Ost-West-Beziehung

Junges Paar sucht Einheit

Die Abendsonne scheint in Berlin auf die Rückseite der "East-Side-Gallery".
Die Abendsonne scheint in Berlin auf die Rückseite der „East-Side-Gallery“. © picture alliance / dpa / Maurizio Gambarini
Von Martin Hyun |
Es sollte zusammenwachsen, was zusammen gehört – die Wiedervereinigung lässt sich nicht mit einer einzigen Geschichte erzählen. Der Mauerfall hat auch Menschen verbunden, die nicht dem ost- oder westdeutschen Durchschnitt entsprechen.
Meine Freundin hätte ich nicht kennengelernt, wäre die Mauer nicht gefallen. Sie ist eine waschechte Berlinerin. Liebevoll nennt sie mich ab und an einen „Zonendödel“. Sie ist in der DDR aufgewachsen, ich dagegen in Nordrhein-Westfalen, in der Samt- und Seidenstadt Krefeld. Tatsächlich lebt sie also mit einem „Rucksack-Berliner“ zusammen, im Wedding unweit der verschwundenen Mauer.
Von Paaren, deren Liebesgeschichte die deutsche Einheit schrieb, hört und liest man häufiger. Selten aber wird von einem so ungleichen Paar berichtet, das nicht nur das Lebensgefühl von der Spree mit dem vom Rhein zusammenführt, sondern sich auch in deutscher und koreanischer Familientradition übt.
Mein Vater war Bergarbeiter und meine Mutter Krankenschwester. Sie kamen vor 44 Jahren als Gastarbeiter nach Deutschland, wo sie sich kennenlernten und heirateten. Mich prägte die koreanische Auslandsgemeinde, die koreanische Erziehung der Eltern ebenso wie das Ruhrgebiet. Hier lernte ich kulturell ein Grenzgänger zu sein, allein schon weil ich unverkennbar asiatisch aussehe.
Ihr Großvater saß in Bautzen
Ziemlich viel von dem, was die alte DDR ausmachte, hat meine Freundin vergessen. Die schlummernde Erinnerung wird immer dann wieder wach, wenn wir uns Dokumentarfilme anschauen. Ihr Großvater war ein Dissident, der im Zuchthaus Bautzen II einsaß. Sie selbst war ein Punk. Dadurch entsprach sie nicht „den sozialistischen Ansprüchen in puncto Aussehen“, weshalb sie abgelehnt wurde, als sie sich als Heimerzieherin beworben hatte.
Unseren Urlaub verbringen wir meist in den nicht mehr neuen Bundesländern. Ostdeutsche Landschaften zu erkunden oder an der Ostseeküste zu radeln: nie wäre ich ohne meine Berliner Freundin auf solch eine Idee gekommen.
Sie führte mich in die regionaltypische Haute Cuisine ein, wie Jägerschnitzel, Knusperflocken, Mocca-Fix-Gold und Spreewälder Gurken. Wir besuchten die Weihnachtsmärkte von Görlitz und Dresden, aber auch den Stasi-Knast in Bautzen und den Bunker in Werneuchen. Ich lernte „Pittiplatsch“ und „Schnatterinchen“ kennen, sowie „Bolek und Lolek“.
Auch die Oma im ehrwürdigen Alter von 104 Jahren hat mich mittlerweile liebgewonnen, obschon sie anfangs ihre Enkelin fragte, ob sie nicht einen Besseren finden konnte, einen, der wenigstens polnisch spreche. Die Oma musste 1944 von Polen nach Deutschland fliehen.
Schulterprobleme, Hüftbeschwerden und Krampfadern
Und so gingen mir Horrorbilder durch den Kopf, wie denn meine fernöstlichen Eltern reagieren würden. Denn mein Vater pflegt Personen, die er unsympathisch findet, den Zutritt zur Wohnung zu verwehren. Und meine Mutter verbündet sich im Zweifel schweigend mit ihm.
Schon Tage vor der Reise zur koreanischen Familie versuchte ich, meine Freundin in die anachronistischen Hausregeln einzuführen und das bedeutete, Schuhe an der Haustür auszuziehen, Distanz zu wahren, erst dann zu reden, wenn wir angesprochen werden, keine Witze zu machen, die missverstanden werden könnten, untereinander keine Zuneigung zur Schau zu stellen, natürlich als Unverheiratete getrennt zu schlafen – sowie auf ein gepflegtes Outfit zu achten. Am Ende ging in Krefeld alles gut.
Seit wir als west-östliches Paar zu privater Einheit hin unterwegs sind, habe ich gelernt, mich von einigen koreanischen Riten zu lösen, die von unserer Umgebung eher als persönliche Schwäche ausgelegt werden. Und immer mehr mutiere ich zu einem Berliner. Ich rede frei und so wie mir der Schnabel gewachsen ist.
Meine Freundin dagegen beschuldigt mich liebevoll, sie hätte sich in dieser Zeit vornehmlich Schulterprobleme, Hüftbeschwerden, Krampfadern und Erkältungen eingefangen.

Martin Hyun wurde 1979 in der nordrhein-westfälischen Samt- und Seidenstadt Krefeld geboren. Er ist Sohn koreanischer Gastarbeiter und studierte Politik sowie International Relations in den USA und Belgien. Er war der erste koreanisch-stämmige Bundesliga-Profi in der Deutschen Eishockey Liga sowie Junioren Nationalspieler Deutschlands. Seit 1993 ist er glücklicher deutscher Staatsbürger und lebt in Berlin.

© Martin Hyun
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