Orangenhaine in Baden-Württemberg

Von Susanne Nessler |
Wie wird der Beruf des Bauern in Zukunft aussehen - und wie die Landwirtschaft selbst, in 20 oder 50 Jahren? Klimawandel, demographische Veränderungen, EU-Osterweiterung und vor allem die Verringerung der Subventionen, die spätestens 2013 zu erwarten sind, fordern eine Umstellung der Landwirtschaft ,wie wir sie bisher kannten. Ein visionärer Ausblick in die Zukunft.
Schweißperlen stehen auf Malte Erhards Stirn. Der Agrarwirt aus Baden-Württemberg hat Probleme mit der Erntesteuerung in seinem Orangenhain. 5000 Quadratmeter reifer Orangen müssen bis morgen früh gepflückt, verpackt und verladen sein, doch das System streikt. Seit Malte Erhard vor zehn Jahren von Weizen auf Zitrusfrüchte und Soja-Anbau gewechselt ist, sind zwei Ernten pro Jahr ein Muss. Als Agrarwirt lässt sich 2050 nur noch mit hochproduktiver Landwirtschaft - heißt: mit viel Ertrag auf wenig Fläche - Geld verdienen. Außerdem war die Investition in die Satelliten gestützte Ernteanlage mit autonomen Robotern und Traktoren nicht gerade billig.

Malte Erhard stöhnt, wenn die Orangen morgen nicht nach Südspanien unterwegs sind, platzt das Geschäft.

Seit 15 Jahren leidet Spanien unter einem so extremen Wassermangel, dass dort fast alle Landwirte aufgegeben haben. Dafür blüht die Kakteenzucht - und der Extremtourismus. Abenteuerurlaub in den neuen Wüstengebieten ist der letzte Schrei.

In Deutschland arbeiten heute die meisten Bauern in riesigen, mehrstöckigen Gewächshäusern, auch aus Südeuropa sind einige Landwirte hier. Sie sind Angestellte großer indischer Nahrungsmittelkonzerne. In den Glasfabriken wächst alles auf künstlichen Nährböden. Tomaten, Erdbeeren, Salat, jede Gemüse- oder Obstssorte gedeiht hier.

Die einzigen, die noch auf Bauerhöfen leben und arbeiten, sind ein Dutzend Biobauern über 70, die sich in der Nähe von Freiburg zusammengetan haben. Sie produzieren ausschließlich für den Eigenbedarf.

Auf allen ehemaligen Anbauflächen wird konsequent Raps- und Soja gepflanzt. Für Biodiesel und vor allem für Tierfutter. Einer der Hauptabnehmer sind die großen Tierfarmen in Brandenburg, Sachsen und Mecklenburg. Ostdeutschland ist der Fleischlieferant Nr. 1 in Europa. Massive Subventionen haben die Rinder- und Schweinefarmen entstehen lassen.

Darunter das EU-Programm "Hochproduktive Monokulturen", das seit 2039 u.a. auch dazu geführt hat, dass Weizen und Kartoffeln hauptsächlich im Norden Russlands angebaut werden. Riesige Waldflächen wurden dort für den Anbau gerodet.

Erst kürzlich hat Bauer Erhard im Fachmagazin "AGRO 3000" gelesen, dass in Grönland erfahrene Landwirte gesucht werden. Obstplantagen wollen sie dort anlegen, weil das Klima so schön warm geworden ist. Wenn er seine baden-württembergische Orangenernte nicht loswird, überlegt er sich das vielleicht.

Hören Sie zu dem Thema auch ein Gespräch mit Dr. Tobias Plieninger, Forstwissenschaftler an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. MP3-Audio