Ornithologe sorgt sich um schrumpfende Pinguin-Bevölkerung in der Antarktis

Hans-Ulrich Peter im Gespräch mit Dieter Kassel · 08.05.2012
1.500 Adeliepinguine lebten vor 15 Jahren auf einer Insel am Rand der Antarktis, die Hans-Ulrich Peter vom Institut für Ökologie der Universität Jena untersucht - heute sind es nur noch 300. "Weniger Eis, weniger Algen, weniger Krill, und damit kommt es einfach dazu, dass die Pinguine weniger Nahrung finden und dann nicht brüten", sagt der Ornithologe.
Dieter Kassel: Die Antarktis ist eine der letzten fast unberührten Naturlandschaften der Erde. Allerdings keine sehr einladende. Temperaturen von minus 20, minus 30, minus 40 Grad sind da ganz normal. Und die kälteste je gemessene Temperatur in der Antarktis, 1983 wurde die gemessen, die betrug sagenhafte 89,2 Grad, minus 89,2 natürlich. Der Ornithologe Hans-Ulrich Peter vom Institut für Ökologie der Universität Jena findet diese Gegend faszinierend. Er ist in den vergangenen rund 30 Jahren schon 22 Mal dort gewesen, und im Herbst, wenn auf der Südhalbkugel der Frühling ausbricht, dann fährt er wieder hin. Jetzt aber ist er in Jena und für uns am Telefon. Schönen guten Morgen, Herr Doktor Peter!

Hans-Ulrich Peter: Guten Morgen!

Kassel: Was, glaube ich, jeder weiß, ist, dass am Südpol verschiedene Pinguinarten leben. Aber reden wir doch erst mal über andere Vögel, kleinere Vögel. Welche gibt es denn dort bei diesen widrigen Klimabedingungen überhaupt?

Peter: Der kleinste Vogel ist die Buntfußsturmschwalbe, die wiegt also nur 35 Gramm, das heißt also, ein bisschen mehr als ein Sperling. Daneben noch andere Sturmvögel, Sturmtaucher, die dann etwa 100 Gramm Masse erreichen, zum Beispiel der Kapsturmvogel. Und größer sind dann die Raubmöwen, die Skuas, mit anderthalb Kilo, und Möwen mit etwa einem Kilogramm Körpergewicht, um nur einige zu nennen.

Kassel: Wenn wir mit den ganz kleinen anfangen, da würde ich mir vorstellen, bei -40 Grad, da frieren die einfach weg. Wie halten die solche Temperaturen aus?

Peter: Ja, also wenn minus 40 Grad sind, dann sind die im Norden. Das heißt also, im Winter ziehen die von der Antarktis weg, erreichen sogar die Nordhalbkugel, und im Sommer sind die Temperaturen dort, wo sie brüten, um den Nullpunkt, das heißt also, nicht ganz so extrem. Und die Altvögel müssen deswegen relativ viel fressen und viel Nahrung für das Junge bringen, das einzige, was sie ausbrüten. Und da gibt es nur eine spezielle Strategie: Das Junge fällt in eine Art Kältestarre, wenn die Altvögel nicht da sind, und wird dann erst, wenn die Altvögel wieder auftauchen, erweckt, das heißt also, der Stoffwechsel geht hoch und dann kann es erst fressen.

Kassel: Hat das nicht auch Nachteile? Haben diese Vögel keine Feinde? Ich könnte mir vorstellen, dass ein Vogel, der in dieser Kältestarre ist, doch auch nicht einfach abhauen kann, wenn jemand kommt.

Peter: Das stimmt. Sie haben aber den Vorteil, dass sie in Höhlen brüten, und da kommen die Raubmöwen in der Regel nicht rein. Man muss also dann schon einen halben Meter mindestens hinein fassen, um überhaupt den Vogel zu finden. Und das macht eine Raubmöwe in der Regel nicht.

Kassel: Wie sieht es denn mit den größeren Vögeln aus, die Sie schon erwähnt haben, bleiben die auch im kalten Winter in der Antarktis?

Peter: Ein Teil bleibt da, zum Beispiel Möwen, die bleiben am Eisrand, während die Raubmöwen, die Skuas, in Richtung Norden ziehen, die Braunskuas bis Argentinien etwa, und, wie wir mit unseren kleinen Loggern herausbekommen haben, die Südpolarskuas bis zur Nordhalbkugel, sie ziehen also im Nordatlantik und Nordpazifik.

Kassel: Wie halten die denn, wenn sie nun wirklich mal Temperaturen von minus 40 Grad ausgesetzt sind, das aus? Die haben ja nun, anders als wir, nun nicht einfach tolle, moderne Jacken, mit denen sie sich schützen können, und die können doch auch eigentlich nirgendwo rein?

Peter: Paradebeispiel sind zum Beispiel die Kaiserpinguine, die bei minus 40 Grad hier noch brüten. Man muss erst einmal sagen, sie haben viel mehr Federn pro Quadratzentimeter als ein normaler Vogel, 12 bis 15 etwa, während normale Vögel etwa die Hälfte haben. Dann isoliert natürlich eine Fettschicht, aber noch mehr als diese Fettschicht wirklich die Luft zwischen den einzelnen Federpartien. Und sie erreichen es dadurch, dass sie in einem dichten Pulk stehen und dann im Prinzip rotieren. Das heißt also, dass jeder mal draußen ist, jeder mal drinnen ist, und dadurch ideal geschützt ist gegen die niedrigen Temperaturen.

Kassel: Das heißt, bei diesen Pinguinen ist das so eine Art Sozialverhalten gegen die Kälte?

Peter: Ja. Ja, wobei sie trotzdem in den zwei Monaten, in denen sie brüten, etwa 12 Kilogramm Gewicht verlieren.

Kassel: Wie machen die das denn aus, wer gerade dran ist? Also kann sich da auch jemand drücken? Haben Sie mal beobachtet, dass der eine oder andere Pinguin immer in der Mitte steht?

Peter: Ja, das Problem ist, dass man sie natürlich nicht individuell unterscheiden kann. Wenn man aber eine Zeitrafferkamera hat und Aufnahmen macht, sieht man, dass das Ganze rotiert und damit automatisch derjenige, der außen ist, auch mal nach innen kommt und umgekehrt.

Kassel: Nun haben Sie erwähnt, oder habe ich das missverstanden, diese Pinguine, die Kaiserpinguine, die brüten im Winter?

Peter: Ja. Einfach deswegen, weil der Sommer viel zu kurz ist. Das würden sie nicht schaffen. Sie brauchen allein zwei Monate, um das Ei auszubrüten, und der Sommer ist ja gar nicht viel länger. Und das Junge braucht dann ein halbes Jahr, um überhaupt einigermaßen dann selbstständig zu sein, wobei es dann im November, Dezember noch nicht die Größe und die Masse der Altvögel hat, aber dann schon selbstständig ist.

Kassel: Aber wie brütet man so ein Ei bei diesen Temperaturen im Winter denn überhaupt aus? Wie machen die das?

Peter: Das Ei befindet sich auf den Füßen in einer Hautfalte.

Kassel: Wie läuft es denn zu dieser Zeit mit der Ernährung? Ich könnte mir vorstellen, dieses Ei überhaupt auszubrüten, ist eine, ja das würde man bei einem Menschen einen Fulltimejob nennen. Haben die überhaupt noch Zeit, unter diesen Bedingungen dann irgendwas zu finden, was sie fressen können?

Peter: Nein. Das Meer, in dem sie Nahrung finden würden, ist dann ungefähr 100 Kilometer entfernt, das heißt also, das Weibchen übergibt im Herbst an das Männchen das Ei. Das Weibchen verschwindet im Meer, muss also Dutzende Kilometer laufen und kommt dann erst zurück, wenn der Jungvogel schlüpft. Und dann muss praktisch das Männchen ins Meer, denn es hat nur noch für zwei, drei Tage Nahrung, das er dem Jungvogel übergeben kann.

Kassel: Wir reden heute Vormittag im Deutschlandradio Kultur mit dem Ornithologen Hans-Ulrich Peter von der Universität Jena. Seit rund 30 Jahren fährt er regelmäßig in die Antarktis, um dort verschiedene Vogelarten zu beobachten. Das ist ja schon ein relativ langer Zeitraum, 30 Jahre. Wir haben es gesagt, Sie sind so rund 22, 23 mal schon dagewesen. Haben Sie in der Zeit auch schon irgendwelche Veränderungen beobachtet oder kann man aus Zahlen entnehmen, dass sich auch an diesem kältesten Ort der Erde schon der Klimawandel in irgendeiner Form auswirkt?

Peter: Ja, wir merken das sehr deutlich. Wir arbeiten ja am Rande der antarktischen Halbinsel auf einer Insel. Und der Westteil der antarktischen Halbinsel ist der Bereich auf der Südhalbkugel, in dem sich die Temperatur am schnellsten erhöht hat. Wir haben dort im Winter über 50 Jahre eine Temperaturerhöhung um fünf bis sechs Grad Celsius. Vergleichen Sie damit Mitteleuropa, da haben wir im Jahresgang in den letzten hundert Jahren vielleicht ein Grad, maximal zwei Grad Erhöhung. Also fast zehnmal mehr Temperaturerhöhung. Wir sehen es also am Zurückweichen der Gletscher auf unserer Insel, aber auch noch deutlicher, vor allem in den letzten 15 Jahren an den Pinguinen ganz speziell an den Adeliepinguinen. Deren Zahlen lagen bei etwa 1500 auf der Insel, die wir untersuchen, vor 15 Jahren, und sind jetzt auf gut 300 gesunken. Das ist eine deutliche Auswirkung des Klimawandels.

Kassel: Also hat es was damit zu tun, dass es diesen Pinguinen einfach zu warm wird oder ändern sich deren Nahrungsquellen? Was passiert da?

Peter: Ja, das ist eine ganz interessante Sache, und zwar im Winter gibt es nicht mehr ganz so viel Eis in diesem Gebiet. Und an der Unterseite des Eises befinden sich die Kieselalgen, eine kleine Alge, die wiederum die Hauptnahrung für den Krill, einen kleinen Krebs darstellt. Und dieser Krebs ist die Hauptnahrung der Adeliepinguine im Winter, oder überhaupt im Jahresgang. Das heißt also, weniger Eis, weniger Algen, weniger Krill und damit kommt es einfach dazu, dass die Pinguine weniger Nahrung finden und dann nicht brüten. Beziehungsweise, was auch festgestellt wurde, dass sie im Bereich der antarktischen Halbinsel weiter nach Süden wandern und ehemals extremere Flächen, die jetzt nicht ganz so extrem temperaturmäßig sind zum Brüten, auswählen.

Kassel: Das heißt also, dem Pinguin, auch wenn er natürlich flexibel sein muss - es gibt ja in der Antarktis auch Seegebiete, wo es im Sommer, also im Sommer der Südhalbkugel auch mal über null Grad werden kann. Dem Pinguin kann es durchaus zu warm werden?

Peter: Ja, natürlich. Also wenn es windstille Tage gibt, das sehen Sie im Sommer häufig, wenn die Jungen selbstständig werden, wenn es windstille Tage gibt und die Temperatur mal auf sechs Grad plus ansteigt, dann liegen sie da, strecken die Beine von sich, hecheln. Und es gibt nur wenige Stellen am Körper, wo sie überhaupt Wärme abgeben können, und das ist einmal über den Schnabel, und dann über die Beine, die nur teilweise befiedert sind an der Unterseite.

Kassel: Lassen Sie uns zum Schluss noch auf einen Vogel kommen, wir haben jetzt so viel über Pinguine geredet, auch verständlicherweise, ich glaub, beim Südpol denken ja auch immer alle Menschen zuerst an Pinguine, aber es gibt eine Vogelart, die heißt so, dieser Vogel heißt Scheidenschnabel, und es handelt sich um einen Kleptoparasiten. Das klingt so, als würde er, wenn er Mensch wäre, im Gefängnis sitzen. Was ist ein Kleptoparasit?

Peter: Ja. Das hängt mit dem Wort Klauen zusammen. Sie stehlen im Prinzip anderen Arten bei der Nahrungsübergabe die Nahrung. Ganz speziell machen sie das gern bei Pinguinen, bei Esel- oder Zügelpinguinen. Die füttern ihre Jungen, indem die Jungen dann aus dem Schnabel den Krill herausnehmen. Und was machen die Scheidenschnäbel? Sie fliegen dazwischen. Die Altvögel erschrecken, lassen den Krill fallen, und der Krill, der einmal auf dem Boden liegt, wird nicht mehr als Nahrung genutzt. Dann können sie ihn auffressen.

Kassel: Wie sehen die aus, wie habe ich mir so einen Scheidenschnabel vorzustellen?

Peter: Ja, wie eine etwas kurz geratene Taube mit einem kräftigen Schnabel. Ganz weiß gefärbt, hat einen etwas dunkleren Schnabel und gehört zu den Arten, die, wenn sie gefüttert werden, was eigentlich verboten ist, auch im Winter am Rande der Antarktis bleiben.

Kassel: Haben Sie selber direkt schon mal mit diesen Vögeln zu tun gehabt?

Peter: Ja. Wir haben also bei der Überwinterung von 1983 bis 1985 die Vögel im Winter regelmäßig gefangen, beringt, auch farblich markiert, und hatten dann Rückmeldungen von Nachbarstationen, wo sie dann auftauchten.

Kassel: Ist denn das immer angenehm? Denn Sie haben jetzt schon beschrieben, wie die die Nahrung klauen, oder, wenn ich das so richtig erfahren hab, die leben ja teilweise auch vom Kot von Seehunden und ähnlichem. Das heißt, man denkt sich immer, niedlicher weißer Vogel - der ist wahrscheinlich auch vom Geruch und vom Anfassen eher unangenehm.

Peter: Das ist sehr unangenehm. Wenn man die Tiere beringt und sie sind dann schon so braun gefärbt, weil sie Kot von Robben aufgenommen haben, dann kann es auch mal sein, wenn man in der Station solche Arbeiten macht, dass man einen Verweis von den Kollegen bekommt.

Kassel: Ich kann mir aber vorstellen, dass im Alltag, wenn man in den Forschungsstationen und rund um die Forschungsstationen in der Antarktis unterwegs ist, solche Vögel das kleinere Problem sind. Weil mich das alle gefragt haben, mit denen ich mich vorher über Sie unterhalten habe, gebe ich die Frage jetzt weiter: Gab es eigentlich bei Ihren zahlreichen Aufenthalten schon Tage, wo auch Ihnen zu kalt war, wo Sie gesagt haben, egal, was ich heute vorhabe, ich gehe mal nicht raus?

Peter: Das nicht. Es gibt eher ein anderes Problem. Wenn Sie unterwegs sind und das kann bei Temperaturen um null Grad sein, Sie haben Schneeregen, Sie haben starken Wind. Sie wollen Vögel beringen. Die Handschuhe sind nass. Die Hände sind gefroren. Und Sie müssen aber trotzdem in der Regel mit der Hand, ohne Handschuhe, hantieren, dann ist es doch sehr kalt und Sie möchten am liebsten alles hinwerfen. Aber - ja, dann muss man sich eben zusammenreißen und es geht weiter.

Kassel: Geht es ja seit 30 Jahren, insofern wird das auch weitergehen. Im Deutschlandradio Kultur war das der Ornithologe, vor allem spezialisiert auf das Gebiet des Südpols, Ornithologe an der Universität Jena, Hans-Ulrich Peter. Bei uns geht es natürlich auch weiter mit der Themenwoche "Die große Vogelschau". Wir werden uns heute Nachmittag, kurz nach den 14-Uhr-Nachrichten zum Beispiel beschäftigen mit dem Verschwinden der Wiesenvögel in Deutschland und Europa. Und alle unsere Themen finden Sie natürlich jederzeit auch im Internet unter dradio.de. Herr Peter, es ist vielleicht ein bisschen zu früh, jetzt, einige Monate vor Start, Ihnen eine gute Reise zu wünschen, insofern wünsche ich Ihnen mal umgekehrt, dass es Ihnen im thüringischen Sommer nicht zu warm wird dieses Jahr. Dankeschön für das Gespräch!

Peter: Ja, bitte!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Links auf dradio.de:

Da fliegen sie wieder! - Die Große Vogelschau im Deutschlandradio Kultur vom 7.-12. Mai