Orthodoxe Kirche

Putins religiöse Dienerin und Einpeitscherin

Russlands Präsident Wladimir Putin trifft am 18. Juli 2014 Bischöfe der orthodoxen Kirche in der Nähe von Moskau, um den 700. Geburtstag des Heiligen Sergius von Radonesch zu feiern.
Der russische Präsident Putin mit russisch-orthodoxen Bischöfen in Possad © dpa / Mikhail Klimentiev
Von Jörg Himmelreich · 10.04.2015
Die orthodoxen Christen in Russland und Griechenland feiern erst am kommenden Sonntag Ostern. Wladimir Putin wies darauf hin, als er Alexis Tsipras in Moskau empfing. Überhaupt zieht Putin das Religiöse ins Kalkül. Die Kirche dankt es ihm mit Staatstreue.
Ostern ist populär in Russland. Millionen von Menschen feiern das höchste Fest der Orthodoxie in unzähligen Gotteshäusern und Klöstern. So wie die Liturgie, so symbolisch glanzvoll verlief auch die Wiederauferstehung der Kirche. Ob Pope, Mönch oder Metropolit, ein wenig feiern sie sich auch immer wieder selbst – und den Einfluss, den sie sich zurückgeholt haben.
Sie füllen den ideologisch-entleerten Raum der nachkommunistischen Zeit mit religiösen Riten, mit Glauben und Tradition, haben Balsam für die verwundete russische Seele – und ihr orthodoxer Segen ist unter der politischen Elite begehrt wie lange nicht, besonders vor laufenden Kameras.
Ihr Verhältnis zum Staat war seit je her ein fundamental anderes als das der Kirchen in Westeuropa. Verfolgung und Enteignung in der Sowjetzeit nehmen sich dagegen nur als vergleichsweise kurze Unterbrechung von 70 Jahren aus. Wir haben verkannt, wie sehr die politische Theologie das Selbstverständnis Russlands auch heute immer noch prägt.
Putins Wertekanon ist ohne die Orthodoxie nicht zu verstehen
Geschickt hat Wladimir Putin auch die russisch-orthodoxen Christen außerhalb Russlands unter seinen Schutz gestellt. Ohne den religiösen Einfluss zu bedenken, ist sein expansionistisches Bestreben nämlich nicht zu verstehen, vor allem nicht die Resonanz, die er damit unter seinen Landsleuten findet.
Der Orthodoxie hat er den Wertekanon entlehnt, aus dem heraus er dem Westen einen konservativen Gegenentwurf präsentierte. Dieser Gegenentwurf, soll das verlorene sowjetische Selbstbewusstsein kurieren. Nebenbei hilft er eine nicht gewünschte Moderne zu verweigern sowie eine aufmüpfige Opposition zu kujonieren.
Es war der Kiewer Fürst Wladimir, der im Jahre 988 den byzantinischen Glauben annahm. Dieser verbreitete sich schnell und stiftete in den Wirren und Kämpfen der Kiewer Rus eine gemeinsame Identität. Wer sich als wahrer Russe versteht, bekennt sich zur orthodoxen Kirche.
Deren politische Theologie kennt nicht die westeuropäische Trennung von Staat und Kirche, sondern lebt das Prinzip der "Symphonia", das gleichsam ein Pakt mit den jeweils Mächtigen bedeutet. Schon die Kiewer Fürsten verstanden sich als Schutzherrn der Kirche. Später wurde der Zar als Vertreter Gottes auf Erden angesehen – und fortan die Autokratie auch religiös gerechtfertigt.
Nach dem Fall von Byzanz gefiel sich Moskau als das "Dritte Rom", das den heilsgeschichtlichen Auftrag habe, die Welt zu erlösen. Das elitäre Auserwähltsein begründete machtpolitische Ausdehnungen russischer Herrscher nun gleichsam als orthodoxe Mission. Nach innen erschöpft es sich darin, sich gleichermaßen staatshörig wie politisch unterwürfig zu verhalten.
Weltabgewandte Innerlichkeit stiftet mystisches Gemeinschaftserlebnis
Der Klerus hängt an alten Zeiten, lässt sich mehr verehren, als sich den Sorgen und Nöten seiner Gemeindemitglieder zu öffnen. Es sind nur wenige Priester, die gesellschaftliche Missstände öffentlich kritisieren. Nicht die Predigt steht im Vordergrund der mehrstündigen Liturgie, sondern altrussische Kirchengesänge, die ein mystisches Gemeinschaftserlebnis schaffen – im Angesicht der Ikonen von Engeln und Heiligen.
Wer diese weltabgewandte Innerlichkeit stört wie die feministische Punk-Rock-Band "Pussy Riot", wer sich nicht der gesellschaftlichen Konvention beugt wie bekennende Homosexuelle, der erfährt durchaus einen mitunter unchristlichen Zorn der Kirchenoberen. Doch dieser richtet sich ja keinesfalls gegen die Politik, sondern gegen etwas Böses von außen, gegen westliche Dekadenz beispielsweise.
Wenn dann Kyrill, dem Patriarchen von Moskau, nachgewiesen wird, eine 30.000-Dollar-Armbanduhr aus einem Porträtfoto retuschiert zu haben, dann allerdings trifft den obersten Popen die volle Verachtung der orthodoxen Russen. Nicht ihm, sondern Wladimir Putin gestanden sie jüngst bei einer Umfrage die höchste moralische Autorität zu. Wen wundert's?

Jörg Himmelreich schreibt als Autor für die "Neue Zürcher Zeitung" und forscht zu kulturgeschichtlichen und außenpolitischen Themen Russlands und Asiens. Er war Mitglied des Planungsstabs des Auswärtigen Amts in Berlin sowie Gastdozent und politischer Berater in Washington, Moskau, London und ist Senior Transatlantic Fellow des German Marshall Fund of the United States in Berlin.

© Peter Ptassek
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