Oper über den Schöpfer des Isenheimer Altars

Von Frieder Reininghaus · 16.11.2010
Das Leben des Malers Matthias Grünewald zur Zeit der Reformation und der Bauernkriege ist der Stoff, aus dem Paul Hindemith seine Oper "Mathis der Maler" (1930-1938) destilliert hat. Heute hatte das Stück unter dem Titel "Mathis le peintre" Premiere an der Opéra Bastille in Paris.
In der ersten Hälfte der 1930er-Jahre schrieb Paul Hindemith die Oper "Mathis der Maler". Ihre Uraufführung fand am 28. Mai 1938 im Züricher Stadttheater statt – mithin im Schweizer Exil.

Im Reich war sie nach der auch kulturell durchgreifenden deutschen "Erhebung" von 1933 unerwünscht, zumal es zu Beginn der Nazi-Diktatur eine Kontroverse um Hindemiths Musik gegeben hatte – um die "Mathis-Symponie", drei vorab publizierte Sätze (die Auseinandersetzung zwischen den Hardlinern des Systems um den "Führer" und den noch etwas pluralistisch gestimmten Mitläufern, in diesem Fall Staatsrat Furtwängler, zeitigte eine Grundsatzentscheidung zugunsten des Totalitarismus).

Anhand einer Handlung aus der Zeit der Religions- und Bauernkriege im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts (der Reformationszeit) und ausgehend von der Vollendung des Isenheimer Altars, der dem Maler Mathis Gothard Nithart (etwa 1480 bis 1528) zugeschrieben wird, schrieb der Komponist, nachdem er sich mit Bertolt Brecht und Gottfried Benn entzweit hatte, das Libretto für sein Hauptwerk selbst. Es wurde jetzt erstmals in Paris präsentiert – an der Opéra Bastille. Christoph Eschenbach dirigierte "Mathis le Peintre", Olivier Py inszenierte.

In sieben groß und breit angelegten "Bildern", faktisch sieben Akten, rankt sich ein Panorama der politischen, sozialen und religiösen Konflikte Deutschlands in den Jahren 1523 bis 1528 um die Biografie des Malers, der unter dem Namen Grünewald in der Kunstgeschichte reüssierte. In der Oper quittiert er seinen Dienst beim Mainzer Erzbischof Albrecht von Brandenburg (dessen Partie wird in Paris von Scott Mac Allister mit majestätischem Tenor ausgestattet); Mathis schlägt sich auf die Seite des Bauernführers Schwalb, nicht zuletzt wegen dessen attraktiver Tochter. Er wird aber auch an der Seite der Revolutionäre nicht glücklich und wendet sich, nach einem religiösen Bekehrungserlebnis, wieder ganz seinem künstlerischen Schaffen zu.

Olivier Pys Inszenierung sorgt für eine schöne und bequeme Aneignung des sperrigen historischen Sujets. Hinter drei unveränderlichen Stationen an der Rampe – Bilderstaffelei, Bücherberg und Bettgestell – bringt sich zunächst der Isenheimer Altar in Erinnerung - nicht als Foto-Projektion, sondern als Rekonstruktion der Genese: Statisten stellen einzelne Figurengruppen der drei Altarflügel nach und werden vom Maler umdirigiert.

Dann fasst die Ausstattung von Pierre-André Weitz unter goldglänzenden gotischen Bogen den Glaubensstreit zwischen Katholiken und Evangelischen in ein opulentes Bild; für die militärische Dimension des Konflikts rollen jedoch zwei Panzer über die Bühne, marschieren Wehrmachtssoldaten auf – mit und ohne deutsche Schäferhunde. Das spielt auf die Entstehungszeit der Oper an, bietet aber keine Deutung der Probleme widerständiger Künstler im zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts an – und für heute schon gar nicht.

Christoph Eschenbach sorgt bei den ersten Tableaus für kräftigen orchestralen Überdruck, lässt den langen Abend dann zart-elegisch auslaufen. Mathias Goerne absolviert die Titelpartie mit einer gediegenen Leistung; Melanie Diener wäre als reiche Mainzer Bürgerstochter brillant, wenn sie nicht allzusehr gegen das hoch ausgesteuerte Orchester ankämpfen müsste. Die Chance, die Bilder des Künstlers und der Liebe seines Lebens in den sozialen Konflikten in Bezug auf die Gegenwart zu deuten, ist ausgeblieben.

Link:
Homepage der Opéra Bastille mit Informationen zum Stück