"Orpheus in der Neuen Welt"

Von Bernhard Doppler |
In Cooperstown, im Land, in dem auch John Fennimore Coopers Lederstrumpf spielt, 150 Meilen nordwestlich von New York, findet seit den 80er Jahren das wichtigste US-Opernfestival statt. Buchstäblich auf der grünen Wiese, in einem auf einer ehemaligen Truthahnfarm neu errichteten Opernhaus werden dort Jahr für Jahr vier bis fünf neue Produktionen gezeigt.
Die typische Glimmerglass-Mischung: eine zeitgenössische amerikanische Oper, eine Barockoper, eine "Operette", eine Ausgrabung und ein bekannteres Werk hat der neue Leiter Michael Mc Leord an eine gemeinsame Figur gebunden. 400 Jahre nach der Uraufführung von Monteverdis "Orfeo" in Mantua, der ersten erhaltenen Oper, werden in Glimmerglass fünf Orpheus-Opern gezeigt. Orpheus in der Neuen Welt also.

Die zeitgenössische Oper stammt von Philipp Glass. Glass, dessen 70. Geburtstag in Glimmerglass gefeiert wurde, scheint nun endlich auch in seiner Heimat, beim amerikanischen Publikum inzwischen gut anzukommen und sein Musikstil akzeptiert zu werden: musikalisch sehr gefällig, doch selten in die Tiefe dringend. Sehr umstritten in den USA dagegen, aber von europäischer Sicht wohl der Höhepunkt, Monteverdis Orfeo: Es ist "Regietheater" – der deutsche Begriff hat bereits Eingang in den englischen Wortschatz gefunden – Christopher Alden, ein Bruder des auch in Deutschland, etwa in München inszenierenden David Alden, hat Regie geführt. Keine Liebesgeschichte zwischen Orpheus und Eurydice, sondern die Geschichte eines Künstlers, eines Rocksängers wohl, angesiedelt in einer Hotellobby. Monteverdi: der Anfang der Oper und gleichzeitig das aktuellste Werk, voll Ironie, geradezu postmodern. Das vorzügliche sehr dynamische mit alten Instrumenten agierende Festspielorchester unter Antony Walker hat den Klang auf gewaltige Saiteninstumente fokussiert, Lyra und Harfe, und ihn so zwischen Barock und beinahe ein wenig Rockmusik schweben lassen. Im Mittelpunkt vor allem die Stimme des Sängers – Michael Slattery ein Entertainer mit höchster Präsenz, wie neu entsteht die Stimme im Raum, entwickelt sich voll innerer Dramatik und Spannung. Überhaupt die Sänger! Orpheus also durchaus im Mittelpunkt. Die Opernsänger-Ausbildung in den USA – das sieht man auch an dem Glimmerglass angeschlossenem "Young Artist Programm" ist auf höchstem Niveau, was ja auch immer wieder europäischen Opernhäusern zugute kommt, doch trotz aller Globalisierung, die Opernwelten in den USA und Europa scheinen abgeschottet. Die meisten Stars sind nur auf einer Seite des großen Teichs bekannt. Wohl auch in Europa eine Sensation: die junge Koloratursporanist Sarah Coburn als Eurydice in Haydns Orpheus Oper (Lánima dell Filosofo) oder der in den USA viel bestaunte männliche Sopran Michael Minaci, der Glucksche "Orpheus", obwohl Mitte 20 hatte er noch keinen Stimmbruch, doch als male soprano einen wahrlich die Unterwelt betörenden Gesang.

"Dont look back.” Schau nicht zurück. Das ist das Motto, das McLeod, neuer Intendant für Glimemerglass gewählt hat, der Befehl, des Totenreichs an den Sänger. Für ein Festival das 400 Jahre Oper erinnern will, ein merkwürdiger Leitspruch. Typisch amerikanischer Zukunftsoptimismus? Montverdis Orfeo wird von der Neuen Welt in die Alte zurückkehren, nämlich 2008 nach Oslo. Die Glimmerglass-Produktion ist eine Koproduktion für die Eröffnung des Osloer Opernhauses, des ersten frei stehendes Opernhauses in Norwegen übrigens.