Ost-Jerusalem

Palästinenser: Siedler greifen täglich an

Der Leichnam eines toten palästinensischen Jugendlichen wird abtransportiert
Nahe Jerusalem wurde ein vermisster palästinensischer Jugendlicher tot aufgefunden © dpa / Abir Sultan
Moderation: Korbinian Frenzel · 04.07.2014
Die Gewalt zwischen Israelis und Palästinensern eskaliert. Die Lage in Ost-Jerusalem schildert Jawad Siyam, Leiter des dortigen palästinensischen Gemeindezentrums Madaa.
Korbinian Frenzel: Es ist insgesamt ruhig geblieben in Israel in den palästinensischen Gebieten in dieser Nacht. Das ist schon eine Nachricht wert nach dieser Eskalation, die begonnen hat mit dem Mord an drei israelischen Jugendlichen. Nicht ruhig geblieben ist es aber in dem Stadtteil Silwan in Ostjerusalem. Dort ist jetzt für uns am Telefon Jawad Siyam. Er betreibt das palästinensische Gemeindezentrum Madaa. Und weil Sie, Herr Siyam, in Deutschland studiert haben, können wir auf Deutsch miteinander reden. Guten Morgen!
Jawad Siyam: Guten Morgen, hallo!
Frenzel: Seit Tagen hören wir ja die Berichte von Demonstrationen, von Gewalt, von Polizeiaktionen der israelischen Seite. Jetzt diese aktuellen Berichte aus Ihrem Stadtteil. Wie sehr bestimmt all das Ihren Alltag, wie sehr ist das alles eingedrungen?
Siyam: In Silwan speziell ist es immer unruhiger geworden in den letzten Jahren, seit 2007. Aber es ist unterschiedlich. In letzter Zeit war mehr als sonst wegen der Verbrennung von einem palästinensischen Kind. Es ist entführt worden von Siedlern und verbrannt worden. Und danach ist es eskaliert, in einem Stadtteil, er heißt Sho'afat, in Nordjerusalem. Und dann ist es eskaliert überall in Jerusalem, Silwan natürlich eingeschlossen. Sowieso ist immer Krach, denn es gibt in Silwan knapp 380 Siedler, die versuchen so eine "City of David" in Silwan. Es gibt fast jeden Tag Krach zwischen Palästinensern und Soldaten in Silwan.
Einzige Straßenbahn funktioniert nicht mehr
Frenzel: Wie sieht das konkret für den Alltag aus? Sind Sie da gerade eingeschränkt in der Art und Weise, wie Sie sich bewegen können, ob Sie zur Arbeit können, Dinge wie diese?
Siyam: Das Beispiel heute, Freitag, da können sich die unter 50 Jahre Alten nicht frei bewegen. Es gibt Absperrungen vor allem um die Altstadt herum und Silwan ist sehr nah an der Altstadt. Und die Bewegung innerhalb Jerusalems ist sehr schwierig. West-Jerusalem ... Palästinenser gehen sowieso nicht im Moment, denn es gibt viele Angriffe auf Palästinenser. Zum Beispiel funktioniert die einzige Straßenbahn in Jerusalem nicht mehr, denn in Sho'afat und Beit Hanina ist abgesperrt, die können nicht durch. Insgesamt gibt es eingeschränkte Bewegung innerhalb Jerusalems, aber ich kann natürlich von zu Hause rausgehen und ich kann zu meiner Arbeit gehen. Aber es kann jederzeit etwas kommen, dass man nicht mehr von zu Hause weggehen kann.
Frenzel: Glauben Sie denn, wenn Sie diese gesamte Situation jetzt betrachten, dass sie sich tendenziell wieder beruhigen wird? Oder erleben wir da gerade den Beginn einer ganz großen Eskalation? Das Stichwort dritte Intifada mit Perspektive, palästinensische Seite ist ja schon gefallen. Glauben Sie, dass es zu dieser großen Eskalation kommen kann, kommen wird?
Siyam: Es gibt heute in Ost-Jerusalem 240.000 Siedler. Und es ist sehr gefährlich jetzt, die sind bewaffnet meistens. Und das ist ein großes Problem, wenn die israelische Regierung nicht reagiert gegen die täglichen Angriffe auf die Palästinenser, die Siedler haben Häuser verbrannt, sie greifen an und sie haben auch gestern versucht, ein siebenjähriges Kind zu entführen in Beit Hanina. Wenn die israelische Regierung nicht reagiert darauf, dann wird es nicht aufhören. Aber ich glaube, das wird sich wieder beruhigen in den nächsten Tagen. Aber nicht überall. Zum Beispiel gibt es Stadtteile, wo die Siedler immer sich bewegen innerhalb des Stadtteils, wo es immer Zusammenstöße gab, mit dieser Entwicklung der letzten zwei Tage oder ohne. Aber das wird sich beruhigen, aber nicht überall in Jerusalem. Es wird immer die Unruhe wiederkommen.
"Palästinenser haben keine Regierung in Jerusalem"
Frenzel: Herr Siyam, Sie haben angesprochen, was aus Ihrer Sicht die israelische Seite tun müsste. Wie viel Verantwortung trägt denn die palästinensische Seite für die Eskalation jetzt, aber auch für die Lösung der Situation?
Siyam: Die Palästinenser haben nicht die Macht in Ost-Jerusalem. Die Palästinenser haben keine Regierung in Jerusalem und sie haben keine Polizei. Sie haben nichts, sie können nichts machen. Das ist israelische Polizeiaufgabe, es gibt keine Palästinenserpolizei in Jerusalem, das ist unter der Kontrolle der Israelis.
Frenzel: Aber wenn wir uns die Ursache jetzt dieser neuen Eskalation angucken, wie viel palästinensische, wie viel Verantwortung dieser Seite sehen Sie in dieser ganzen Situation?
Siyam: Meinen Sie diese drei toten Israelis?
Frenzel: Ja, und auch der Umgang der palästinensischen Führung damit.
Siyam: Die palästinensische Führung, Sie haben vielleicht mitbekommen, was Abu Mazen, Mahmud Abbas immer gesagt hat, er hat ja versucht, auch die drei jungen Leute zu finden, er hat Hilfe angeboten. Und in den letzten zwei Wochen sind 18 Palästinenser ums Leben gekommen, davon fünf Kinder, viele Häuser sind abgerissen worden. Aber bis jetzt ist nicht die Sache, dass die Palästinenser ... Ich meine, die Israelis haben die Macht. Die können innerhalb einer Minute wieder Ramallah besetzen. Sie waren in der Stadt Ramallah drin, sie waren überall in der West Bank in den letzten zwei, drei Wochen. Ich sehe nicht, dass die Palästinenser viel ... Das ist auch die Aufgabe der internationalen Länder, von Europa, von USA, dass sie sich einmischen. Das Einfachste, die Sache zu verbessern in Palästina, ist, die Besetzung zu beenden.
Frenzel: Das sagt Jawad Siyam, der Leiter eines palästinensischen Gemeindezentrums in Ost-Jerusalem. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Siyam: Danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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