Orientalische Magie und brutale Despoten

Von Beatrice Ürlings |
Die Seidenstraße war der Beginn der Globalisierung: Sie verband Ost und West, Asien und Europa. Sie war ein wichtiger Pfad für Handelsgüter, Weltreligionen, Kulturen und Ideen. Die zentralasiatischen Anrainerstaaten der legendären Route drifteten unter den Sowjets in Bedeutungslosigkeit und Isolation ab. Doch jetzt entstehen in Zentralasien wieder Seidenstraßen - mit restaurierter Märchenpracht und Erdgas, dubiosen Despoten, Wirtschaftsbündnissen und Pipelines.
Die Lokomotive verlangsamt ihre Fahrt, auf dem Bahnhofschild erscheint der Schriftzug der sagenhaftesten Stadt Usbekistans: Samarkand, wo die Wezirstochter Scheherazade 1001 Nacht lang um ihr Leben Geschichten erzählte. Am Anfang der berühmten Märchensammlung heißt es: "Wer sie miterleben möchte, soll vergessen, was das Heute umgibt".

Samarkand, einst beschrieben als "schönstes Antlitz, das die Erde der Sonne je zugewandt hat", macht es einem nicht leicht, das Heute zu vergessen. Statt märchenhafter Schönheit beherrschen marode Plattenbauten das Stadtbild. Auf den mehrspurigen Boulevards tobt großstädtischer Verkehr. Die mehr als 70 Jahre Sowjetherrschaft haben Spuren hinterlassen.

Doch auch das alte, orientalische Samarkand gibt es noch. Es spielt sich in den Mahalas genannten Nachbarschaftsgemeinden ab. Gleich hinter dem Gur Emir Mausoleum sitzen an die vierzig Frauen in einem Innenhof auf Matten. Es wird gegessen, gebetet und von großen Errungenschaften erzählt. Bereits 1917 verbrannten die Usbekinnen ihre Gesichtsschleier. Auch deshalb pflegt ihr Land heute ein weit gemäßigteren Islam als die meisten Nachbarstaaten.

Kubiltja will Traditionen und Moderne vereinen. Sie hat ihre Burka-Sammlung mitgebracht. Anders als in Afghanistan sind die Ganzkörperschleier der Usbekinnen prunkvoll bestickt und kein Zeichen der Unterdrückung: Es seien schlicht Erinnerungsstücke, erzählt Kubiltja, die ganz so wie ihre Freundinnen nur ein buntes Tuch als Kopfbedeckung trägt. Haar und Gesicht sind frei.

Usbekistan war bis 1991 Sowjetrepublik. Die Menschen dort haben viel nachzuholen. Auch wirtschaftlich versuchen sie, sich auf ihre Ursprünge zurückzubesinnen. Samarkand war einst Umschlagplatz der alten Seidenstraße. Die Einwohner der Stadt verarbeiteten den kostbaren Stoff, der der Route ihren Namen gab, zu noch kostbareren Teppichen. Heute wird diese alte Handwerkskunst neu belebt. Keiner ist damit so erfolgreich wie Zainab Batgichi, deren Familie die Kooperative Silk Carpets betreibt.

Zainab Batgich: "Unter den Russen wurde alles maschinell gefertigt, Wir haben 1992, nur wenige Monate nach der Unabhängigkeit, eröffnet. Wir hatten damals gerade mal drei Webstühle, aber mit jedem verkauften Teppich haben wir expandiert. Unsere Firma zählt heute 200 Mitarbeiter, die entweder hier in der Werkstatt knüpfen oder zu Hause Seidenraupen für uns züchten."

Von der weltweiten Wirtschaftskrise ist bei Silk Carpets nichts zu spüren. Die Auftragsbücher sind so prall gefüllt, dass selbst berühmte Kunden wie Joschka Fischer, Kofi Annan und Hillary Clinton auf ihre Bestellung warten müssen.

Eine Hochzeitsfeier an diesem Nachmittag auf dem von gewaltigen Koranschulen flankierten Registan-Platz in Samarkand. Der Bräutigam hat asiatische Gesichtszüge, seine Braut Augen, die blau sind wie Bergseen. Mehr als 20 Völker sind in Usbekistan zu einer Nation zusammengewachsen.

Doch Recht und Freiheit wird nicht überall in Usbekistan groß geschrieben. Präsident Islam Karimow regiert das Land mit eiserner Hand. Nach Angaben der UNO wird in seinem Staat systematisch gefoltert. Shahida Tulyaganova hat alles getan, um das Land verlassen zu können. Heute ist die junge Usbekin britische Staatsbürgerin und kann offen über ihre Heimat sprechen. Sie zeigt auf Propagandaplakate, die sich am Straßenrand reihen, mit blumigen Phrasen wie: "Wir feiern die harmonisch entwickelte Generation".

Shahida Tulyaganova: "Das ist alles ein schlechter Witz, nichts stimmt davon. Es gibt keine Parlamentsdebatten in Usbekistan, weil die Abgeordneten nur zwei Mal im Jahr zusammenkommen, dazwischen herrscht Willkür. Freie Meinungsäußerung ist tabu – wir haben noch nicht einmal eine freie Presse."

Gebet in der Bibi Xanom Moschee. Selbst Nicht-Muslime können erkennen, dass der Imam nicht so recht bei der Sache ist. Alexander Cooley weiss, warum. Der auf Zentralasien spezialisierte Professor ist oft in Usbekistan und kennt die Schattenseiten des Landes. Alle Predigttexte seien vorgeschrieben, raunt er, und immer seien auch Sicherheitsbeamte zugegen, die sicherstellen, dass der Vorbeter sich an die staatlich verordneten Vorgaben hält.

Alexander Cooley: "Ja, der Islam gewinnt an Boden in Usbekistan, aber es stimmt auch, dass das usbekische Regime den Trend aufbläst, um seine Methoden zu rechtfertigen."

Die orientalische Magie Zentralasiens ist plötzlich weit weg. Und sie verblasst immer mehr, je weiter die Eisenbahn gen Süden rollt. Hinter der Grenze sind es fast nur noch einsame Landschaften, die sich in die Erinnerung senken. Usbekistans Nachbar Turkmenistan, um ein Drittel größer als Deutschland, aber nur von etwa 4,4 Millionen Menschen bewohnt, ist ein Wüstenstaat.
Dort wo in der Antike angeblich auch Alexander der Große vorbeizog, und wo vor kurzem noch der Rauschgifthandel mit Afghanistan blühte, tummeln sich jetzt Geologen.

Wie eine funkelnde Fata Morgana aus Marmor begrüßt Aschgabat seine Besucher. Die vierspurigen Magistralen der turkmenischen Hauptstadt sind umsäumt von Prachtbauten. Seitdem Turkmenistan mit seinem potentiellen Reichtum nicht mehr hinter dem Berg hält, geben sich Politiker und Konzernchefs aus der ganzen Welt hier ihr Stelldichein. Alle wollen ein Stück vom großen Erdgas-Geschäft. Sagt der ehemalige britische Energieminister Malcom Wicks.

Malcom Wicks: "Wir haben eine gute Beziehung zu Turkmenistan, ich war schon ein paar Mal zu Besuch dort. Ich hatte die große Ehre, den Präsidenten zu treffen und andere Persönlichkeiten. Es ist eine natürliche Kooperation: Turkmenistan braucht Kunden für sein Gas, die EU hat steigenden Bedarf!"

Kürzlich wurde eine 7.700 Kilometer lange Pipeline eröffnet, die turkmenisches Gas erstmals ohne russische Transithilfe nach China transportiert. Eine weitere Direkt-Röhre nach Europa soll 2015 fertig sein. Bis dahin will Turkmenistan auch seine derzeitige Fördermenge verdreifachen. Wer am meisten davon abbekommt, ob Ost oder West, ist noch nicht ausgemacht. Professor Cooley glaubt, dass die Europäer ins Hintertreffen geraten könnten.

Alexander Cooley: "Die Chinesen haben angekündigt, dass sie einen 10 Milliarden Dollar schweren Fonds schaffen, um den Zentralasiaten zu helfen, gewisse Infrastrukturprojekte zu finanzieren. Dagegen verblassen die Summen, die die Europäer für so etwas zur Verfügung stellen können. Auch all diese Energiekonzerne, die sich jetzt Produktionsanteile erhoffen, machen sich vielleicht übertriebene Hoffnungen. Die Turkmenen sind sehr vorsichtig, wenn es um den Zugang zu ihren Energieressourcen geht."

Folkloreabend im edlen Restaurant Minarett, im Stadtzentrum von Aschgabat. Hier trifft sich die Elite des Landes. Said Nepesow war schon unter den Sowjets ein Regierungsgünstling. Als Tanzpartner der berühmten Ballerina Maya Plisetskaya machte er sich in Moskau einen Namen. Jetzt leitet das turkmenische Folkloreensemble Aral. Nepesow freut sich, dass seine Truppe jetzt nicht nur mehr vor Freizeitreisenden, sondern auch vor immer mehr Gastouristen auftritt.

Said Nepesow: "Am liebsten mag ich die Dänen, weil sie so ruhige, stabile Menschen sind und schöne Stimmen haben. Aber ich will allen die schönen Seiten unseres Landes zeigen. Die Turkmenen tanzen und singen gerne, wir haben fast nur fröhliche Lieder."
Die Musiker des Aral-Ensembles zupfen traditionelle Dutar-Geigen, die Tänzerinnen haben lange, pechschwarze Zöpfe und tragen Trachten. Alles ist fröhlich, sorgenlos und leicht. Entspricht das auch dem realen Leben in Turkmenistan? Nepesow reagiert verstört auf die Frage, eine Minute dauert es, ehe er sich zu einer linientreuen Antwort durchringt:

Said Nepesow: "Ich bin Teil dieses Landes, ich liebe das Leben und die Freiheit, und ich bin stolz darauf, Turkmene zu sein, stolz darauf, hier zu leben. Wir haben keine wirklichen Probleme. Gas, Wasser und Benzin sind gratis bei uns, wir zahlen weniger als 1 Dollar Miete im Jahr für unsere Wohnungen, was soll ich da bedauern?"

Nepesow hat geantwortet, was von ihm erwartet wird. Ein zweiter Blick auf das Aschgabat draußen vor dem Theater sagt mehr als tausend Worte. Es gibt kaum Menschen auf den Straßen, dafür aber alle Hundert Meter Putzkolonnen und Soldaten. Die Wohnungen hinter den illuminierten Märchenpalastfassaden stehen größtenteils leer, sie sind nichts als Attrappen, um die Skyline zu verschönern. Aschgabat ist das steinerne Vermächtnis des wohl bizarrsten Despoten der jüngeren Zeitgeschichte.

Turkmenbashi benannte ganze Monate zu seinen Ehren um. Er machte seine Gedichte zur Pflichtlektüre an den Schulen und strich dafür Mathematik aus den Lehrplänen. Überall im Land ließ der Despot Statuen seiner selbst errichten - darunter eine, die sich stets mit der Sonne dreht, so dass nie ein Schatten auf sein präsidiales Antlitz falle. Seit dem Tod Turkmenbashis regiert sein Leibzahnarzt Gurbanguly Berdymukhammedov. Am Führungsstil hat sich – mit Ausnahme, dass Zirkusaufführungen wieder erlaubt sind - nichts geändert.

In der Hotellobby läuft wie jeden Abend das staatliche Fernsehprogramm. Auf den Ranglisten der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen rangiert Turkmenistan auf dem drittletzten Platz vor Nordkorea und Eritrea. Auch das Internet unterliegt der Totalzensur: Zugang gibt es nach wie vor nur an wenigen offiziellen Stellen in Aschgabat, Passvorlage ist Pflicht, alle E-Mails werden gelesen.

Die Konzerne aus dem Ausland stören sich daran nicht, im Gegenteil: sie umgarnen das totalitäre Regime. Der Stromversorger RWE hat kürzlich eine ganze Bibliothek in Aschgabat gesponsert. Korruption ist gang und gebe, seufzt Professor Cooley.

Alexander Cooley: "Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Position der europäischen Politiker. Die EU hat unter deutscher Führung eine Strategie für Zentralasien ausgearbeitet. Problematisch ist, dass diese Liste mit keinem Wort erwähnt, wie etwa der Wunsch nach Energieversorgung aus Turkmenistan mit Menschenrechten zu vereinen ist."

Der Tolkuchka-Basar, acht Kilometer vom Zentrum entfernt, ist das andere Gesicht Aschgabats: Die Wagen sind rostig, die Wege matschig, aber es riecht auch nach Koriander und Kümmel, nach Zimt und nach der Süße von Rosinen. Eine Verkäuferin bietet Fladenbrot an, das vom Stempel ihrer Familie eingekerbt ist. Mit jedem Schritt weiter in den Markt ist das 21. Jahrhundert ferner.

Der Mann, der seinen Namen nicht nennen will, weil er wie so viele Angst hat in Turkmenistan, wartet bei den Telpeks, den Ständen mit den Schaffellmützen. Der Mann hat Zeit, denn obwohl er mehrere Sprachen spricht, ist er arbeitslos, wie schätzungsweise 40 Prozent der Turkmenen.

"Hätte ich ihnen etwas Schmiergeld gegeben, dann hätte ich eine Stelle bekommen. Unsere Lehrer verdienen 200 Dollar im Monat. Im Vergleich dazu sind die Lebensmittel sehr teuer, ein Kilo Fleisch kostet ungefähr 4 Dollar. Für eine Familie brauchst du jeden Tag Fleisch."

Aber es ist nicht die Armut, die dem Mann am meisten zu schaffen macht. Er erzählt von politischen Freunden, die nicht aufgepasst haben, und weggesperrt wurden. Der Mann kann es darauf nicht ankommen lassen, denn er hat eine alleinstehende Tochter und Enkelkinder. Beim Sprechen hält er die Hand vor den Mund: Es ist gefährlich ausländischen Journalisten, die in Turkmenistan nur heimlich recherchieren können, bei der Arbeit zu helfen.

"Es ist nicht einfach hier. Gibt viele Unzufriedenheit, aber die werden nur in der Familie besprochen, nur im engen Kreis. Weil wir selbst voreinander noch Angst haben."

Der Mann verschwindet zwischen den Menschenmassen, dreht sich noch einmal kurz um und lächelt tapfer. Nichts ist mehr übrig vom poetischen Zauber aus 1001 Nacht. Man fühlt sich an 1002. Nacht erinnert, jene Kurzgeschichte von Edgar Allan Poe, in der die schöne Scheherazade die Realitäten einer Moderne erzählt, die ihr König nicht wahrhaben wird. Sie bezahlt dafür mit ihrem Leben.