Operette aus dem Geist der Kleinkunst

Von Bernhard Doppler · 30.12.2010
Die Ausweichstätte Palladium ist eine ehemalige Maschinenhalle und wurde als Varieté adaptiert. "Die Csárdasfürstin" wird nicht distanziert, ironisiert und augenzwinkernd, sondern Wort für Wort geradezu behäbig liebevoll vom Blatt gespielt.
An kleinen Tischen wird das Publikum gebeten, Platz zu nehmen; an den Seiten rechts und links Vorhänge zu zwei Bühnen, die durch einen Gang quer durch die Zuschauer miteinander verbunden, vorne der Platz für das Salonorchester; ein ungarischer Geiger spielt bereits: Ihre Ausweichspielstätte, das Palladium, eine ehemalige Maschinenhalle, hat die Oper Köln für Emerich Kálmáns Operette "Die Csárdasfürstin" als Varieté adaptiert und erinnert damit an eine Produktion, die die Rezeption der Operette in den letzten 15 Jahren nachhaltig beeinflusste: an die Berliner "Weiße Rössl" Produktion im Spiegelzelt der "Bar jeder Vernunft" 1994.

Damals war Christoph Marti, bekannt als ein Teil der "Geschwister Pfister", maßgeblich an der Konzeption beteiligt, er war Regisseur und spielte den schönen Sigismund. Diesmal inszeniert Marti zwar nicht, sondern Bernhard Mottl, aber schon die Besetzung der Titelrolle mit ihm ist Programm: Operette wie damals aus dem Geist der Kleinkunst, des Varietés, jener Szene also, aus dem die Geschwister Pfister stammen. Es ist in der "Csárdasfürstin" ein ungarisches Transvestiten-Varieté. Zwar heißt es gleich zu Beginn "Ganz ohne Weiber geht die Chose nicht", aber die Schulmädchen, Putzfrauen und Zigeunerinnen der Revuen sind alle Männer, wie eben auch der Star des Varietés, Silvia Varescu, die Chansonette und "Csárdasfürstin".

Die Besetzung mit einem Mann, Urslieb Pfister, leuchtet ein, zumal dadurch die Projektionen, Loblieder, Schmähungen und Zuschreibungen auf das "Weib an sich", "die Mädis" und "Frauen", die viele Nummer dieser Operette bestimmen, prägnanter erscheinen. Auch wirkt der Konflikt der Handlung, die nicht standesgemäße Liaison zwischen Prinz Edwin von Lippert-Weylersheim und einer ungarischen Varietékünstlerin, auf diese Weise nicht so ganz von anno dazumal. Zwar gibt es 2010 eingetragene gleichgeschlechtliche Partnerschaften, aber dass manche Familien der High Society - mit Prinzentitel - sich auch noch heute an einem "Schwiegersohn" stoßen würde, der als Frau im Varieté auftritt, ist denkbar.

Vor allem aber in ihrer verblüffenden, ja geradezu revolutionären Ernsthaftigkeit schließt die Kölner "Csárdasfürstin" an das legendäre "Bar jeder Vernunft"-"Weiße Rössl" an. Hier wie dort wird nicht distanziert, ironisiert und augenzwinkernd Operette gespielt, Operette wird auch nicht ideologiekritisch vorgeführt - wie es etwa Peter Konwitschny 1999 in der Semperoper tat, als er die Handlung in die Schützengräben des Ersten Weltkriegs, während dem die "Csárdasfürstin" uraufgeführt wurde, verlegte –, sondern Wort für Wort, Nummer für Nummer wird geradezu behäbig liebevoll vom Blatt gespielt.

Es ist eine große pathetische Liebe zwischen dem Prinzen und der Chansonette; und Carsten Süß und Christoph Marti zeigen sie mit ihren Verletzungen und Sehnsüchten und genieren sich nicht vor Kitsch. Gerade in seiner geschmackvollen Dosierung und Konzentration überzeugt Mottls Inszenierung und beeindruckt Christoph Marti alias Urslieb Pfister alias Sylvia Varescu in großen musikalischen Nummern, insbesondere wenn sie deutlich tiefer gesetzt sind.

Dass die Kölner "Csárdasfürstin" dennoch nicht oder noch nicht zur Referenzaufführung wird, liegt an der musikalischen Seite. Dass für eine "Operette aus dem Geist des Varietés" Kálmáns großes Orchester zu einem Kaffeehausorchester eingeschmolzen werden muss, leuchtet ein, wobei sich durch die neue Instrumentierung durch Dirigent Gerrit Priessnitz durchaus neue Akzente setzen lassen. Doch man vermisst immer wieder ansteckende aufbrausende Feurigkeit, manchmal wirkt die Musik nur ausgedünnt und lediglich brav und – pardon! – etwas langweilig exekutiert. Das Flair flirrend schräger Raffinesse, die das Palastorchester in der Bar jeder Vernunft seinerzeit herstellen konnte, vermisst man. Weit störender freilich ist die oft unkoordiniert wirkende Akustik, die sich vielleicht noch technisch verbessern ließe. Es wird trotz intimem Raum mit Mikroport gesungen.

Verblödelt wird die Operette jedoch nirgendwo! Und zum Schluss ,wenn im Happy End das Paar endlich vereint ist, und die Chansonette nun als Mann auftritt, bleibt für das Publikum vielfach irrlichternd die Frage offen, worin die Faszination des/der Varietékünstler/in lag, was große Gefühle mit Kleinkunst zu tun haben, und überhaupt: wie nahe Kitsch und Kunst sind.