Viel Erfolg mit gebogenen Linsen
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Dass Wetzlar einer der wichtigsten Optik-Standorte in Deutschland ist, wissen nicht viele Menschen. Dabei kommt doch aus der hessischen Stadt unter anderem der Traum eines jeden Fotografen: die Leica-Kamera.
Matthias Kirchhübel deutet auf dem Werksgelände des Wetzlarer Augenoptik-Herstellers "Oculus" auf die fensterlose, weiß gestrichene Fassade eines rund 20 Meter hohen Turms. Unter dem Firmenlogo sind vier Ringe mit Öffnungen an verschiedenen Stellen aufgemalt, wie man sie von Sehtests in der Augenarztpraxis oder im Optikergeschäft kennt:
"Richtig, das sind die sogenannten Landoltringe, die man vom Sehtest für den Führerschein kennt. Man kennt ja die Öffnung oben links, unten rechts. Und das, was wir hier an unserem Paletten-Lager haben, das ist ein automatisches Lager für zweieinhalbtausend Paletten, das ist ein gerechneter Sehtest auf zirka anderthalb Kilometer. In dieser Entfernung gibt es einen Aussichtspunkt und damit kann man dann wirklich eine Sehstärke bestimmen. Das ist eingetragener Rekord – weltweit."
Ein Werbegag, klar. Aber auch weithin sichtbarer Ausdruck des Selbstbewusstseins der Wetzlarer Augenoptik-Firma.
Seit 40 Jahren an der Unternehmensspitze
Der Ingenieur Matthias Kirchhübel ist in der vierten Generation des Familienunternehmens beschäftigt, das die Optikgeräte herstellt. Sein Vater Rainer Kirchhübel ist bereits seit fast 40 Jahren an der Spitze der hessischen Firma mit heute 380 Beschäftigten:
"Wenn Sie die Autobahn runterkommen, ist ja schon ein großes Schild da: Wetzlar, die Optikstadt! Und sicher ist Wetzlar eine der Optikstädte in Deutschland – neben Jena und Oberkochen kann man das auf jeden Fall so sagen. Wir haben in Wetzlar Leitz als große Firma mit der Kamera und Mikro-Systemtechnik, und viele Firmen, die sich daraus abgeleitet haben, sind heute noch existent. Und der Optikstandort Wetzlar ist ganz bedeutend, keine Frage."
Die Geschichte des Feinmechanik- und Optikstandortes Wetzlar beginnt bereits Mitte des 19. Jahrhunderts mit dem Bau von Fernrohren, Mikroskopen und anderer optischer Geräte in verschiedenen Betrieben. Auch die Firma "Oculus Optikgeräte" entwickelt und baut hier seit über hundert Jahren Instrumente für die Diagnostik, Behandlung und Schulung des Auges, die weltweit verkauft werden.
Eine der traditionsreichen Firmen in Wetzlar ist Leitz, die hier mit rund 600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auch die berühmte "Leica"-Fotokamera baut, die es bereits seit den 1920er-Jahren als Marke gibt. Gleich neben den Produktionsstätten gibt es seit einigen Jahren auch den sogenannten "Leitz-Park". Mit Hotel, Museum und Foto-Workshops werden Kamera-Enthusiasten aus der ganzen Welt angesprochen.
Mehrere tausend Euro für eine Kamera
Benedikt Hartmann ist der Verkaufsleiter im sogenannten "Leica-Store". Er deutet auf eine Glasvitrine mit Kameras, die mehrere tausend Euro kosten – pro Stück:
"Was tatsächlich für Leica steht, ist die Leica M, die hier im Leica-Store auch ausgestellt wird in allen Variationen. Eine Kamera, deren Technik im Grunde genommen auf 1954 zurückgeht. Die so fast unverändert – heute natürlich digital – gebaut wird und wo der Fotograf auf aktuell 46 Objektive zurückgreifen kann. Aber auch Objektive verwenden kann, die teilweise aus den 50er-Jahren des letzten Jahrhunderts (stammen) oder auch vorher gebaut wurden. Und die einwandfrei an dieser Kamera funktionieren."
Draußen auf dem Gelände zwischen Fotoladen und Produktionsgelände bringt Foto-Designer Tom Flaner einer etwa zehnköpfigen Gruppe das Fotografieren bei. Ein Auto-Oldtimer ist so platziert, dass er von allen Seiten und aus verschiedenen Entfernungen gut fotografiert werden kann:
Flaner: "Das ist jetzt ein Workshop, der angeboten wurde, im Akademiekalender. Und da kann jeder Interessierte dran teilnehmen."
Reporter: "Und die Akademie, das ist hier das Gebäude?"
Flaner: "Genau, hier in der Leica-Welt befinden sich auch die Räume der Akademie."
Reporter: "Und die Akademie, das ist hier das Gebäude?"
Flaner: "Genau, hier in der Leica-Welt befinden sich auch die Räume der Akademie."
Während im Leica-Werk viele hundert Menschen ihr Einkommen finden, arbeitet Manfred Throl an diesem Tag ganz allein in seiner Werkstatt, die sich in einem Teil seines Privathauses befindet. Throl ist Geschäftsführer eines sehr kleinen optischen Betriebes in Wetzlar. Der gelernte Mathematiker betreibt rechnerische Grundlagenarbeit für die Produktion etwa von Objektivgläsern:
"Es geht eigentlich darum, wie viele Linsen muss man für ein optisches System, für ein Objektiv überhaupt verwenden? Und dann ist natürlich die Frage, wie werden die Radien gebogen? Wie werden die Abstände gemacht und welche Glassorten werden benutzt? Und aus dem Ganzen entsteht praktisch durch Optimierung dann das fertige Objektiv."
Die Optikrechner treffen sich beim Stammtisch
Manfred Throl ist in der Optikstadt längst nicht der einzige Mathematiker oder Physiker, der Grundlagen-Berechnungen für die Betriebe in Wetzlar vornimmt:
"Wir haben selber hier jeden Monat einen Stammtisch der Optikrechner, wo wir uns treffen und ein bisschen austauschen – so ungefähr zwölf bis 15. Das ist sehr gut. Denn man arbeitet wirklich mit vielen anderen Kollegen und Firmen zusammen. Wetzlar und Jena sind wirklich die Optikzentren in Deutschland."
Dass Wetzlar einer der wichtigsten Optik-Standorte hierzulande ist, wissen aber selbst in der Region nicht alle. Das musste Matthias Kirchhübel während seines Studiums an der Fachhochschule im benachbarten Gießen feststellen. Dabei werden dort die Ingenieure ausgebildet, die man in seinem Optik-Familienbetrieb "Oculus" künftig gut gebrauchen kann:
"Das war mal stärker vertreten, dass auch gerade der Kontakt zwischen der – mittlerweile ja Technischen Hochschule Mittelhessen – und der Industrie früher viel stärker war, als das heute der Fall ist. Leider ist es weniger geworden."
Dagegen soll das sogenannte "Viseum Wetzlar" helfen. In einem restaurierten Bürgerhaus aus dem 18. Jahrhundert haben 16 Unternehmen eine Dauerausstellung zur optisch-feinmechanischen Industrie der Stadt eingerichtet.
Rainer Kirchhübel, der Seniorchef von "Oculus", zählt auf, welche Fachkräfte in der Stadt immer gebraucht werden:
"Wir haben einmal Elektroniker, wir haben Mechanik-Ingenieure, die das mechanische Design machen. Wir haben Optik-Spezialisten, die den ganzen optischen Aufbau mit schaffen und die Software im Hintergrund."
Das alles nur etwas mehr als eine Autostunde vom Flughafen Frankfurt am Main entfernt - für die Optikstadt Wetzlar ein wichtiger Standortvorteil. Denn die Produkte dieses Industriezweigs werden in der ganzen Welt verkauft.