Orientierung der Partei für Rot-Grün "ist eindeutig"

Robert Habeck im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler · 26.04.2013
Auf der heutigen Delegiertenkonferenz der Grünen soll das Programm zur Bundestagswahl beschlossen werden. Die Frage nach dem Koalitionspartner sollte "möglichst knapp" behandelt werden, findet Schleswig-Holsteins Umweltminister Robert Habeck. "Aber die Aussage der Grünen- Spitzenkandidaten, die Orientierung der Partei, für Rot-Grün zu kämpfen, ist eindeutig". Weit entscheidender dabei seien die inhaltlichen Debatten.
Jan-Christoph Kitzler: Ein paar Besonderheiten gönnen sich die Grünen immer noch, Bundesparteitage zum Beispiel heißen Bundesdelegiertenkonferenzen. Ab heute beginnt mal wieder eine im Berliner Velodrom. Dort sollen die 820 Delegierten unter anderem das Wahlprogramm beschließen für die Bundestagswahl im Herbst, und bei über 2.600 Änderungsanträgen merkt man schon, da gibt es noch erheblichen Diskussionsbedarf. Die Frage ist zum Beispiel, mit welchem Partner und mit welchen Themen die Grünen wieder Aussicht darauf haben, im Bund an die Regierung zu kommen. Darüber spreche ich jetzt mit dem Grünen-Politiker Robert Habeck. Er ist stellvertretender Ministerpräsident und Umweltminister von Schleswig-Holstein. Schönen guten Morgen, Herr Habeck!

Robert Habeck: Hallo, guten Morgen!

Kitzler: Im Entwurf zu Ihrem Wahlprogramm, das Sie ja beschließen wollen, steht der Satz: "Wir kämpfen in diesem Bundestagswahlkampf für starke Grüne in einer Regierungskoalition mit der SPD, weil wir in diesem Regierungsbündnis die besten Chancen sehen, den grünen Wandel umzusetzen." Wie viel Diskussion wird es darüber noch geben?

Habeck: Darum wird es sicherlich Diskussionen geben, auch, weil das scheinbar die spannendste Frage ist. Man kann die so schön, wenn ich das mit Verlaub sagen darf, auch etwas plump zuspitzen, es ist aber ja überhaupt nicht die entscheidende Frage für die Aufstellung der Grünen-Partei, sondern die inhaltlichen Debatten sind ja weit entscheidender, auch, sollten die Grünen an die Regierung kommen, für die Umsetzung dieser Inhalte. Aber klar, die Erwartung wird sein, die Grünen zerlegen sich über ihre Koalitionsfragendebatte, und deswegen wird das - das ist ja Ihre Frage - darüber Debatten geben. Ich hoffe, möglichst wenig und möglichst kurz und möglichst knapp.

Kitzler: Viele haben ja Bauchschmerzen mit dem Spitzenkandidaten der SPD, mit Peer Steinbrück, der nicht gerade zum linken Flügel seiner Partei gehört. Wie halten Sie es, oder ist das unwichtig auch?

Habeck: Für mich ist es unwichtig, und ich glaube, für die Grünen inzwischen auch. Es gab ja durchaus Stimmen, als Peer Steinbrück Spitzenkandidat wurde, wo wir aus der Vergangenheit in NRW zum Beispiel gesprochen haben und gesagt haben: Na ja, war nicht immer nur einfach. Und klar gibt es auch immer noch Differenzen zur SPD, sonst wäre es ja auch witzlos, dann könnte die SPD ja bei den Grünen komplett eintreten oder meinetwegen auch andersrum. Ich habe das gerade in der Energiepolitik noch einmal erlebt, das war nicht nur leicht mit der SPD, aber die Aussage der Grünen und der Grünen-Spitzenkandidaten, die Orientierung der Partei, für Rot-Grün zu kämpfen, ist eindeutig, und dann kann man nur darum werben, die Grünen möglichst stark zu machen, um vernünftige Politik durchzusetzen.

Kitzler: So ganz unwichtig ist die Frage natürlich nicht, nicht? Man muss ja überlegen, mit wem man seine Politik umsetzen kann am besten.

Habeck: Ja, die Überlegung ist abgeschlossen, und das ist die SPD.

Kitzler: Kommen wir mal zu den Sachthemen: vor dem Parteitag schon gab es Streit um die Steuerpläne der Grünen. Winfried Kretschmann, Ministerpräsident in Baden-Württemberg, hat einen offenen Brief geschrieben gegen die geplante Vermögenssteuer. Bricht da vielleicht etwas wieder auf, das man so langsam überwunden glaubte, die alten Gräben zwischen Fundies und Realos, auch wenn die heute vielleicht anders heißen?

Habeck: Da bin ich mir nicht sicher. Kretschmann hat natürlich Punkte zu Recht angesprochen, andererseits hat die Partei sich sehr lange mit dieser Frage beschäftigt. Das ist ja nicht zum ersten Mal auf diesem Programmparteitag, dass darüber gestritten und auch abgestimmt wird, sondern auf dem Bundesparteitag in Kiel vor zwei Jahren - ist es jetzt bald her - war diese Debatte schon virulent, und wir haben uns da sehr bewusst entschieden, Steuererhöhungen zu machen, und das aus gutem Grunde. Die öffentlichen Haushalte sind ausgeblutet, das kann ich als Landespolitiker aus einem armen Land noch einmal unterstreichen. Wir kriegen die Investitionen, die wir in Schule, in Bildung bräuchten, einfach gar nicht mehr gewuppt in dem Volumen, wie wir das eigentlich müssten, und die Differenz, die Kluft zwischen Arm und Reich wird immer größer. Das sind einfach objektive Daten, da muss man gegensteuern. Kretschmann weist zu Recht darauf hin, dass die Summe der Einzelmaßnahmen, die alle für sich berechtigt sind, im Gesamtpaket noch mal überprüft werden müssen. Aber das ist nicht die Grundsatzfrage: Wollen wir einen solidarischen Beitrag der besonders Reichen und Vermögenden für ein auskömmliches Gemeinwohl? - Diese Frage ist beantwortet, und die werden die anderen sicherlich auch nicht mehr infrage stellen.

Kitzler: Das klingt alles ziemlich abgewogen und ausbalanciert. Kann man das so sagen: Fehlt den Grünen heutzutage vielleicht so ein bisschen die Radikalität früherer Zeiten, sind die Grünen zu sehr Mainstream inzwischen?

Habeck: Ich glaube, es ist genau andersrum, dass die Gesellschaft sich zu den Positionen der Grünen hin entwickelt hat. Das kann man in der Energiepolitik, vielleicht auch in der Familien- und Geschlechterpolitik besonders deutlich sehen, ja, wenn selbst die Union darum streitet, eine Frauenquote einzuführen. Nun haben sie den Streit anders entschieden, aber das wäre vor zehn Jahren ja undenkbar gewesen. Also die Gesellschaft wächst auf die Grünen zu, und Sie sagten ja am Anfang, so ein paar Besonderheiten gönnen sich die Grünen noch. Ich würde sagen: Es gibt ein paar mehr Besonderheiten, als nur der Name des Parteitags. Es sind zum Beispiel diese drei Tage Diskussion, 2.600 Änderungsanträge, die Zeit, die wir uns nehmen zur Programmausarbeitung, das finden Sie in keiner anderen Partei, das andere sind meistens Jubelparteiveranstaltungen für die Spitzenkandidaten. Und es ist auch, dass wir unserem eigenen Milieu, unseren eigenen Ländern etwas zumuten. Das kann man bei der Atomdebatte sehen, die wir gerade hatten, aber eben auch bei der Steuer- und Vermögenspolitik, und das ist das Besondere, dass man immer noch solidarisch denkt, und solidarisch heißt, nicht nur an den eigenen Vorteil. Und da würde ich auch den Hauptunterschied zu Schwarz und Gelb sehen.

Kitzler: Ist die Wirtschaftspolitik ein neues Schlüsselthema für Sie?

Habeck: Schlüsselthema würde eben die Verlagerung von einem zum anderen bedeuten. So sehe ich es nicht, aber die Partei hat sich insoweit breiter aufgestellt, dass sie inzwischen Antworten in allen Themenfeldern hat. Und da würde ich gar nicht bei der Wirtschaftspolitik Schluss machen, ich würde die Innenpolitik mit einbeziehen, ich würde die Außenpolitik sowieso nennen wollen. Also die Grünen als so Ein-Themen-Partei für die Umwelt und vielleicht noch für Gleichstellung und für Migration zuständig, das ist wirklich alles Schnee von gestern. Ausgehend von diesen alten Kernkompetenzen und Kernforderungen sind inzwischen alle Politikfelder eigentlich aufgeschlossen worden, und die Partei ist da auch immer antwort- und regierungsfähig.

Kitzler: Vor etwas über einem Jahr hätten wir vor einer Bundestagswahl auch noch über die Piraten reden müssen, um die ist es ja inzwischen ziemlich still geworden. Aber was haben Sie eigentlich als Grüne von den Piraten gelernt? Was wollen und müssen Sie vielleicht anders machen jetzt?

Habeck: Ja, ich habe von den Piraten persönlich nicht besonders viel gelernt, das muss ich 'mal einfach so hart formulieren. Vielleicht die Erinnerung daran, dass man nicht bequem werden darf. Das war, glaube ich, in meinem Fall und meinem Umfeld nicht unbedingt nötig, diese Erinnerung, aber tut vielleicht nicht schlecht, ab und zu noch mal sozusagen da den erhobenen Zeigefinger zu bekommen. Aber ich konnte damals schon nicht erkennen, dass die Piraten irgendwie cooler oder lebendiger oder unangepasster sind als die Grünen, und den Eindruck habe ich danach auch nicht revidieren müssen.

Kitzler: Die Grünen bereiten sich vor auf die Bundestagswahl im Herbst, heute beginnt die Bundesdelegiertenkonferenz in Berlin. Das war Robert Habeck, stellvertretender Ministerpräsident und Umweltminister in Schleswig-Holstein. Vielen Dank für das Gespräch!

Habeck: Gerne, Tschüss!

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