"Opposition ist der größte Mist"

Florian Pronold im Gespräch mit Ernst Rommeney und Ulrich Ziegler |
Nach der Niederlage bei den Europawahlen hat der künftige bayerische SPD-Vorsitzende, Florian Pronold, von seiner Partei eine neue Siegermentalität eingefordert. Die SPD brauche die Ausstrahlung, dass sie regieren will, betonte der stellvertretende Vorsitzende der Bayern-SPD.
Deutschlandradio Kultur: Herr Pronold, wann haben Sie denn zum letzten Mal auf Ihre Internetseite geschaut?

Florian Pronold: Vorgestern, weil ich gerade dabei bin sie neu zu machen und da gerade eine ganze Menge Änderungen im Hintergrund mache, die ab 1. Juli dann oben stehen.

Deutschlandradio Kultur: Also, eine Änderung ist bestimmt notwendig. Am 4. Mai, vor den Europawahlen, haben Sie geschrieben, dass jetzt die CSU in Panik sei vor den Wahlen, im Bund und in Europa. Ist jetzt die SPD in Panik?

Florian Pronold: Erstens stimmt's, weil die CSU noch nie so viel Geld für eine Europawahl ausgegeben hatte, wie dieses Mal, und damit dann auch einen relativen Erfolg erzielt hat. Die SPD ist eine Partei, die bei der Europawahl auch immer ein großes Problem hat ihre Leute zu mobilisieren, so leider auch diesmal, obwohl wir einen engagierten Wahlkampf geführt haben. Es hilft nicht, das schönzureden, sondern das ist Mist gewesen. Jetzt müssen wir uns auf die Bundestagswahl konzentrieren. Aber, da muss ich auch ganz ehrlich sagen: Ich habe vor den letzten zwei Bundestagswahlen drei Monate vorher eine ähnliche Situation in Erinnerung. Da hat keiner mehr einen Pfifferling auf die Regierungsbeteiligung der SPD gesetzt und jedes Mal haben wir es in den letzten drei Monaten herumgerissen.

Deutschlandradio Kultur: Bleiben wir noch mal kurz in Bayern. 18,6 % waren es bei der Landtagswahl, 12,9 % bei der Europawahl. Ist denn die SPD in Bayern überhaupt noch eine Volkspartei?

Florian Pronold: Wir werden in Bayern gebraucht, weil wir die besseren Rezepte haben. Wenn Sie z. B. in der Landtagswahl schauen, alle haben bei uns die bildungspolitischen Konzepte abgeschrieben. Bloß diejenigen, die jetzt am Umsetzen sind, machen nicht das, was sie vorher in den Wahlen versprochen und von uns abgeschrieben haben.

Unser Problem ist, dass die Menschen uns zutrauen, die besseren Rezepte zu haben, aber uns nicht zutrauen, dass wir die besseren Köche sind. Aber 43 % der Bayern haben mindestens einmal in ihrem Leben schon SPD gewählt. Das ist eine schöne Zahl. Das ist unser Potential. Wer sich das schon einmal getraut hat, der kann das auch ein zweites Mal wieder machen.

Deutschlandradio Kultur: Aber stimmt das denn wirklich? Die Grünen sind Ihnen ja hart auf Ihren Fersen. Berechnet auf der Europawahl sind sie knapp hinter Ihnen.

Florian Pronold: Die Europawahl ist mit einer Wahlbeteiligung von 40 % eine ganz andere Sache als eine Bundestagswahl. Wir wissen, dass wir die schlechteste Mobilisierung unserer Wähler bei der Europawahl hatten und die Grünen fast ihre beste. Trotzdem haben Sie Recht, dass wir z.B. in Großstädten oder in bestimmten Regionen Bayerns - aber übrigens nicht nur die Bayern-SPD, sondern das ist etwas, was Sie in Baden-Württemberg und in anderen Teilen des Landes auch sehen - ein bestimmtes Milieu, das vielleicht früher bei der SPD war, heute eher bei den Grünen ist. Vielleicht muss es uns gelingen, den lebenskulturellen Stil von Großstädten und den Menschen, die dort leben, wieder besser aufzugreifen. Vielleicht wirkt die SPD dort manchmal ein bisschen zu verstaubt und altbacken und die Grünen ein bisschen zeitgemäßer. Daran müssen wir arbeiten.

Deutschlandradio Kultur: Die CSU macht es schon mit Markus Söder. Die versuchen auch mit grünem Profil jetzt in Bayern zu punkten. Wird es da nicht eng, wenn alle an dem Thema, dem städtischen Milieu, arbeiten, die Linken, die Grünen, die CSU, die SPD? Ist das denn wirklich Ihr Klientel, das Sie wirklich wieder haben wollen?

Florian Pronold: Ich glaube, wir müssen denen den Begriff der sozialen Freiheit streitig machen in der Auseinandersetzung mit FDP und Grünen im Großstadtmilieu, und zwar deswegen, weil es eine Form von Individualisierung gibt bei den Menschen, die heute bei vielen so ankommt, als bräuchte man das Soziale nicht mehr, als sei das Ballast. Wenn Sie überlegen, vor ein paar Jahren haben die Leute, die in den Internetfirmen gearbeitet haben, gesagt: Ich brauche keinen Betriebsrat. Ich rede selber mit meinem Chef. Das ist doch alles in Ordnung - bis dann die Firma insolvent war und sie festgestellt haben, es gibt keinen Sozialplan ohne Betriebsrat. Erst dann kam das Erwachen. Ich glaube, dass wir deutlich machen müssen, dass Soziales und Freiheit eben keine Gegensätze sind, sonders sich zueinander bedingen, auch von den Möglichkeiten, die ich habe zu leben.

Zum Söder ist eins zu sagen, der hätte tatsächlich die Chance, die Energieprobleme Bayerns zu lösen. Bei der heißen Luft, die der verbreitet, wenn wir die schaffen würden in Energie umzuwandeln, dann könnten wir alle bayrischen Atomkraftwerke sofort abschalten.

Deutschlandradio Kultur: Aber ganz so einverstanden mit Ihrer Deutung ist ja Ihr prominenter Bürgermeister in München, Christian Ude, nicht. Er sagt gerade, Ihre Hauptklientel, nämlich die Arbeitnehmerschaft, die haben Sie verlassen oder die hat Sie verlassen, wie auch immer man es nimmt.

Florian Pronold: Also, wir haben zwei Bereiche über die wir gesprochen haben. Das eine war die Frage, wie schauen Großstadtmilieus aus. Das andere ist ein Problem, dass diejenigen, die uns aus der Arbeiterschaft, aus der Arbeitnehmerschaft wählen, seit mehreren Jahren bei verschiedenen Wahlen zuhause bleiben und kein Vertrauen darauf fassen, dass die SPD ihre Probleme lösen kann. Ich finde, gerade in den letzten Monaten haben wir unter Beweis gestellt, dass wir die Einzigen sind, die sich dort noch kümmern.

Kurzarbeitergeld, Mindestlöhne für vier Millionen Menschen, Re-Regulierung der Leiharbeit, das sind alles Themen, die diese Leute ganz enorm betreffen und um die wir uns kümmern, auch mit den Konjunkturprogrammen. Es wird die Aufgabe sein, dass wir das, was wir tun, nicht nur tun, sondern auch darüber reden und die Menschen, die uns früher vertraut haben, auch wieder zurückgewinnen.

Deutschlandradio Kultur: Das heißt, Sie wollen auch gerne wieder bei der "linken Bevölkerung", wenn man sie so beschreiben möchte, die Stimmen holen und nicht nur in diesem bürgerlichen Milieu?

Florian Pronold: Also, die Betrachtungen, die da immer angestellt werden, basieren ja immer auf diesen Wählerwanderungen. Was bei diesen Wählerwanderungen völlig außen vor bleibt, ist das, wovon ich gerade gesprochen haben, nämlich die Frage, wie man mobilisiert. Das geht über die Nichtwähler sozusagen ein Stück weit mit ein. Ich behaupte, das Zentrale sind die Leute, die uns schon mal gewählt haben. Die können jetzt im großen Reservoir der Nichtwähler sein, das sind die meisten, aber die können auch zu den Grünen, zur Linken oder zur FDP gegangen sein. Also, es ist bei der SPD genauso wie in der Bibel bzw. im Himmel, es ist viel mehr Freude über einen reuigen Sünder als über tausend Gerechte.

Deutschlandradio Kultur: Wir fragen so intensiv nach Bayern, weil Sie demnächst Landesvorsitzender der bayrischen SPD werden wollen. Sie wären damit Vorsitzender einer 20 %-Partei. Warum tun Sie sich das an?

Florian Pronold: Weil die SPD die einzige Partei ist, die diese Frage von Sozialer Gerechtigkeit in dieser Gesellschaft ernst nimmt und weil es ohne die SPD niemanden gibt, der tatsächlich auch Demokratie von einer Grundüberzeugung her verteidigt.

Ich bin zur SPD gegangen, um was gegen Rechtsextremismus zu machen, weil es mir immer zuwenig war, dass man nur "Nazis raus!" auf Demonstrationen brüllt. Wer will die denn haben? Da muss man auch z. B. soziale Ursachen angehen. Die SPD ist auch in Bayern eine Partei, die in vielen Städten und Kommunen regiert. Ja, es ist schwer zurzeit. Also, 20 % ist keine Ausgangsbedingung, wo man sagt, super!

Deutschlandradio Kultur: Das sind nur vier Großkommunen, die Sie wirklich regieren.

Florian Pronold: Na ja, wir haben mehr Oberbürgermeister als die CSU in Bayern. Ich war z. B. dort, wo jetzt unser dort Parteitag ist. Ein Jahr vor der letzten Oberbürgermeisterwahl in Weiden, da ist ein Kurt Seggewiß, den keiner kannte, angetreten von der SPD. Selbst die eigenen Leute haben zum Teil gesagt: Na ja, die CSU ist jetzt da seit dem Krieg an der Macht, die werden wir nie los. Der ist mit einem Engagement rangegangen. Der hat gesagt: Ich will etwas anders machen. Ich will etwas verändern. Ich will zu den Leuten. Und er ist in der Stichwahl Oberbürgermeister von Weiden geworden.

Dasselbe ist mit meinem Freund Michael Adam in Bodenmais, 23 Jahre, schwul, Sozialdemokrat und evangelisch und wird in Bodenmais im Bayrischen Wald Bürgermeister. Das ist eine Sensation. Die hätte es vor 10, 20 Jahren niemals gegeben. Deswegen sage ich, die Dinge sind nicht gottgegeben, sondern veränderbar. Ich möchte sie gerne verändern, weil ich glaube, dass eine Sozialdemokratie, auch in Bayern, die besseren Antworten hat, für Bildungspolitik, für die Frage der sozialen Gerechtigkeit und auch für die Frage Freiheit und Miteinander in einer Wir-Gesellschaft leben anstelle von einer Gesellschaft von Ichlingen.

Deutschlandradio Kultur: Dann fragt man sich schon, warum fordert jemand wie Franz Maget, der Landtagsfraktionschef der SPD, einen Erneuerungsplan, ein Restrukturierungskonzept für die SPD in Bayern? Lebt der in einer anderen Welt?

Florian Pronold: Nein, sondern wir sind, wie Sie richtig festgestellt haben, jetzt durch zwei, drei schwere Wahlniederlagen gegangen. Da muss man doch selber auch überlegen, was kann man denn anders machen und was hat man bisher falsch gemacht.

Ich finde, wir müssen uns auch ins Gewinnen verlieben. Wir müssen auch in Bayern ausstrahlen, dass es Spaß macht zu regieren. Wir dürfen nicht darunter leiden, dass wir hier im Bund regieren, sondern wir müssen auch in Bayern ausstrahlen, wir wollen regieren. Ich habe einmal spaßhaft auf die Frage geantwortet, ob ich denn schon am Tor des Kanzleramtes gerüttelt hätte, um Bundeskanzler zu werden wie weiland, Gerhard Schröder. Ich habe dann geantwortet: Nein, Bundeskanzler zu werden ist mir viel zu einfach. Ich will zweiter sozialdemokratischer Ministerpräsident in Bayern in der Nachkriegsgeschichte werden.

Deutschlandradio Kultur: Aber das ist es ja nicht, was Ihre Partei ausstrahlt, dass Sie immer wieder in Abständen sich erneuern wollen und eigentlich doch ganz tough sind, sondern es heißt immer mit jedem neuen Vorsitzenden, nun müssen wir aber noch mal grundsätzlich darüber nachdenken, was wir alles falsch gemacht haben. Diese selbstzerknirschte Debatte hören wir nun wirklich nach jeder Legislatur eines neuen Landesvorsitzenden.

Florian Pronold: Ich nehme das wahr, dass das das Bild der Bayern-SPD ist. Ich bin viel rumgekommen in den letzten Jahren als Landesgruppenvorsitzender, als stellvertretender Landesvorsitzender. Ich bin praktisch jeden Abend, wenn ich nicht in Berlin bin, irgendwo in Bayern unterwegs. Und ich sehe eine Menge Potential und ich sehe auch nicht mehr überwiegend diese SPD, die in den Hinterzimmern sitzt und mit den Zähnen knirscht, sondern ich sehe eine Menge guter, junger Leute, die etwas anders machen wollen und die vor Ort auch schon Erfolge haben. Jetzt gilt’s, das umzusetzen.

Deutschlandradio Kultur: Herr Pronold, Sie sind seit 2002 Bundestagsabgeordneter. Was geschieht eigentlich im Bund nach den Wahlen im September? Werden Sie in der Großen Koalition bleiben müssen?

Florian Pronold: Das Wichtigste ist erstmal, dass die SPD so stark wie möglich wird und dass wir wieder an die Regierung kommen. Das ist das Hauptziel. Das Fell des Bären zu verteilen, bevor er erlegt ist, ist ein bisschen merkwürdig.

Deutschlandradio Kultur: Aber das ist doch Ihr Problem. Ihnen fehlt doch der Partner. Die große Koalition ist nicht beliebt, auch bei Ihnen selbst nicht. Wenn man mal rund schaut, für Rot-Grün reicht es nicht. Und die FDP? Wollen Sie mit der wirklich in eine Koalition gehen?

Florian Pronold: Wenn Sie das Programm anschauen, das CDU/ CSU vor der letzten Bundestagswahl an den Tag gelegt haben, dann hat das sich kaum unterschieden von dem, was die FDP heute macht. Trotzdem haben wir die CDU/ CSU in der Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik zu einer richtig guten sozialdemokratischen Politik gezwungen. Deswegen ist es mir sozusagen egal mit welchem Koalitionspartner ich etwas mache. Die entscheidende Frage ist, wo kann ich am meisten sozialdemokratische Politik durchsetzen. Das ist zum Schluss der Maßstab, an dem sich Koalitionsverhandlungen ausrichten.

Natürlich muss man, wenn man eine Bundestagswahl bestreitet, auch über Konstellationen reden. Es muss ja eine Machtoption geben. Eine scheidet aus, weil sie nicht in der Lage ist eine Regierung zu bilden und gar nicht an die Regierung will, das ist die Linke. Deswegen ist eine SPD in einer schwierigen Situation, weil sie zwischen Pest und Cholera wählen muss, nämlich große Koalition oder eine Beteiligung der FDP.

Deutschlandradio Kultur: Und Opposition?

Florian Pronold: Opposition ist der größte Mist. Das ist meine bayrische Erfahrung. Doch, im Ernst, da kann ich den Müntefering wirklich gut verstehen. Ich bin im Stadtrat von Deggendorf seit 1996 und ich hatte immer Recht. Ich habe x Anträge gestellt. Ich habe aber nie Recht bekommen. Das höchste der Gefühle ist, dass vielleicht mal mein Antrag unter anderem Briefkopf der CSU ein paar Monate später eingebracht und beschlossen wird. Es ist nicht leicht zu regieren, auch nicht in Berlin. Man muss viele Kompromisse auch mitvertreten, die einem keinen Spaß machen. Aber es ist viel schöner mitzugestalten und real das Leben von Menschen verbessern zu können. Schauen Sie an, vier Millionen Menschen bei den Mindestlöhnen, bei den erneuerbaren Energien haben wir wirklich die Weichen richtig gestellt.

Deutschlandradio Kultur: Aber die Menschen belohnen es doch nicht. Die sehen es doch nicht.

Florian Pronold: Darum rede ich darüber und darum haben wir ja hier eine gute Gelegenheit, um deutlich zu machen, wie schön es ist, wenn man regiert, vor allem, wenn die SPD regiert. Ich sage Ihnen: Ich bin tief davon überzeugt - ich habe auch hier schon schwere Nächte gehabt mit der Frage der Zustimmung zu bestimmten Kompromissen -, aber es ist immer besser, dass Sie gestalten können, dass Sie etwas verändern können als wenn sie daneben sitzen, immer Recht haben, aber nie Recht bekommen.

Deutschlandradio Kultur: Wie wollen Sie das denn Ihren potentiellen Wählern deutlich machen. Einerseits plakatieren Sie im Europawahlkampf mit Finanzhaien und meinen die FDP, andererseits sagen Sie, ja, wenn es irgendwie geht, machen wir auch eine Ampel und die FDP ist dann dabei. Das geht doch nicht zusammen? Das ist doch schwer zu verdauen?

Florian Pronold: Also, das ist auf den ersten Blick schwer und darum habe ich ja das Beispiel mit der CDU/ CSU und ihrem letzten Wahlprogramm gebracht. Es hat sich kaum unterschieden von dem, was die FDP heute sagt. Trotzdem haben wir in der Koalition vernünftige Dinge da durchgesetzt, und zwar eine ganze Menge. Und die sozialdemokratische Handschrift ist in vielen Bereichen deutlicher als die der Schwarzen. Schauen Sie sich an, was da derzeit für eine Debatte derzeit los ist. Das bestätigt das.

Deutschlandradio Kultur: Nehmen Sie doch mal das Beispiel Mindestlohn. Die SPD möchte es haben. Die Liberalen sagen, das auf keinen Fall. Also, wie das zusammengeht, das können Sie schwerlich dem Wähler erklären.

Florian Pronold: Das ist ein Superbeispiel, weil wir genau an diesem Beispiel sehen, dass es trotzdem geht. Die CDU/ CSU hat die Mindestlöhne genauso abgelehnt, wie die FDP. Und wir haben jetzt für vier Millionen Menschen Zusätzliches geschafft, einen Mindestlohn einzuführen. Jetzt kämpfen wir noch bei der Leiharbeit und ein paar anderen Branchen, aber das Ding lässt sich nicht mehr aufhalten und das wird sich auch durch eine FDP nicht aufhalten lassen. Da bin ich mir relativ sicher. Eines ist nur ganz sicher, wenn die SPD nicht in der Regierung ist, dann wird es mit Sicherheit keine Mindestlöhne geben. Das ist das Einzige, was feststeht.

Deutschlandradio Kultur: Aber Ihr Problem ist doch, dass den Anhängern der SPD die Agenda 2010 nachhängt. Und wenn wir jetzt mal in den Herbst schauen, wenn Kassensturz ist, dann müsste ja eigentlich jede Bundesregierung eine verschärfte Agenda auflegen. Wie wollen Sie das eigentlich überleben?

Florian Pronold: Die spannende Frage ist erstmal, was ist Agenda 2010? Das ist auch so ein Etikett, wo die Leute wenig damit anfangen können.

Deutschlandradio Kultur: Aber sie sind doch irgendwie sauer auf die SPD Politik. Die Regierungsarbeit der SPD ist nicht so honoriert worden, wie Sie sich das versprochen haben.

Florian Pronold: Das stimmt und jetzt haben wir drei Monate Zeit deutlich zu machen, wie die Welt ausschauen würde, wenn die SPD nicht regieren würde.

Deutschlandradio Kultur: Und im Herbst kommt die böse Überraschung, dass kein Geld da ist, dass der Finanzminister wieder sagen muss: Freunde, wir müssen alle Wahlprogramme einstampfen.

Florian Pronold: Also, wir sind doch heute schon in den Zahlen ganz klar, dass kein Geld da sein wird im Herbst. Darum ist die SPD auch eine Partei, die nicht mit Steuersenkungsversprechen in den Wahlkampf zieht wie die CDU/ CSU oder die FDP, die die Menschen anlügen. Die Probleme, die auf uns zukommen, die werden größer, die werden enorm groß werden. Das zu bestreiten, das wäre idiotisch. Aber davor darf man doch auch den Kopf nicht in den Sand stecken.

Jetzt muss man doch schauen, genauso wie wir das jetzt machen, was denn eine konjunkturgerechte Antwort ist. Wenn wir im Herbst sagen: So, jetzt kürzen wir alles massiv zusammen, z. B. die Investitionen, dann würden wir ja die Krise wieder verschärfen, anstelle vielleicht ein zartes Wachstum zu befördern. Der Punkt ist doch, dass es immer zur richtigen Zeit geschehen muss. Wir müssen uns auch überlegen, wie wir natürlich die Steuereinnahmen höher machen, aber zu dem Zeitpunkt vor allem zugreifen, wenn die Wirtschaft wieder floriert, nicht zu dem Zeitpunkt, wenn sie am Boden liegt.

Deutschlandradio Kultur: Aber diese Woche stimmen Sie beispielsweise dem Verbot von Rentenkürzungen zu. Das heißt in der Konsequenz, der Faktor Arbeit wird irgendwann teurer werden, weil das Geld ja irgendwie reinkommen muss. Insofern gibt es doch da ein Mischmasch, der kaum zu erklären ist.

Florian Pronold: Die Lohnnebenkosten müssen nicht unbedingt komplett gekoppelt sein an die Frage der Rentenentwicklung. Schon jetzt finanzieren wir ein Drittel der Rentenausgaben über Steuern. Und es ist die Frage auch einer gesellschaftlichen Entscheidung, wollen wir ein bestimmtes Rentenniveau haben. Ja oder Nein? Und auch dort wird es in der Zukunft eine spannende Auseinandersetzung geben, die Sie richtig beschreiben. Ich habe heute wieder eine große Zeitung mit vier Buchstaben lesen müssen, die in den letzten Monaten und Jahren überwiegend damit hausieren gegangen ist, dass man den Rentnern die Renten nicht erhöht oder dass man sie sogar kürzt und das skandalisiert hat. Heute skandalisiert sie, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mehr zahlen müssen, weil es jetzt diese Rentengarantie gibt.

Beides wird es nicht geben. Man wird aber einen Ausgleich schaffen müssen. Man wird sich drauf einigen müssen, ob wir als Gesellschaft tatsächlich ein Zurückgehen von Renten verhindern wollen. Ich finde, das kann man machen, auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, weil es um Menschen geht. Ich rede nicht über die gut verdienenden Rentner mit den Betriebsrenten, sondern ich rede über viele ganz kleine Renten, die jeden Cent immer noch umdrehen müssen. Und da weiß ich nicht, wie die Leute mit einer Rente von 600, 700 € da einen Rückgang der Rente von 20 oder 30 € verkraften sollen. Und da muss man eine Antwort haben.

Deutschlandradio Kultur: Das ist ja gut für die Rentner, damit die eine Sicherheit haben, aber gleichzeitig muss es finanziert werden. Dann ist es ein Generationenproblem, das Sie dann einfach verlagern.

Florian Pronold: Wir haben in der Rente eine ganze Menge Dinge gemacht, die harte Einschnitte bedeuten, weniger für die heutige Rentnergeneration, die sich betroffen fühlt, sondern für meine Generation, was den Anstieg von Renten angeht, was die zusätzliche Kapitaldeckungen angeht, um ein vernünftiges Auskommen in der Zukunft zu haben. Ich bin, was das Rentensystem angeht, mit wenig Sorgen ausgestattet. Aber wir werden insgesamt, wenn wir es nicht schaffen, schnell aus der Krise rauszukommen, natürlich auch Druck in die sozialen Sicherungssysteme bekommen. Und es wird sich dann die spannende Frage stellen: Woher nehmen wir das Geld. Wer soll es bezahlen? Wer hat das bestellt? Das wird eine Auseinandersetzung, die sehr klassisch verläuft, nicht zwischen Jung und Alt, sondern eher zwischen Arm und Reich.

Deutschlandradio Kultur: Aber welche Antwort geben Sie darauf? Auf der einen Seite sollen die Beiträge nicht steigen, weil das Lohnnebenkosten sind und Arbeitsplätze verhindern könnte, auf der anderen Seite könnte man - und das versucht ja z. B. auch Ihr Partner, die CSU in Bayern - sagen, man solle es aus der Steuerkasse finanzieren. Und die Steuerkasse ist bereits überbelastet. Dann kann man natürlich auch die Steuern höher machen, wie Sie das auch vorschlagen, aber gleichzeitig wollen Sie die Bürgerversicherung einführen, das heißt auch, die Besserverdienenden in dem sozialen Versicherungszweig noch mal mehr belasten. Das ist doch eigentlich zuviel des Guten? Das nehmen Ihnen die Leute doch nicht ab?

Florian Pronold: Na, wenn Sie das Beispiel Bürgerversicherung nehmen, da nehmen uns die Leute sehr wohl ab, dass wir das bessere Konzept haben, und zwar deswegen, weil kein Mensch versteht, dass Menschen, die ein besonders hohes Einkommen haben, sich aus der Solidargemeinschaft verabschieden können. Das ist doch der Fehler in dem System. Das kann man z. B. an diesem Punkt sehr wohl angehen.

Um auf Ihre anderen Fragen da auch zu antworten: Wir werden nicht über Steuererhöhungen den Staatshaushalt sanieren können, sondern wir werden ihn wie in der Vergangenheit, wie das in den letzten Jahren vor der Krise war, nur über Wachstum sanieren. Das heißt, die erste Aufgabe ist, dass wir aus dieser Krise wieder rauskommen. Und wenn wir dort rausgekommen sind und die Steuereinnahmen auch wieder steigen, wird es trotzdem die Frage geben, wer zahlt welche Steuern. Schaffen wir es z. B. bei den Vermögenden, bei denen, die wirklich Geld haben, auch etwas zu bekommen oder wird sich der Druck auf die breite Masse der Bevölkerung entsprechend entfalten?

Da ist auch ganz klar, wenn eine Sozialdemokratie an der Regierung nicht beteiligt wird, wird die Union ihre Mehrwertsteuererhöhungspläne der Vergangenheit noch deutlicher formulieren und entsprechend dort auch vorgehen.

Deutschlandradio Kultur: Was machen Sie denn, wenn das Wachstum niedrig bleibt?

Florian Pronold: Wenn wir in eine ähnliche wie die japanische Situation in den 90er Jahren kommen, wir das eine ganz brutale Geschichte. Dann wird tatsächlich die Situation, auch was die sozialen Sicherungssysteme angeht, enorm schwierig. Dann werden wir schauen müssen - z. B. dort, wo wir Dinge sinnvoll im System verändern können wie bei der Bürgerversicherung, indem man Neue mit dazu nimmt und dadurch den Solidargedanken stärkt. Aber ohne entsprechendes Wachstum wird die Belastung der öffentlichen Kassen in einem Maße zunehmen, das nicht mehr lange gut geht.

Deutschlandradio Kultur: Es gibt ja mehrere Wissenschaftler, die sagen, dieses Wachstum wird auf Dauer sowieso nicht gehen aus ökologischen und anderen Gründen. Letztendlich müsste die Partei, die SPD, dann vielleicht zu einer Position kommen, wo sie sagt: Wenn wir dieses Wachstum von 5 % nicht bekommen, dann geht es um Umverteilung. Das wäre die Diskussion, die wir dann führen müssten vor dem Wahlkampf und nach dem Wahlkampf. Wäre das nicht fairer?

Florian Pronold: Also, ich habe gerade unter dem Stichwort die "die fetten Hammel scheren" sozusagen auch die Umverteilung zwischen Reichtum und Armut angesprochen. Da erleben wir, dass es gerade bei der FDP und CDU/ CSU, ich habe das in der Erbschaftssteuerreform erlebt, enorme Blockaden gibt. Die wird sich meiner Meinung nach auflösen, weil auch die CDU-geführten Länder in enorme Probleme kommen.

Ich vertrete auch keinen Wachstumsbegriff der 70er Jahre, - Hauptsache Wachstum. Sondern wir brauchen schon ein qualifiziertes Wachstum. Ich habe z. B. in den letzten Monaten sehr viele Betriebe im Bereich der Solarwirtschaft besucht. Die Branche ist z. B. auch überhaupt nicht betroffen von den aktuellen sonstigen wirtschaftlichen Entwicklungen. Das zeigt, wenn man auf bestimmte Zukunftstechnologien setzt, dass man sehr wohl auch Wachstum generieren kann in einem ökologisch vernünftigen Sinne.

Deutschlandradio Kultur: Deswegen gibt es auch den "Green New Deal" der Grünen und deshalb hat die Partei ja auch soviel Erfolg im Moment.

Florian Pronold: Ich weiß gar nicht, ob die Masse der Wählerinnen und Wähler der Grünen tatsächlich deren Programmatik so nachvollziehen. Meine Erfahrung ist, dass die Menschen, egal wen sie übrigens wählen, sich nur sehr wenig mit den programmatischen Dingen beschäftigen, sondern dass sehr viel Stimmungen, Image und all diese Dinge entscheiden - leider. Ich hätte es lieber, dass es anders wäre, weil, wenn man dann genau hinschauen würde, dann würde man feststellen, dass hier auch die besseren Rezepte von der SPD kommen. Hermann Scheer ist z. B. der Solarpapst, mein Bundestagskollege, hat alle Bücher geschrieben, die es dazu jemals gab und geben wird. Der ist wirklich derjenige, der dort das Erneuerbare-Energien-Gesetz auf den Weg gebracht hat. Das sind alles Federn, mit denen sich die Grünen schmücken, die aber wenig mit denen zu tun haben. Die haben gerade in der Frage Ökonomie und Verknüpfung mit Ökologie außer Luftblasen nix zu bieten. Alles, was dort wirklich gekommen ist, z. B. das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das über Hunderttausende von neuen Jobs in Deutschland geschaffen hat, trägt 1:1 die Handschrift der SPD.

Deutschlandradio Kultur: Wenn das Soziale so schwer zu finanzieren sein wird, wie Sie gesagt haben, und Sie als Haushalt- und Finanzpolitiker aber in der letzten Woche erfolgreich eine Schuldenbremse eingeführt haben, wie wollen Sie den Leuten erklären, dass Sie da hinkommen bis 2020, ohne wieder eine neue Ausnahme zu erfinden?

Florian Pronold: Wenn Sie meine Erklärung, die ich zu dieser Abstimmung abgegeben habe, lesen, was Sie aufgrund vermutlicher Recherche auch gemacht haben, werden Sie sehen, dass ich mit einem Teil der Schuldenbremse ein ganz großes Problem habe, nämlich diesen automatischen Abbaupfad ab 2011, der ohne Rücksicht auf die Konjunktur stattfindet. Das halte ich für nicht machbar unter den aktuellen Zahlen. Das wird nicht gehen.

Ich finde die Teile der Schuldenbremse richtig, die sagen, wenn es dem Staat besser geht, muss er zurückführen, aber er muss es konjunkturgerecht tun. Ich finde, man muss eine atmendere Form der Schuldenbremse entwickeln. Ich gehe auch davon aus, dass wir das noch fortentwickeln werden.

Deutschlandradio Kultur: Sie haben zu Beginn des Gespräches gesagt, dass Sie sich mal überlegt haben, nicht Bundeskanzler werden zu wollen, sondern eher Bayrischer Ministerpräsident der Sozialdemokratie. Haben Sie sich mal ein Zeitfenster überlegt, wie lange das dauern könnte, bis Sie diesen Erfolg einfahren können?

Florian Pronold: So schnell als möglich!

Deutschlandradio Kultur: Dann rechnen wir mal hoch. Im Moment sind es 18,6 %. Wie viel Zuwachs müssten Sie denn da alle vier Jahre bekommen, damit Sie irgendwann noch vor Ihrem Rentenalter, Sie sind gerade mal 36, diesen Traumjob kriegen?

Florian Pronold: Also, ich schaffe es noch vor dem Renteneintrittsalter 67. Das gilt aber für den Bayrischen Ministerpräsidenten nicht. Man durfte bis vor kurzem erst ab 40 Bayerischer Ministerpräsident werden. Darum kann ich also nicht unmittelbar den Job ergreifen und muss mir noch ein bisschen Zeit lassen. Aber mir geht es auch nicht um die Frage, werde ich Ministerpräsident oder nicht, sondern mir geht es darum, zu sagen, dass wir als Sozialdemokratie erstens schon mal regiert haben in Bayern, was viele gar nicht wissen, zweitens, dass wir eine ganze Menge Konzepte gebracht haben, oft auch über Volksentscheide, z. B. in der Bildungspolitik, die heute in Bayern selbstverständlich sind. Und das, was ich erreichen will, ist, dass wir eine Regierungsbeteiligung kriegen und dass wir tatsächlich in der Lage sind, schneller richtige Konzepte umzusetzen.

Nur ein Beispiel - Ganztagsschulen: Vor über 50 Jahren hat die SPD zum ersten Mal Ganztagsschulen gefordert. Da hat die CSU ein Kreuzzeichen geschlagen und hat gesagt, um Gottes Willen, das ist ja wie in der DDR, die wollen uns die Kinder wegnehmen - bis vor zwei Jahren. Dann haben wir über rot-grüne Politik vor vier Jahren das IZBB Programm gemacht für die Förderung von Ganztagsschulen. Und auf einmal kamen die Erfolgspressemitteilungen aus der Bayrischen Staatskanzlei: Hurra, wir haben eine Ganztagsschule! Es hat 50 Jahre gedauert, bis die CSU auf die richtigen Rezepte gekommen ist. Wer will, dass das schneller geht, muss sein Kreuz gleich bei der SPD machen, dann muss er selber keins mehr tragen.

Deutschlandradio Kultur: Herr Pronold, ganz herzlichen Dank für das Gespräch.

Florian Pronold: Ich bedanke mich.