Opfer und Komplizin

10.07.2008
In "Mädchenmörder" lässt Thea Dorn die 19-jährige Julia darüber berichten, wie sie die Attacke eines Serienmörders überlebt und zu dessen Verehrerin wird. Das ungewöhnliche Paar mordet fortan gemeinsam.
Serienmörder fordern nicht nur Kriminalisten und Psychologen heraus, sondern immer wieder auch Autoren von Kriminalromanen. Serienmörder definieren ein eigenes Genre, das aber – jenseits des Thrills, den fortgesetzte Gewalt zu bieten hat – ein grundsätzliches Problem aufwirft: das Problem der Wiederholung. Ein seltsamer Effekt stellt sich ein: Je mehr Morde in einem Buch geschehen, umso gelangweilter nimmt man sie zur Kenntnis. Ein Serienmörder ist ja auch nichts anderes als ein Sammler, der Opfer sammelt und insofern grundsätzlich nicht interessanter als ein Briefmarkensammler.

Thea Dorn wendet in ihrem kalkulierten Schocker "Mädchenmörder" verschiedene Strategien an, um die Langeweile der Wiederholung zu bekämpfen. Zunächst einmal erzählt sie aus der Perspektive des Opfers, der 19-jährigen Julia Lenz. Julia berichtet über ihre Entführung, über Folter und Vergewaltigung und einen Mordversuch, bei dem nicht ganz klar ist, warum sie ihn überlebte. Der Täter ist ein ehemaliger Radrennfahrer, der offensichtlich das plötzliche Karriereende durch einen Knieschaden nicht bewältigt hat und deshalb nun junge Frauen jagt. Vom Sport zum Mord – das ist allerdings, wie vieles in diesem Roman, nicht mehr als ein schriller Einfall, dem es an tieferer Plausibilität mangelt. Ausgangspunkt der Autorin war der reale Fall eines amerikanischen Serienmörders in den 80er Jahren. Während sie an diesem Stoff arbeitete, kam ihr der Fall Kampusch dazwischen. Das Kellerverlies, das Eingesperrtsein, die Abhängigkeit, die Brutalität – das sind Motive, die sich im "Mädchenmörder" wiederfinden. Auch der belgische Kinderschänder Dutroux kommt vor. Er ist dem Täter ein Vorbild. Einmal sucht er sogar dessen Wohnort auf, um ihm ganz nah zu kommen.

Je weiter die Geschichte voranschreitet, umso deutlicher stellt sich heraus, dass Julia immer mehr zu seiner Komplizin wird. Da alles andere absehbar ist, kann nur daraus ein wenig Spannung entstehen. Julia wird als Borderlinerin kenntlich, die sich gelegentlich Arme und Beine aufritzt und knapp vor der Magersucht existiert. Ihr Masochismus triumphiert gewissermaßen über den Sadismus des Täters. Das Buch ist in zwei Hauptteile gegliedert. Der erste, offizielle, ist der Bericht, den Julia für die Öffentlichkeit schreibt, um all die Lügen, die über ihre Geschichte in Umlauf sind, zu zerstreuen. Da wird eine junge Frau sichtbar, die auch ein Opfer der Medien geworden ist, die nun aber 500.000 Euro für ihr Buch erhält – Auftritte bei "Beckmann" und "Kerner" inklusive. Stilistisch ist das nur schwer zu ertragen. Thea Dorn gibt ihrer Julia eine Vorliebe für Klammereinschübe mit. Immer wieder spricht sie ihre Leser direkt an, schreibt: "Vermutlich werden Sie sich jetzt fragen" oder: "Sie werden es gleich erfahren." Sie hat etwas Plapperiges, Nervtötendes, ohne dass klar wäre, warum man sich auf der sprachlichen Ebene so quälen lassen muss. Sicher: Es handelt sich um Rollenprosa. Aber muss Rollenprosa unbedingt schlechte Literatur sein, um den Eindruck von Authentizität zu erzeugen?

Der zweite Teil besteht aus Briefen Julias, Liebesbriefe, die nie abgeschickt wurden, denn der Entführer, an den sie sich wenden, ist zu diesem Zeitpunkt schon tot. Hier ist der vorherrschende Tonfall eine Mischung aus Kitsch und Brutalität. "Ein Liebesroman" heißt das Buch ja auch im Untertitel. Wie ein Opfer zur Mittäterin werden kann – das wollte Thea Dorn wohl zeigen. Das ist ein derzeit durchaus modisches Anliegen: Der Graubereich der Moral, das Uneindeutige, das Nicht-Heroische eines Handelns, das in der schlichten Opfer-Täter-Dichotomie nicht aufgeht, rückt ja auch im Zusammenhang mit der deutschen Geschichte, NS-Zeit und DDR-Vergangenheit, immer stärker in den Blick. Doch hier entsteht daraus nichts, als ein allzu offensichtliches literarisches Schock-Element. Die Bestie und das Mädchen; Morde als Liebesgabe.

Ist das Umschwenken Julias vom Entführungsopfer zur liebenden Komplizin erst einmal verdaut, bleibt alles beim Alten: Frauenmord reiht sich an Frauenmord, was zurückführt zum literarischen Problem der Wiederholung. Thea Dorn versucht es durch Steigerung zu lösen. Jeder weitere Mord muss noch schriller sein als der vorige, die Opfer immer exquisiter. Das reicht von dummen Teenies über eine freundliche Nonne bis zu einer fantastischen Stierkämpferin. Für den Mörder und seine liebende Begleiterin nimmt mit dem Risiko der Kitzel zu. Die Autorin braucht die Reizerhöhung aber noch dringender, um ihre Geschichte am Laufen zu halten. Die Handlung wird dadurch immer abstruser und unglaubwürdiger. Die Psychologie der Figuren bleibt vollends auf der Strecke, die Spannung leider auch. Da kann auch die Überraschung, die Thea Dorn in einem kleinen, in der Zukunft des Jahres 2039 spielenden Epilog zu bieten hat, nichts mehr retten.

Rezensiert von Jörg Magenau

Thea Dorn: Mädchenmörder. Ein Liebesroman
Manhattan, München 2008
334 Seiten, 19,90 Euro