Osmar White: Die Straße des Siegers
Ein Buch, das hoch auf meiner Liste steht, ist der Reportagenband des australischen Journalisten Osmar White. Er gehörte in den letzten drei Kriegsmonaten zu den Truppen des legendären amerikanischen Generals Patton, eines unideologischen Draufgängers. White war dabei, von der Winteroffensive im Westen bis nach Reims, wo die Wehrmachtspitzen die Kapitulation zum ersten Mal unterzeichneten – am nächsten Tag noch einmal in Shukows Hauptquartier in Karlshorst – und weiter bis Buchenwald. Er beschreibt die Totenlandschaft, die einmal Deutschland gewesen war:
"Das Ende begann im Winter, dem schlimmsten Winter an der deutschen Front, an den man sich erinnern konnte. Ein weißes Leichentuch bedeckte alles, auf freien Flächen lag der Schnee anderthalb Meter hoch, und die Hecken bogen sich unter der Last… Der Krieg an der Ardennenfront schleppte sich zäh und träge dahin…"
Dann kommen die Amerikaner an das, was die NS-Propaganda die "Siegfriedlinie" genannt hatte:
"Jeder aufgegebene Bunker war nun ein Grab, geschwärzt durch Feuer und Sprengstoff. Ich habe nie gesehen, wie Flammenwerfer vor einer solchen Befestigung ihr Werk verrichteten. Aber Männer, die dabei waren, erzählten mir, wenn die Panzer vorrückten, kamen die Deutschen entweder herausgelaufen und schrieen um Gnade, oder wenn sie drin blieben, hörte man keinen Ton von ihnen, und die Überreste wurden später auf Schaufeln und Planen heraus getragen"."
In einem thüringischen Salzbergwerk dann eine ganz andere Szene: Der Reporter ist dabei, als die Schätze der Reichsbank gefunden werden, nicht nur tausende Tonnen Gold und Säcke voll Banknoten, das meiste geraubt, sondern auch lange Ketten von Trauringen, die Häftlingen geraubt worden waren. Dann zeigt ein deutscher Museumskurator, neben ihm ein unrasierter Obergefreiter aus Maryland, was an Kunst so da war:
""Mit erschöpfender Höflichkeit zeigte er uns Kisten voller griechischer, ägyptischer und chinesischer Keramik, voller Gemälde von Menzel, Dürer, Manet, Constable, Raphael, Tizian, van Dyke, Truhen mit Manuskripten und Hinterlassenschaften von Goethe, Alben mit Radierungen; Stichen und Zeichnungen von alten Meistern aus aller Welt.""
An einem Morgen schaute sich White die Sammlung Görings an, alles vom Besten, manches bezahlt, vieles erpresst und geraubt. Die Beschreibung liest sich wie aus "Tausend und eine Nacht".
""Göring, das sympathische Ungeheuer, hatte seine Beute in ein Loch geschafft, wo Wasser unbezahlbare Gemälde zerstörte, Metall angriff und in das Holz alter Rahmen eindrang. Der Instinkt ist mächtig: Laufen und verstecken, vergraben. Alles vergraben – nur nicht die Gestalten im Kopf". "
White erfasst in seinen Reportagen die Tragödie ebenso wie das Farcenhafte solcher Untergänge. Man merkt, dass sie alle unmittelbar, tagebuchartig aufs Papier geworden wurden, manches Skizze, anderes langer Bericht für die Leser in Australien, die sich weder Totenwald noch Hexensabbat vorstellen konnten auf der anderen Seite der Erde. So wie die Heutigen mehr und mehr auf das Banale kommen, Hitler und die Frauen, Hitler und dies und Hitler und das: Am Ende wird alles verpoppt.
Damals aber war alles tödliche, widerwärtige, stinkende, schauerliche Realität, und nirgendwo mehr als in den Konzentrationslagern. White hatte zuvor einiges gelesen. Er ahnte Folterungen und massenhaften Tod. Aber er hielt alles für übertrieben.
""Ich argwöhnte, dass die Propaganda die Grausamkeit eines sadistischen Systems der Behandlung politischer Gefangener übertrieben und entstellt hatte. Die Horrorgeschichten von 1914 kamen mir in den Sinn…."
Dann aber kamen die vorrückenden amerikanischen Kolonnen nach Weimar, und dann öffnete sich die Hölle von Buchenwald. Die Beschreibung, mit graphischen Details, sprengt die Vorstellungskraft:
"In der Luft hing der Geruch des Todes… Dann ging ich zurück in die Stadt, in der Goethe, Schiller und Liszt gelebt und gewirkt hatten"."
Die Todeslitanei hörte nicht auf. Irgendwann, schreibt White, habe er nicht mehr zuhören können, fühlte nicht mehr, und begann wieder zu denken.
""Diese Dinge waren geschehen, sie waren real. Sie ließen sich nicht mehr bestreiten. Sie waren in einem Ausmaß geschehen, das jedes Vorstellungsvermögen überstieg. Jetzt war nichts mehr zu ändern. Zu gegebener Zeit würde man sie anhören, einordnen, analysieren in einer entsetzlichen Anklage gegen eine ganze Nation, gestützt durch unwiderlegliche Beweise der Grausamkeit."
Aber White ist nicht ungerecht, er wollte auch in den Aufzeichnungen von 1945 nichts von Kollektivschuld wissen:
"Mit Folter und Mord hatten die Nazis jeglichen Widerstand im Dritten Reich unterdrückt". "
Dieser Journalist aus Australien war ein unbestechlicher Beobachter. Er hat in jenen drei Monaten der Agonie und des Sterbens viel gesehen, auch die deutsche Kapitulation in Reims, die er folgendermaßen lakonisch beschreibt:
""Jodl und Friedeburg gingen mit schnellen, nervösen Schritten zu dem Tisch. Einen Augenblick standen sie in Achtungstellung, dann signalisierte ihnen Bedell Smith mit einem leichten Nicken, das sie die Plätze ihm gegenüber einnehmen sollten. Sie setzten sich, und Bedell Smith fragte mit leiser Stimme, ob sie die Dokumente vollständig verstanden hätten, die hier unterzeichnet werden sollten. Sie murmelten Zustimmung."
Dann folgte die Unterzeichnung, und White schildert sie mit der gleichen klinischen Nüchternheit wie Kampf und Gräuel zuvor:
""Die Russen ließen sich als einzige nicht die Spur von Genugtuung anmerken. Sie saßen vollkommen regungslos da, den Brustkorb vorgeschoben. Ihre leicht schrägen Augen waren ganz schmal geworden und ruhten fest auf den Händen der Deutschen. Und dann war alles vorbei"."
Dann kommen die Amerikaner an das, was die NS-Propaganda die "Siegfriedlinie" genannt hatte:
"Jeder aufgegebene Bunker war nun ein Grab, geschwärzt durch Feuer und Sprengstoff. Ich habe nie gesehen, wie Flammenwerfer vor einer solchen Befestigung ihr Werk verrichteten. Aber Männer, die dabei waren, erzählten mir, wenn die Panzer vorrückten, kamen die Deutschen entweder herausgelaufen und schrieen um Gnade, oder wenn sie drin blieben, hörte man keinen Ton von ihnen, und die Überreste wurden später auf Schaufeln und Planen heraus getragen"."
In einem thüringischen Salzbergwerk dann eine ganz andere Szene: Der Reporter ist dabei, als die Schätze der Reichsbank gefunden werden, nicht nur tausende Tonnen Gold und Säcke voll Banknoten, das meiste geraubt, sondern auch lange Ketten von Trauringen, die Häftlingen geraubt worden waren. Dann zeigt ein deutscher Museumskurator, neben ihm ein unrasierter Obergefreiter aus Maryland, was an Kunst so da war:
""Mit erschöpfender Höflichkeit zeigte er uns Kisten voller griechischer, ägyptischer und chinesischer Keramik, voller Gemälde von Menzel, Dürer, Manet, Constable, Raphael, Tizian, van Dyke, Truhen mit Manuskripten und Hinterlassenschaften von Goethe, Alben mit Radierungen; Stichen und Zeichnungen von alten Meistern aus aller Welt.""
An einem Morgen schaute sich White die Sammlung Görings an, alles vom Besten, manches bezahlt, vieles erpresst und geraubt. Die Beschreibung liest sich wie aus "Tausend und eine Nacht".
""Göring, das sympathische Ungeheuer, hatte seine Beute in ein Loch geschafft, wo Wasser unbezahlbare Gemälde zerstörte, Metall angriff und in das Holz alter Rahmen eindrang. Der Instinkt ist mächtig: Laufen und verstecken, vergraben. Alles vergraben – nur nicht die Gestalten im Kopf". "
White erfasst in seinen Reportagen die Tragödie ebenso wie das Farcenhafte solcher Untergänge. Man merkt, dass sie alle unmittelbar, tagebuchartig aufs Papier geworden wurden, manches Skizze, anderes langer Bericht für die Leser in Australien, die sich weder Totenwald noch Hexensabbat vorstellen konnten auf der anderen Seite der Erde. So wie die Heutigen mehr und mehr auf das Banale kommen, Hitler und die Frauen, Hitler und dies und Hitler und das: Am Ende wird alles verpoppt.
Damals aber war alles tödliche, widerwärtige, stinkende, schauerliche Realität, und nirgendwo mehr als in den Konzentrationslagern. White hatte zuvor einiges gelesen. Er ahnte Folterungen und massenhaften Tod. Aber er hielt alles für übertrieben.
""Ich argwöhnte, dass die Propaganda die Grausamkeit eines sadistischen Systems der Behandlung politischer Gefangener übertrieben und entstellt hatte. Die Horrorgeschichten von 1914 kamen mir in den Sinn…."
Dann aber kamen die vorrückenden amerikanischen Kolonnen nach Weimar, und dann öffnete sich die Hölle von Buchenwald. Die Beschreibung, mit graphischen Details, sprengt die Vorstellungskraft:
"In der Luft hing der Geruch des Todes… Dann ging ich zurück in die Stadt, in der Goethe, Schiller und Liszt gelebt und gewirkt hatten"."
Die Todeslitanei hörte nicht auf. Irgendwann, schreibt White, habe er nicht mehr zuhören können, fühlte nicht mehr, und begann wieder zu denken.
""Diese Dinge waren geschehen, sie waren real. Sie ließen sich nicht mehr bestreiten. Sie waren in einem Ausmaß geschehen, das jedes Vorstellungsvermögen überstieg. Jetzt war nichts mehr zu ändern. Zu gegebener Zeit würde man sie anhören, einordnen, analysieren in einer entsetzlichen Anklage gegen eine ganze Nation, gestützt durch unwiderlegliche Beweise der Grausamkeit."
Aber White ist nicht ungerecht, er wollte auch in den Aufzeichnungen von 1945 nichts von Kollektivschuld wissen:
"Mit Folter und Mord hatten die Nazis jeglichen Widerstand im Dritten Reich unterdrückt". "
Dieser Journalist aus Australien war ein unbestechlicher Beobachter. Er hat in jenen drei Monaten der Agonie und des Sterbens viel gesehen, auch die deutsche Kapitulation in Reims, die er folgendermaßen lakonisch beschreibt:
""Jodl und Friedeburg gingen mit schnellen, nervösen Schritten zu dem Tisch. Einen Augenblick standen sie in Achtungstellung, dann signalisierte ihnen Bedell Smith mit einem leichten Nicken, das sie die Plätze ihm gegenüber einnehmen sollten. Sie setzten sich, und Bedell Smith fragte mit leiser Stimme, ob sie die Dokumente vollständig verstanden hätten, die hier unterzeichnet werden sollten. Sie murmelten Zustimmung."
Dann folgte die Unterzeichnung, und White schildert sie mit der gleichen klinischen Nüchternheit wie Kampf und Gräuel zuvor:
""Die Russen ließen sich als einzige nicht die Spur von Genugtuung anmerken. Sie saßen vollkommen regungslos da, den Brustkorb vorgeschoben. Ihre leicht schrägen Augen waren ganz schmal geworden und ruhten fest auf den Händen der Deutschen. Und dann war alles vorbei"."

Osmar White: Die Straße des Siegers (Coverausschnitt)© Piper Verlag