Osnabrück

Runder Tisch für Christen, Juden und Muslime

Eine Lehrerin unterrichtet Migrantenkinder in Deutsch
Schon in der Schule lernen die Kinder religiöse Vielfalt kennen. © imago/Sämmer
Katrin Großmann im Gespräch mit Dieter Kassel |
Das Zusammenleben von Christen, Juden und Muslimen klappt im niedersächsischen Osnabrück erstaunlich gut. Die Bistumsleitung habe dafür eine große Offenheit, sagte die Dialogbeauftragte Katrin Großmann. Regelmäßig treffen sich Vertreter der Religionsgemeinschaften zum Austausch.
"Es gibt in Osnabrück eine sehr lange Tradition des Miteinander-Sprechens und des Miteinander-Lebens der verschiedenen Religionsgemeinschaften", sagte die katholische Theologin Katrin Großmann im Deutschlandradio Kultur. Es gebe seit Jahren einen Runden Tisch der Religionen, an dem sich die Vertreter der verschiedenen religiösen Gemeinschaften regelmäßig austauschten. Es gebe bei der Bistumsleitung eine große Offenheit gegenüber diesen Themen. "Das ist unserem Bischof ein besonderes Anliegen", sagte Großmann, "gerade in Zeiten von Pegida".
Erklärung zum Gaza-Krieg
Anders als in anderen deutschen Städten habe man in Osnabrück während des Gaza-Krieges eine gemeinsame Erklärung des Runden Tisches erarbeitet, die von den moslemischen Gemeinden angeregt wurde. Sie hätten dadurch verhindern wollen, dass es zu wütenden Demonstrationen wie in anderen Städten komme. Diese Erklärung sei auch während der Freitagsgebete in den Moscheen entsprechend erwähnt worden.
Drei-Religionen-Grundschule
Seit drei Jahren gebe es in Osnabrück eine Drei-Religionen-Grundschule als gemeinsames Kooperationsprojekt. "Das ist eine ganz normale Grundschule", sagte Großmann. Jeden Mittwoch gebe es für die Kinder parallel christlichen, muslimischen oder jüdischen Religionsunterricht. "Daneben ist es aber eine offene Ganztagsschule, die die Möglichkeit bietet, Freiräume zu schaffen, die in besonderer Weise das religiöse Miteinander thematisieren lassen." So erläuterten die Kinder einander ihre religiösen Feste.

Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Auch wenn in Dresden gestern Abend wieder mehr Menschen an der Pegida-Demonstration teilgenommen haben als zuvor - diese Bewegung scheint weiterhin vor allem auf diese Stadt konzentriert zu bleiben, auf Dresden.
Woanders hat Pegida nur wenig oder gar keinen Zulauf, und besonders unwahrscheinlich erscheint mir ein Erfolg der Pegidisten in Osnabrück zu sein, denn dort scheint das Zusammenleben von Christen, Muslimen und Juden erstaunlich gut zu funktionieren. Es gibt zum Beispiel eine Drei-Religionen-Grundschule, einen jüdischen Kindergarten in katholischer Trägerschaft und zahlreiche andere Projekte.
Für die Koordinierung dieser Projekte ist beim Bistum Osnabrück Katrin Großmann verantwortlich. Sie ist dort die Beauftragte für den Dialog mit nicht-christlichen Religionen.
Schönen guten Morgen, Frau Großmann!
Katrin Großmann: Guten Morgen!
Kassel: Warum scheint in Osnabrück so vieles zu funktionieren, was woanders so schwierig ist?
Großmann: Es gibt in Osnabrück eine sehr lange Tradition des Miteinander-Sprechens und des Miteinander-Lebens der verschiedenen Religionsgemeinschaften. Wir haben seit langen Jahren den runden Tisch der Religionen, bei dem sich die Vertreter der Religionsgemeinschaften regelmäßig treffen und auch über spannungsvolle Vorkommnisse zwischen den Religionen an anderen Orten der Welt ins Gespräch kommen, sich gemeinsam positionieren, damit auch immer wieder an die Öffentlichkeit gehen.
Wir haben schon sehr lange den Arbeitskreis der Religionen, der immer wieder mit Veranstaltungen interreligiöse Themen in das Leben der Stadt einbringt und auch den Abend immer mit einem Gebet der Religionen beenden lässt. Und wir haben eine große Offenheit - für die Katholiken gesprochen - der Bistumsleitung für diese Themen. Das ist unserem Bischof ein besonderes Anliegen, wie er ja gestern auch noch mal in der "Neuen Osnabrücker Zeitung" betont hat, auf den Dialog und auf das Miteinander zu setzen, gerade in Zeiten von Pegida.
Kassel: Sind denn da vor allen Dingen bei dem, was Sie jetzt gerade schon beschrieben haben, die Christen auf die anderen Religionsgemeinschaften zugegangen oder von wem ging das aus?
Christen in der Mehrheitsposition
Großmann: Ich denke, das ist ... Natürlich haben wir in Deutschland immer die Situation, dass wir Christen in der Mehrheitsposition sind und sowohl die jüdischen Gemeinden als auch die Muslime in einer Minderheitenposition. Dadurch ist es ganz natürlich so, dass wir Christen in gewisser Weise da ganz besonders gefragt sind, in meinen Augen.
Nichts desto trotz ist es in Osnabrück sehr wohl so, dass Impulse auch von den muslimischen Gemeinden ausgehen. Etwa die Erklärung, die im vergangenen Sommer zum Konflikt zwischen Israel und Gaza abgegeben wurde vom runden Tisch der Religionen ist auf Impuls aus den muslimischen Gemeinden entstanden, die dadurch eben verhindern wollten, dass es wie in anderen Städten zu Demonstrationen kam und diese Erklärung dann auch in ihren Freitagspredigten entsprechend erwähnt haben.
Kassel: Kommen wir mal auf eines der konkreten Projekte, Sie werden nicht überrascht sein, dass mich vor allen Dingen das wundert, weil ich es mir nicht so recht vorstellen kann, nämlich die Drei-Religionen-Grundschule. Gut, welche drei Religionen es sind, da komme ich noch von alleine drauf, aber wie funktioniert diese Schule?
Großmann: Diese Schule besteht jetzt im dritten Jahr, also wir haben Schülerinnen und Schüler der ersten drei Schuljahre, und sie funktioniert als Kooperationsprojekt, also sie ist in Trägerschaft der Schulstiftung des Bistums. Es gibt einen Beirat, der ein wichtiges Gremium ist, in dem eben die drei Macher der Schule sozusagen miteinander ins Gespräch kommen, hier auch Vertreter der muslimischen Gemeinden, der jüdischen Gemeinde und des Bistums und auch Vertreter der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen sind in diesem Beirat zusammen. Und daneben ist eine ganz wichtige Säule die Elternarbeit natürlich.
Kassel: Aber wie sieht das denn im Alltag aus? Ist da sozusagen der Hauptunterricht komplett unreligiös und zum Religionsunterricht werden halt die drei Gruppen wieder getrennt?
Eine natürliche Form des Miteinanders
Großmann: Ja, in einer gewissen Weise schon. Also es ist eine ganz normale Grundschule, die wie jede andere Grundschule in Niedersachsen dem Lehrplan natürlich verpflichtet ist, und erstes Ziel ist einfach zunächst, dass die Kinder lesen, schreiben und rechnen lernen wie in anderen Grundschulen auch.
Und es gibt in der Tat am Mittwoch den ganz regulären Religionsunterricht, der als christlicher, muslimischer und jüdischer Religionsunterricht parallel angeboten wird. Daneben ist es aber eine offene Ganztagsschule, die sozusagen die Möglichkeit bietet, Freiräume zu schaffen, die in besonderer Weise das religiöse Miteinander thematisieren lassen.
Also es ist dann ... Wenn etwa Feste anstehen, wird im Morgenkreis darüber gesprochen, muslimische Kinder erzählen jüdischen und christlichen Kindern, wie sie den Ramadan begehen und was das für ihre Familien bedeutet, christliche Kinder erläutern, was im Advent besonders ist unter den Christen, und so entsteht eine natürliche Form des Miteinanders und Voneinander-Lernens.
Kassel: Wie werden da die Konflikte des Alltags gelöst? Ich denke zum Beispiel an den Sportunterricht.
Großmann: Das ist ganz klar, dass da die Vorgaben des Kultusministeriums maßgeblich sind, und diese Gespräche finden dann eben im Beirat statt, aber es ist klar, dass sozusagen diese Vorgaben nicht außer Kraft gesetzt oder hintergangen werden.
Kassel: Mit anderen Worten, muslimische Mädchen sehen da anders aus als die jüdischen und die christlichen beim Sport?
Großmann: Das kommt darauf an. Also ich denke, muslimisches Mädchen ist nicht gleich muslimisches Mädchen, genauso wie christliches Mädchen oder jüdisches Mädchen nicht gleich christliches Mädchen oder jüdisches Mädchen ist. Es gibt natürlich die Möglichkeiten, die es auch staatlicherseits gibt, etwa beim Schwimmunterricht einen Burkini zu tragen. Das wird dann im Einzelfall besprochen. Fakt ist, dass alle Kinder am Schwimmunterricht teilnehmen, weil der Schwimmunterricht Teil des Kurrikulums ist.
Kassel: Ich mache jetzt mal was Merkwürdiges, Frau Großmann, ich möchte Sie, während ich mit Ihnen rede, mal zitieren. Sie sagen nämlich auf der Internetseite Ihres Bistums Folgendes, Zitat:
"Wir alle merken, dass in unserer mehr und mehr säkular geprägten Gesellschaft der Platz der Religionen im öffentlichen Leben immer häufiger infrage gestellt wird. Hier scheint es mir wichtig, gemeinsam mit einer Stimme zu sprechen und den Wert der Religion für eine Gesellschaft zu betonen."
Zitat Ende. Einigt Sie, die drei Religionsgemeinschaften, über die wir sprechen, da so ein bisschen der gemeinsame Außenfeind? Verbünden Sie sich gegen die Atheisten und Agnostiker?
Miteinander ins Gespräch kommen
Großmann: Nein, das würde ich nicht sagen. Ich finde ganz im Gegenteil, dass der Dialog auch die Agnostiker und Atheisten umfassen sollte. Das haben wir auch ... In der Kita Heilig Kreuz im Stadtteil Schinkel schon seit Langem die Situation, dass wir nur noch ein Drittel katholischer Kinder haben, die diesen Kindergarten besuchen, etwa ein Drittel sind muslimische Kinder und ein Drittel sind Kinder, die eben verschiedenste oder gar keinen religiösen Hintergrund haben. Und hier in dieser Kita haben wir eine Arbeitsweise entwickelt, die neben dem katholischen Profil auch die religiösen Bedürfnisse, die ja auch agnostische Kinder haben, indem sie sich große Fragen des Lebens stellen, indem diese Kinder da in ihren Bedürfnissen wahrgenommen werden und miteinander ins Gespräch kommen.
Diese Arbeitsweise heißt Perlen für Gott, und das sieht so aus, dass die Kinder vor allem im Vorschulalter anhand von neuen Perlen, die unterschiedlich besetzt sind, über diese Sinnfragen miteinander ins Gespräch kommen. Da gibt es dann zum Beispiel die Ich-Perle, die Wir-Perle, die Fest-Perle oder die Perle der Gottesfreundschaft. Und das ist eben anschlussfähig, für christliche Kinder, für muslimische Kinder, aber auch für agnostische Kinder, die sich ja mit diesen Fragen nicht weniger auseinandersetzen.
Kassel: Katrin Großmann, Beauftragte für den Dialog mit nicht-christlichen Religionen des Bistums Osnabrück, über erstaunliche Projekte in ihrer Stadt. Frau Großmann, vielen Dank für das Gespräch!
Großmann: Ja, gern!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema