Oskar Schlemmer

Wahrhaft modern

Besucher sehen sich am 20.11.2014 in Stuttgart (Baden-Württemberg) in der Ausstellung "Oskar Schlemmer - Visionen einer neuen Welt" in der Staatsgalerie das Gemälde "Bauhaustreppe" (1932) von Oskar Schlemmer an.
Besucher in der Stuttgarter Staatsgalerie vor einem der berühmtesten Schlemmer-Gemälde: "Bauhaustreppe" © picture alliance / dpa /Bernd Weißbrod
Von Carsten Probst · 21.11.2014
Oskar Schlemmer ist vor allem als Bauhaus-Künstler bekannt. Er zählt zu den wichtigsten Vertretern der Moderne, doch sein Werk war wegen eines Dauerstreit der Erben lange nicht zu besichtigen. Jetzt zeigt die Stuttgarter Staatsgalerie eine große Retrospektive.
Erst das Auslaufen der Urheberrechte des Künstlers und seiner Erben nach der Gesetzesfrist von siebzig Jahren am 1. Januar 2014 ermöglichte diese große, so lang erwartete Stuttgarter Schau. Sie fällt in eine Zeit, in der Museen in Europa sich im großen Stil daranmachen, die gesamte Moderne noch einmal neu zu kartieren. Oskar Schlemmers Werk tauchte dabei oft nur im Zusammenhang mit den Bühnenexperimenten des Bauhauses auf. Sein "Triadisches Ballett" und seine aus geometrischen Körpern zusammengesetzten Figurinen wurden zu immer wieder zitierten Inbildern für sein Werk. Wie Schlemmer jedoch wurde, was er war, wie er früh Grundformen einer Geometrie der menschlichen Figur anlegte und seine Gesellschaftsutopien daraus entwickelte, dafür fehlten bislang vielfach die Zeugnisse und Bildbelege infolge des unseligen Erbenstreits.
"In den frühen Werken sieht man nun, wie er diese Grundform zunächst in einer Flächenstruktur sozusagen darlegt, um dann sukzessive diese Figur, diese Kunstfigur, wie er sagt, in den Raum zu stellen, so dass das Thema Figur und Raum (…) zu seinem großen Anliegen wird, das er immer weiter und kosmischer interpretiert, auslegt und dann auch seinen Studenten am Bauhaus vermittelt."
Anfänge in Stuttgart und Bauhaus
Ina Conzen, die Kuratorin dieser mit 270 Werken wahrhaft reichhaltig bestückten Retrospektive, hat den künstlerischen Lebensweg Schlemmers anhand von sechs Stationen nachgezeichnet, angefangen bei den frühen Arbeiten aus Schlemmers Zeit an der Stuttgarter Kunstakademie und seinen ersten Inspirationen durch die Avantgarden der Moderne, die er 1911 und 1912 in Berlin auffing, vor allem im Kreis von Herwarth Waldens Galerie "Der Sturm".
Der Erste Weltkrieg, den er nach einer Verletzung weitgehend abseits der Front übersteht, lässt ihn eine Vision einer neuen Welt entwickeln, die fortan seine Kunst prägen wird, insbesondere auch während seiner Zeit am Bauhaus, an das er 1921 von Walter Gropius berufen wird. Er forscht an einer Malerei, die Abstraktion und Figuration verbindet, moderne Maschinenwelt und zeitlose Stille, rationale Konstruktion und geradezu mystische Transzendenz.
"Er möchte eine Synthese zwischen Abstraktion und Naturalismus schaffen. Er möchte Leitbilder für eine ideale Welt kreieren, Vorwegnahmen des Idealen, wie er mal gesagt hat (…) zumal Schlemmer sich nicht nur mit der Tradition der Kunst auseinandergesetzt hat, sondern auch mit der Literatur. Man sieht zunächst harmonische Bildräume mit stillen, überindividuellen Gestalten, die nicht aus Fleisch und Blut zu sein scheinen, eine ideale Welt, die auch ein wenig hermetisch wirkt."
Loslösung vom bürgerlichen Kunstkonzept
Die berühmte Bauhaus-Treppe, jenes Gemälde aus dem New Yorker MoMA, das wie kein anderes zum Inbegriff von Schlemmers Werk dieser Jahre geworden ist, bildet dieses Gleichmaß aller Elemente geradezu kanonisch gültig ab: Die aufstrebende Jugend im Bau der Zukunft – und doch ist es kein Programmbild, schon gar keine politische Vision, sondern Veranschaulichung reinen Denkens, einer Ästhetik der Zukunft, die sich vom bürgerlichen Konzept der Kunst löst. In der der Künstler nicht als individuelles Genie auftritt, sondern als Teil eines Kollektivs aus Körpern, die sich in ihrer Standardisierung vergeistigen. Die Malerei reichte Schlemmer immer wieder nicht, um diese Vision tatsächlich umzusetzen. Bühne, Tanz, Bewegung schienen ihm die zeitgemäßen Medien der neuen Zeit zu sein.
"Etwas, was seinerzeit am Bauhaus nicht unumstritten war, denn man sah dieses auch als durchaus konservative Geschichte: Wieder die Figuration, wieder die Tiefenräumlichkeit (…) zu thematisieren. Dem hielt Schlemmer entgegen, dass er eben nicht abstrakt sein möchte, er möchte allgemein verständlich sein."
Überleben unter den Nazis
Als Schlemmer von den Nationalsozialisten als Künstler geächtet und seine Kunst als kulturbolschewistisch und damit als entartet eingestuft wird, wird er persönlich und in seiner Arbeit tief erschüttert. Ihm kann nicht entgehen, dass die Nazis seine Utopie travestieren, dass sie den abstrakten, maschinenhaften Körper in ihren Reichsparteitagen selbst zu einer anonymen Masse formen, nur unter dem Mystizismus des Nationalen. Seine Bilder werden düsterer, melancholischer, er muss seinen Lebensunterhalt gemeinsam mit Künstlerkollegen wie Willi Baumeister als Anstreicher verdienen. Seine schwere Erkrankung und sein Tod in den frühen vierziger Jahren können als Folge der inneren Erschütterung gelten.
In ihrer ganzen Breite berichtet die Stuttgarter Ausstellung über weit mehr als über ein einflussreiches, herausragendes künstlerisches Werk. Durch Oskar Schlemmers Bilder erstrahlt die Moderne in der ganzen ambivalenten Pracht ihrer Zeit.
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