihn nicht mehr ankommt in seinem Tun und Handeln. So weit sind wir ganz sicherlich nicht.
von Billerbeck: Der Historiker Martin Sabrow vom Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Studien. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Sabrow: Ja, Frau von Billerbeck. Ich danke Ihnen auch. Es ist das Zentrum für Zeithistorische Forschung.
von Billerbeck: Entschuldigung! Das war ein Versprecher.
Sabrow: Aber Studien sind ja mit dabei, da haben Sie schon ganz recht.
von Billerbeck: Ihr Vortrag, "Der Feind. Zur Geschichte einer verblassten Kategorie", der wird heute Abend zu hören sein im Potsdamer Forum am Neuen Markt. Danke, Herr Sabrow.
Sabrow: Gerne, Frau von Billerbeck. Auf Wiederhören.
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