Operette aus dem KZ Ravensbrück
In Paris wird am Samstag eine im Konzentrationslager Ravensbrück geschriebene Operette uraufgeführt. Das Stück "Le Verfügbar aux enfers" ("Der Verfügbare in der Hölle") der französischen Widerstandskämpferin Germaine Tillion ist im Théatre du Chatelet zu sehen.
Auf der Bühne steht ein gläserner Kasten – mit einem durchsichtigen Tuch verhüllt. Eine Frau erscheint: Srachlos und stumm steht sie da, versucht sich mit Gesten voller Hoffnung und Verzweiflung den Weg zurück in die Freiheit zu bahnen. Eine Gestalt jenseits unserer Wirklichkeit: Bienvenue in "Le Verfügbar aux enfers" - Willkommen in der Operetten-Revue in Ravensbrück.
1944 hatte Germaine Tillion dieses Stück geschrieben: Um sich am Leben zu erhalten, wie sie sagt, auch wenn ihr jedes Blatt Papier damals sofort den Kopf hätte kosten können. Sie war als Resistance-Kämpferin in das KZ Ravensbrück deportiert worden – wie ihre Mutter, die das Lager nicht überlebte. 60 Jahre lang hatte Tillion diese Geschichte praktisch niemandem erzählt.
Dies hatte viele Gründe: Nicht nur weil sie fürchtete, dass manche dann glauben, sie hâtten sich in Ravensbrück amüsiert. Bérénice Collet hat die Aufführung inszeniert:
"Sie hat gedacht, dass das niemanden interessieren würde. Deshalb hat sie das niemals veröffentlicht. Erst als ihre Freunde ihr 2005 gesagt haben, das zu veröffentlichen, ist das Buch erschienen. So sind wir darauf gestoßen und haben festgestellt, dass es sich um ein unglaubliches Zeugnis aus dem Leben der Deportierten handelt und deshalb wollten wir das auf die Bühne bringen. Einen Text, der 60 Jahre lang in einer Schublade versteckt gewesen war."
Von den unmenschlichen Qualen im KZ ist auf der Bühne nichts zu sehen; die Darstellerinnen und jugendlichen Chorsängerinnen durften ihre Frisuren behalten, ihre Piercings und modischen Tätowierungen, das rote Dreieck und die Nummer der KZ-Häftlinge wird hier fast spielerisch auf den Oberarm geklatscht. Hier soll nichts rekonstituiert, sondern Beobachtungen erzählt werden. In Musik und Worte gebrachte Beobachtungen der Ethnologin Germaine Tillier, die die Hölle Ravenbrücks als Feldstudie präsentiert. KZ-Insassinnen, die keine Frauen mehr sind, nur Menschenmaterial.
Tillions "Operetten-Revue" ist so vollkommen anders und doch so unmittelbar mit dem Wahnsinn der Nazis verbunden ist, dass es ihr lange Zeit schwer fiel, davon zu erzählen. Eine Kluft, die auch beim frontalen Zusammenstoss zwischen heiteren Melodien und grausamen Text-Szenen zum Ausdruck kommt, so die musikalische Leiterin Hélène Bouchez, die dafür sorgt, dass es über 60 Jahre danach nicht "falsch" klingt:
"Das ist der Unterschied zwischen Realität und Fiktion. Das ist die Herausforderung dieser Aufführung, die einerseits das damalige Leiden dieser Frauen in Ravensbrück respektieren muss, andererseits ihr Leiden verwandeln muss – mit Hilfe der Erinnerung und der Musik."
Wir kommen sicher in ein Lager mit sämtlichem Komfort:
Wasser, Gas, Strom – "vor allem Gas"
heisst es da makaber. Einer von vielen makabren Sprüchen voller schwarzer Humor.
Am Mittwoch hatte Tillion 100. Geburtstag und empfing eine kleine Abordnung des Stücks, um wieder mal über die Inszenierung zu reden - auch wenn es ihr schwer fällt in den wenigen Momenten, an denen sie sich noch konzentrieren kann. Schlichte Kostüme wollte sie haben und kein aufwendiges Bühnendekor. "Verfügbar aux enfers" spielt sich vor einer einfachen Barackenwand ab. Der Chor nimmt auf Holzbänken Platz.
Dass Germaine Tillion die Bühnenaufführung ihrer Ravensbrück-Hôlle erlaubte, liegt auch daran, dass es vielleicht gerade die Oper ist, die es erlaubt, Unaussprechliches zu erzählen, meint Opernsängerin Hélène Délavault:
"Ja, das stimmt. Aber was ich in diesem Stück mag: Das ist ein Lachen des Widerstands. Germaine Tillion hat immer eine vollkommene Freiheit des Denkens behalten."
Die Tatsache, so ein Stück in einem Konzentrationslager geschrieben zu haben, fähig gewesen zu sein, dort zu lachen, Witze zu machen über diese schreckliche Situation, das ist ihre Kraft und gleichzeitig – sie hat das für ihre Kameradinnen geschrieben – die Angst und die Trauer, die noch zum körperlichen Schmerz hinzukamen zu überwinden – über das Lachen. Deshalb nimmt uns das nicht die Kraft, um auf der Bühne ebenfalls über diese Witze zu lachen.
Der Chor verschwindet am Ende in der Dunkelheit. Zurück bleibt die Hoffnung.
1944 hatte Germaine Tillion dieses Stück geschrieben: Um sich am Leben zu erhalten, wie sie sagt, auch wenn ihr jedes Blatt Papier damals sofort den Kopf hätte kosten können. Sie war als Resistance-Kämpferin in das KZ Ravensbrück deportiert worden – wie ihre Mutter, die das Lager nicht überlebte. 60 Jahre lang hatte Tillion diese Geschichte praktisch niemandem erzählt.
Dies hatte viele Gründe: Nicht nur weil sie fürchtete, dass manche dann glauben, sie hâtten sich in Ravensbrück amüsiert. Bérénice Collet hat die Aufführung inszeniert:
"Sie hat gedacht, dass das niemanden interessieren würde. Deshalb hat sie das niemals veröffentlicht. Erst als ihre Freunde ihr 2005 gesagt haben, das zu veröffentlichen, ist das Buch erschienen. So sind wir darauf gestoßen und haben festgestellt, dass es sich um ein unglaubliches Zeugnis aus dem Leben der Deportierten handelt und deshalb wollten wir das auf die Bühne bringen. Einen Text, der 60 Jahre lang in einer Schublade versteckt gewesen war."
Von den unmenschlichen Qualen im KZ ist auf der Bühne nichts zu sehen; die Darstellerinnen und jugendlichen Chorsängerinnen durften ihre Frisuren behalten, ihre Piercings und modischen Tätowierungen, das rote Dreieck und die Nummer der KZ-Häftlinge wird hier fast spielerisch auf den Oberarm geklatscht. Hier soll nichts rekonstituiert, sondern Beobachtungen erzählt werden. In Musik und Worte gebrachte Beobachtungen der Ethnologin Germaine Tillier, die die Hölle Ravenbrücks als Feldstudie präsentiert. KZ-Insassinnen, die keine Frauen mehr sind, nur Menschenmaterial.
Tillions "Operetten-Revue" ist so vollkommen anders und doch so unmittelbar mit dem Wahnsinn der Nazis verbunden ist, dass es ihr lange Zeit schwer fiel, davon zu erzählen. Eine Kluft, die auch beim frontalen Zusammenstoss zwischen heiteren Melodien und grausamen Text-Szenen zum Ausdruck kommt, so die musikalische Leiterin Hélène Bouchez, die dafür sorgt, dass es über 60 Jahre danach nicht "falsch" klingt:
"Das ist der Unterschied zwischen Realität und Fiktion. Das ist die Herausforderung dieser Aufführung, die einerseits das damalige Leiden dieser Frauen in Ravensbrück respektieren muss, andererseits ihr Leiden verwandeln muss – mit Hilfe der Erinnerung und der Musik."
Wir kommen sicher in ein Lager mit sämtlichem Komfort:
Wasser, Gas, Strom – "vor allem Gas"
heisst es da makaber. Einer von vielen makabren Sprüchen voller schwarzer Humor.
Am Mittwoch hatte Tillion 100. Geburtstag und empfing eine kleine Abordnung des Stücks, um wieder mal über die Inszenierung zu reden - auch wenn es ihr schwer fällt in den wenigen Momenten, an denen sie sich noch konzentrieren kann. Schlichte Kostüme wollte sie haben und kein aufwendiges Bühnendekor. "Verfügbar aux enfers" spielt sich vor einer einfachen Barackenwand ab. Der Chor nimmt auf Holzbänken Platz.
Dass Germaine Tillion die Bühnenaufführung ihrer Ravensbrück-Hôlle erlaubte, liegt auch daran, dass es vielleicht gerade die Oper ist, die es erlaubt, Unaussprechliches zu erzählen, meint Opernsängerin Hélène Délavault:
"Ja, das stimmt. Aber was ich in diesem Stück mag: Das ist ein Lachen des Widerstands. Germaine Tillion hat immer eine vollkommene Freiheit des Denkens behalten."
Die Tatsache, so ein Stück in einem Konzentrationslager geschrieben zu haben, fähig gewesen zu sein, dort zu lachen, Witze zu machen über diese schreckliche Situation, das ist ihre Kraft und gleichzeitig – sie hat das für ihre Kameradinnen geschrieben – die Angst und die Trauer, die noch zum körperlichen Schmerz hinzukamen zu überwinden – über das Lachen. Deshalb nimmt uns das nicht die Kraft, um auf der Bühne ebenfalls über diese Witze zu lachen.
Der Chor verschwindet am Ende in der Dunkelheit. Zurück bleibt die Hoffnung.