Operation durchs Schlüsselloch

Von Peter Kaiser · 11.11.2008
Etwa 200.000 Hüftprothesen werden jährlich in Deutschland implantiert. Doch sowohl die Implantate als auch die Operationen sind nicht komplikationslos. Um die Fehlerquote beim Einsatz der Prothesen zu verringern, wurde nun eine bessere Navigationstechnik bei minimal-invasiven Hüft-OPs vorgestellt.
Operateur: "Sie sehen jetzt das Weiß der Kapsel und hier vorne noch das Bindegewebe, das wir jetzt entfernen, das ist hauptsächlich Fettgewebe, (…) ich werde das jetzt mal mit dem Kompressor ein bisschen abschieben. Sehen Sie gut auf die Kapsel …"

Lüring: "Bei der Operation können wir feststellen, dass ein Hüftgelenk implantiert wird. Und das, was wir heute zeigen möchten, ist, dass wir einen besonders kleinen Schnitt verwenden können, in Verbindung mit der Navigationstechnik, die uns hilft, das Hüftgelenk, das Hüftgelenkimplantat, besonders akkurat einzusetzen."

Operateur: "Mikromesser bitte, (…) kurz halten, (…) jawoll, die eine Hälfte des Schenkelhalses, Messer bitte, (…) Sehen sie den Schenkelhals? Hier kann man den Kopf bewegen, wenn man sich genau orientieren will, (…) die Säge bitte."

Vorsichtig trennt Dr. Ernst Sendtner im OP-Saal der Orthopädischen Klinik in Regensburg das etwa tischtennisballgroße Gelenk aus der Gelenkpfanne. Blut quillt in fingerbreiten Strömen aus der geöffneten Hüfte. Das gelblich-weiße Fettgewebe, sowie die dunkelroten Muskelpartien sind deutlich zu erkennen. Per Video-Schaltung sehen dem Arzt etwa 200 Gäste des diesjährigen Kongresses für Orthopädie und Unfallchirurgie in Berlin zu. Auffällig im entfernten OP-Saal sind die Kameras und Monitore, die über und um den Operationstisch herum installiert sind. Immer wieder justieren der Arzt und seine Kollegen das Licht und die Kameras, damit die Zuschauer genau sehen können, was passiert. Christian Lüring von der Klinik in Regensburg erklärt den Eingriff.
Lüring: "Die Besonderheit an der heute zu sehenden Operation liegt darin, dass wir die Navigation verbinden mit einem besonders Weichteil sparenden Zugangsweg, also mit einem ganz kleinen Schnitt. Sie müssen sich vorstellen, dass der Schnitt bei der Hüftendoprotethik üblicherweise 16 bis18 cm lang ist, und bei der heute hier gezeigten Technik nur noch 6 bis 8 cm."

Doch bevor der Schnitt gesetzt wird, wird mit einem Pointer die exakte Gelenklage für das Navigationssystem registriert. Der Arzt drückt mit dem Gerät, einer Art futuristischer Pistole mit einer dünnen Elektrode als Lauf, kurz auf die entsprechenden Punkte an der Hüfte. Sofort berechnet das System diese Punkte für das Implantat.

"Jawoll. Das war der letzte Punkt."

Seit Jahren erleichtert die Infrarot-Navigation den Orthopäden ihre Arbeit bei der Gelenkimplantation. Dazu wird, wie ein drittes Auge des Operateurs, eine Infrarot-Kamera aufgestellt, sowie verschiedene Monitore. Am Patienten werden, nachdem mit dem Pointer die Punkte markiert wurden, wenige Zentimeter große Infrarot-Antennen mit kleinen Schnitten in der Hüft-Region fest verankert. Der Computer errechnet mit Hilfe der Antennen aus den Kameradaten die exakte Position des Gelenks.

Lüring: "Und der Operateur kann dann entsprechend seinen Erfahrungen und entsprechend wie der Computer das vorgeschlagen hat, das Implantat einsetzen. Und erreicht durch die Hilfe der Navigation einen höhere Genauigkeit, als wenn er das ohne Navigation durchführen würde."

Mit der Freihandtechnik, dem Operieren ohne Navigationsunterstützung also, lässt sich bestenfalls eine perfekte Implantatlage bei etwa 75 Prozent aller Fälle erreichen. Doch mit der Navigation ist es möglich, die Genauigkeit auszudehnen auf ca. 90 bis 95 Prozent. Im Regensburger OP-Saal geht die Operation zügig voran.

"Jetzt kann man das abgetrennte Kopfhalsstück etwas zu sich drehen, ich habe es mit dem Korkenzieher gedreht, sodass man es axial abdrehen kann."

Der Hüftschnitt bei der Patientin ist nur etwa sechs Zentimeter lang, gerade groß genug für das Implantat. Wie bei allen minimal-invasiven Operationen werden damit so wenig Haut, Gewebe und Muskeln verletzt wie möglich. Auch genesen die Patienten schneller. Die neue Schlüsselloch-OP bei Hüftimplantaten plus der verbesserten Navigationsgeräte wird helfen, die Implantate noch exakter einzusetzen, und damit die Komplikationsrate sowohl für die OP als auch für die Nachbehandlungen zu verringern. Professor Joachim Grifka, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädischer Chirurgie:

"Es ist wichtig, dass man auf Grad genau diese Implantate einbringt, damit die Belastungsverteilung gut ist. Wir können zusätzlich auch Spannungen der Weichteile Gelenkes bestimmen und haben dadurch bessere Voraussetzungen für eine lange Haltbarkeit von künstlichen Gelenken."

Um dem Arzt noch mehr die Arbeit zu erleichtern, werden inzwischen auch Navigationssysteme angeboten, die im Computertomographen oder beim MRT direkt integriert sind. Kerstin Heuer von der CAS Innovations GmbH:

"Direkt in die Bildgebung integriert bedeutet, dass der Arzt keine weiteren zusätzlichen größeren OP-Wagen im OP stehen hat. Er macht seine Aufnahme, und kann dann sofort bei der Aufnahme die Operation durchführen."

"Aha, gut, schaun mer mal, gut. Nee, hält noch nicht, die Pfanne hält noch nicht, Ich brauche noch mal die 51er Fräse …"

Nach etwa einer Stunde ist das neue Gelenk implantiert. Dr. Sendtner und sein Team sind zufrieden mit dem Sitz des Implantates.
Die Videoübertragung Regensburg – Berlin wird beendet, doch OP und Navi bereits für den nächsten Patienten vorbereitet.